Bremerhaven

Alle Wetter: Das Klimahaus in Bremerhaven

Gleich gibt's nasse Füße: Sobald die Flut einsetzt, ist die nachgebaute Hallig vom Rest der Welt abgeschnitten. Jugendliche finden das erst einmal lustig – bis sie feststellen, dass es keinen Handyempfang gibt. Nicht die einzige Lehre, die Klimahausbesucher auf ihrem Spaziergang durch die wissenschaftliche Ausstellung ziehen.
Gleich gibt's nasse Füße: Sobald die Flut einsetzt, ist die nachgebaute Hallig vom Rest der Welt abgeschnitten. Jugendliche finden das erst einmal lustig – bis sie feststellen, dass es keinen Handyempfang gibt. Nicht die einzige Lehre, die Klimahausbesucher auf ihrem Spaziergang durch die wissenschaftliche Ausstellung ziehen. Foto: Klimahaus/Jan Rathke

An der Frage, ob der Klimawandel existiert, gibt es nach Ansicht der Wissenschaftler im Bremerhavener Klimahaus nichts mehr zu deuteln. Besucher der Erlebniswelt bekommen dessen Folgen hautnah zu spüren. Dabei passiert er längst auch vor ihrer Tür.

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Von unserer Chefreporterin Nicole Mieding

Dauernd reden alle übers Wetter. Erst recht in Bremerhaven. Wer in die Küstenstadt in Deutschlands windigem Norden fährt und die Mole der Außenweser, des Zugangs zur Nordsee, entlanggeht, der kann an manchen Tagen sämtliche Wetterphänomene innerhalb einer Stunde am eigenen Leib erleben. Es ist natürlich kein Zufall, dass man sich hier besonders fürs Wetter interessiert. Schon die Gründung der Stadt geht auf ein Naturphänomen zurück. Wegen der zunehmenden Versandung der Weser leistete sich die Stadt Bremen diese Ausgründung in Küstennähe, um ihren Anschluss an die Nordsee nicht zu verlieren. Nun besteht durchaus Gefahr, dass das Meer sich Bremerhaven allmählich wieder einverleibt. Einmal mussten die Dämme bereits erhöht werden, damit die See nicht über ihre Ränder tritt und sich das ihr abgetrotzte Stückchen Land zurücknimmt.

Wie wir auf den Anstieg des Meeresspiegels reagieren müssen, darüber zerbrechen sich in Bremerhaven die Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung Tag für Tag den Kopf. Einige Ergebnisse ihrer Arbeit lassen sich in Bremerhavens Klimahaus leibhaftig erfahren. Es ist Teil der „Havenwelten“, von Bremerhavens überflüssig gewordenem Industriehafen, wo nach der Verlagerung der Fischfangindus-trie und der Stahl- und Werftkrise eine Art Museumsinsel mit Museumshafen, Auswandererhaus, Zoo und eben dem Klimahaus entstanden ist. Zweck des Erlebnismuseums ist der Klima-, Arten- und Umweltschutz.

„Das Verstehen von Wetterphänomenen liefert Ansätze für ein nachhaltiges Leben“, erklärt der geschäftsführende Direktor Arne Dunker. Und die meisten Menschen wollen das auch. Aber „ständig poppen irgendwo neue Krisen auf. Da denkt man immer, es gäbe gerade Wichtigeres als den Klimaschutz“, weiß Dunker. Mit seinem Team arbeitet er daran, dass das Thema auf dem Bildschirm bleibt. „Weil ohne Umwelt alles andere überflüssig ist.“ Wie eigentlich jeder weiß. Meteorologen, Geophysiker, Politikwissenschaftler, Ethnologen, Biologen und Tierpfleger arbeiten im Klimahaus, um die Besucher daran zu erinnern. Sie alle appellieren recht leidenschaftlich dafür, sich auch um Probleme zu kümmern, die nicht unmittelbar vor unserer Haustür stattfinden. Weil wir uns die Folgen des Klimawandels gar nicht vom Leib halten können. Zum Beispiel, wenn Menschen ihre Heimat verlassen müssen, weil die Lebensbedingungen nicht mehr erträglich sind oder ihre Heimat schlicht verschwindet. „Und da sprechen wir von ganz anderen Zahlen als von zwei Millionen Syrern“, wie Dunker betont.

