„Abschiebung? Mein Mandant würde in Afghanistan gelyncht“

Anwältin Sandra Buhr (45) geht davon aus, dass der ehemalige Talibankämpfer Hekmat T. in Deutschland bleiben darf. Foto: Morcinek
Anwältin Sandra Buhr (45) geht davon aus, dass der ehemalige Talibankämpfer Hekmat T. in Deutschland bleiben darf. Foto: Morcinek

Er überlebte fast unversehrt den Krieg in Afghanistan – bekam aber im Flüchtlingsheim in Diez ein Messer in den Kopf gerammt: Das Leben von Hekmat T. (21) steckt voller Irrwege und Tragik. Er kämpfte für die Taliban, erzählte dies nach seiner Flucht den deutschen Behörden und sitzt deshalb seit Ende 2016 in Haft. Jetzt hat ihn das Oberlandesgericht Koblenz wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer Terrorvereinigung zu drei Jahren Haft verurteilt. Seine Anwältin Sandra Buhr erzählt im Interview, warum er im Prozess eine Kalaschnikow zusammenbauen musste und nicht nach Afghanistan zurückkann.

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Frau Buhr, Ihr Mandant offenbarte sich in seinem Asylverfahren aus freien Stücken als ehemaliger Talibankämpfer. Warum?

Er hat sich nichts dabei gedacht. Er meinte, er könne in Deutschland nicht für etwas bestraft werden, was er in Afghanistan getan hat. Damals hatte er noch keine Anwältin.

Was wäre passiert, wenn er seine Selbstbezichtigung nach seiner Festnahme widerrufen hätte?

Dann hätte ihn das Gericht möglicherweise freigesprochen.

Warum widerrief er nicht?

Er wollte nicht.

Obwohl er wusste, dass ihm als Talibankämpfer eine mehrjährige Haftstrafe droht?

Er wollte einen Schlussstrich unter seine Vergangenheit ziehen.

Hat sich Ihr Mandant als Talibankämpfer bezichtigt, damit er nicht nach Afghanistan abgeschoben wird und nach seiner Haftzeit in Deutschland bleiben darf? Halten Sie das für möglich?

Nein. Er sagte sehr glaubhaft aus und überzeugte damit auch drei Richter und zwei Bundesanwälte.

Aber er darf nach seiner Haftzeit wohl in Deutschland bleiben?

Ja. Wenn man ihn nach Afghanistan abschiebt, ist er tot. Die Taliban würden ihn als Verräter lynchen.

Der Prozess in Koblenz fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Gab es weitere Besonderheiten?

Das Ungewöhnlichste war wohl, dass mein Mandant im Gerichtssaal ein Sturmgewehr zusammenbauen musste. Das Gericht wollte überprüfen, ob er sich mit den Waffen der Taliban tatsächlich auskennt.

Kannte er sich aus?

Ja, die Taliban haben ihm den Umgang mit einem Gewehr gezeigt.

Warum wurde er Talibankämpfer?

Er wuchs ohne Eltern auf, arbeitete als Schafhirte. Die Taliban bedrängten ihn, ihnen zu helfen. Sie bedrohten ihn. Er hatte Todesangst, irgendwann fügte er sich. Wir müssen in Deutschland vorsichtig sein, wenn wir über eine derartige Entscheidung urteilen wollen.

Wie meinen Sie das?

Ich glaube nicht, dass wir uns in die Situation eines afghanischen Hirten hineindenken können. Ich verachte die Taliban, aber vor meinem Mandanten ziehe ich auch den Hut. Er hat sich so viel Lebensenergie bewahrt, lernt Deutsch, will sich integrieren. Auch das Personal im Gefängnis ist voll des Lobes über ihn.

Ist er ein radikaler Muslim?

Nein, sicher nicht. Er ist auffallend höflich, auch zu Frauen, gibt jedem zur Begrüßung die Hand.

Ihr Mandant wurde 2016 im Flüchtlingsheim in Diez niedergestochen. Ein Landsmann rammte ihm grundlos ein Messer in den Kopf, bis die Spitze abbrach ...

Ja, das war furchtbar. Er hat es körperlich zwar gut verkraftet, leidet aber noch an Angstzuständen.

Das Gespräch führte Hartmut Wagner