Besucher können das bei ihrem Abstecher zu den Tuareg im Niger nachempfinden, wo mehr als 30 Grad herrschen, Zikaden zirpen und die Schuhe im Sand versinken. Dort lässt sich der Klimawandel an einem Menschenleben ablesen. Die Großmutter der kleinen Mariam erzählt, wie es in dieser Wüste früher Wasser gegeben hat und nun der Wind alles wegnimmt: Pflanzen, Getreide, das Futter für die Tiere ist, die wiederum Nahrungsquelle für die Menschen sind. In Kanak, einem Ort im Niger, der auf demselben Längengrad wie Bremerhaven liegt, ist die Ödnis noch weiter fortgeschritten. Eine einsame, schier endlose Sandfläche, auf der es einem im Pulli nun aber endgültig zu heiß wird. Das Einzige, woran das Auge Halt findet, ist ein dürrer Akazienbaum. Alle zwölf Minuten ändert sich hier die Lichtstimmung. Beschleunigt wird der Tag-Nacht-Wechsel simuliert. Als das Dunkel eintritt, hört man drei Regentropfen fallen.

Lang kann es hier kein Mensch aushalten. Weshalb die Bewohner ja auch Nomaden sind. Wozu die Bewohner des Korallenriffs womöglich bald werden. Auch sie erzählen von der Angst, ihre Lebensgrundlage zu verlieren. Ein Anstieg der Meerestemperatur um nur ein Grad bringt ein komplettes Ökosystem zum Kippen und lässt das ganze Riff sterben. Auch die Bewohner über Wasser sterben mit, wenn sie nicht wegziehen, weil sie vom Fischfang leben. Die Korallenbleiche ist also kein Problem, über das wir uns nur im Tauchurlaub ärgern sollten. Auch den Plastikmüll, der schon in entlegensten Teilen der Weltmeere schwimmt, kriegen wir zurück. Wir bekommen ihn mit dem Fisch, der ihn frisst, auf dem Teller serviert. Klar haben wir das alles schon einmal gehört. Aber es sind diese Momente, die einen doch staunen lassen. Momente, in denen der Besucher versteht, wie alles mit allem zusammenhängt. Zum Beispiel auf Sardinien, wo sie auf Insektengröße geschrumpft sind und am eigenen Leib den Schmetterlingseffekt spüren. Oder selbst Wettergott spielen – indem sie die Hoch- und Tiefdruckgebiete über Castrop-Rauxel und Casablanca verschieben. Kurze Zeit später fällt über Sardinien Regen. Was nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass auf der Mittelmeerinsel Wasser schon lang ziemlich knapp ist.

Skeptiker des Klimawandels haben es im Klimahaus schwer. „Der Klimawandel ist völlig unstrittig und seit 20 Jahren wissenschaftlich belegt“, betont der Meteorologe Michael Theusner. „Wer wissen will, wie es um die globale Erwärmung steht, der muss sich das Meer ansehen“, sagt er. Weil Wasser mehr Wärme speichern kann als Luft, werden 90 Prozent der Erderwärmung von den Ozeanen verschluckt. Nur 2 Prozent entweichen in die Atmosphäre. Das Meer bindet auch CO2. In der Reaktion mit Wasser entsteht Kohlensäure – eine Säure. Und die greift Lebewesen an. In einem übersäuerten Milieu können Organismen nicht überleben. Eigentlich müssten die Wissenschaftler, die einem das alles erklären, ziemlich mutlos sein. Aber keiner, der hier arbeitet, ist angetreten, um den Kampf einfach so aufzugeben. „Der Klimawandel ist zu 95 Prozent von Menschen verursacht“, sagt Theusner. Das ist schlimm, bedeutet aber auch: Wir können etwas dagegen tun. Wer das Klimahaus besucht, fängt gewissermaßen schon damit an. Denn aufgrund einer effizienten Haus- und Klimatechnik verringert er im Vergleich zu draußen deutlich seine CO2-Bilanz. Man könnte auch sagen: Sein ökologischer Fußabdruck schrumpft. Wer im Hotel nebenan wohnt, das zusammen mit dem Klimahaus ein Gebäudeensemble in Gestalt eines Segelschiffs bildet, bekommt ein verpackungsfreies Frühstück serviert. Die Küche des Restaurants „Strom“ hat mit der Einführung transparenter Abfalleimer der Lebensmittelverschwendung den Kampf angesagt. Und Übernachtungsgäste können den „Grünen Service“ wählen. Dann wird das Zimmer klimaneutral gereinigt – ohne Chemikalien, Strom- oder Wasserverbrauch.

Ein Tropfen auf den heißen Stein? Vielleicht. Ginge es nach dem Klimahausmeteorologen Michael Theusner, müsste man zum Beispiel „sofort aufhören, Kohle und Erdöl zu verbrennen“. Die Erkenntnis sei längst da, dagegen stünden lediglich Wirtschaftsinteressen. Für ihn ist Eile geboten, höchste Zeit zu reagieren: „Das Klimasystem reagiert extrem gelassen“, betont er. „Das CO2, das wir bis jetzt in die Atmosphäre ausgesetzt haben, wird sich erst in 40 Jahren auswirken. Der Wandel lässt sich auf ein erträgliches Maß begrenzen, aber dazu müssen wir schnell handeln. Schon jetzt ist klar: In 100 Jahren wird es auf der Welt deutlich anders aussehen.“

Die Hallig Langeneß wird es dann wohl nicht mehr geben. Dort sitzt gerade eine Schülergruppe und wartet auf die Flut. Allmählich füllt sich das Becken, in dem die Nordseeinsel nachgebildet ist, mit Wasser. Erst macht den Jugendlichen das An-Land-Springen noch Spaß. Abgeschnitten von der Welt, finden sie's aber ziemlich öde. Zumal es keinen Handyempfang gibt. In Bremerhaven lebt es sich immerhin trockenen Fußes. Noch. Denn Hitzewellen, Wetterkapriolen und leer gefischte Meere sind nicht bloß im Museum zu erleben, auch davor: Die Trawler, die früher in Bremerhaven lagen, fischen längst anderswo. Und schon der Wechsel der Gezeiten lässt den Wasserspiegel im Hafen um drei Meter steigen. Die Erhöhung des Damms 2012 wird nicht die letzte gewesen sein. „70 Prozent der Menschen auf der Erde leben in Küstenorten“, mahnt Theusner. Tritt das Meer über die Ufer, beginnt das Problem gleich hier vor der Tür.

Das Klimahaus (ovales Gebäude links) liegt wie ein Schiff zwischen Schiffen auf Bremerhavens Museumsinsel, den 
„Havenwelten“.
Das Klimahaus (ovales Gebäude links) liegt wie ein Schiff zwischen Schiffen auf Bremerhavens Museumsinsel, den 
„Havenwelten“.
Foto: Klimahaus/Jan Rathke

Unterm Strich

8° Ost 34' sind die Koordinaten, die Bremerhavens Lage auf der Erdoberfläche beschreiben. Die Dauerausstellung im Klimahaus führt Besucher auf dem achten Längengrad einmal um die Welt. Sie machen Station in der Antarktis, der Schweiz, auf Sardinien, Samoa, im Niger, in Alaska und Kamerun.
Perspektiven und Chancen bietet der Klimawandel durchaus. In diesen Ausstellungszonen lernen Besucher spielend, wie sich Klima- und Umweltschutz im Alltag umsetzen lassen. In der Kochschule lernen Kinder den Umgang mit frischem Obst und Gemüse und werden so auf den Geschmack von nachhaltiger Ernährung gebracht. Auskunft über aktuelle Ausstellungen und Öffnungszeiten gibt es im Internet: www.klimahaus-bremerhaven.de