Wahl in Großbritannien: Theresa May kämpft um ihr Amt

Theresa May kämpft um ihr Amt. dpa
Theresa May kämpft um ihr Amt. dpa Foto: dpa

Als Theresa May britische Innenministerin wurde, orakelten Mitarbeiter schon nach wenigen Tagen: „Die wird bestimmt einmal Premierministerin.“ So ehrgeizig und selbstsicher trat die Konservative damals auf. Inzwischen hat sie diesen Posten bekanntlich längst erobert. Mit einer vorgezogenen Parlamentswahl will sie sich aber an diesem Donnerstag den Rücken für die Brexit-Verhandlungen mit der Europäischen stärken.

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Als sie die Neuwahl überraschend ankündigte, war May sichtlich nervös. Das ist eigentlich eher untypisch für die 60-jährige Politikerin. Ob es um die Scheidung von der Europäischen Union oder um den Ärger mit den nach Unabhängigkeit strebenden Schotten geht – meistens gibt sie sich typisch britisch: Keep a stiff upper lip. Bewahre die Haltung!

Kritiker werfen Theresa May vor, höchst nachtragend zu sein

Kritiker werfen ihr hingegen vor, eiskalt zu sein. Die Journalistin Rosa Prince zeichnet in ihrer Biografie „Theresa May. Die rätselhafte Premierministerin“ das Bild einer Politikerin, die schon als Kind Regierungschefin werden wollte und sehr nachtragend sei. Sie handele nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Wer ihr in die Quere komme, könne noch Jahre später seinen Posten verlieren. Gefürchtet sei ihr Spruch: „Ich bin sehr enttäuscht.“ Mitarbeiter schätzen aber auch ihre Unaufgeregtheit und Beharrlichkeit. Die Frau scheint schwer einzuordnen zu sein.

Seit ihrem Amtsantritt vor knapp einem Jahr zeigt sich die Premierministerin ganz besonders kampfbereit. Mantrahaft wiederholt sie Phrasen wie „Brexit heißt Brexit“. Regelrecht bissig wurde sie, als pikante Details eines Treffens mit dem Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, durchsickerten. Juncker werde schon sehen, dass sie eine „verdammt schwierige Frau“ sei, sagte May anschließend säbelrasselnd. Auch im Kampf gegen den Terror gibt sie sich entschlossen. Sie kündigte an, den radikalen Islamismus aus der britischen Gesellschaft „auszurotten“. Zugleich unterstützte die Regierungschefin gezielte Schüsse der Polizei mit Tötungsabsicht auf Angreifer.

Doch in den vergangenen Monaten wurde die 60-Jährige auch oft als Zauderin wahrgenommen, die rhetorisch geschickt wenig Inhalt in viel Verpackung hüllt – gerade beim heiklen Thema Brexit. So erschien ein Foto von ihr auf dem Titelblatt des Magazins „Economist“. Überschrift: „Theresa Maybe“ – „Theresa Vielleicht“.

Auf Schleudersitz Innenministerium hat sie erstaunlich lang ausgeharrt

Sie hänge die Fahne nach dem Wind, um politische Lager zu besänftigen und für sich das Beste herauszuholen. „Theresa May sagt in Interviews völlig unterschiedliche Dinge“, kritisierte Simon Hix von der London School of Economics and Political Science. „Mal tritt sie für einen harten Brexit ein, dann für einen etwas weicheren“, sagte der Politikwissenschaftler. Zuerst schloss sie eine Neuwahl aus, jetzt müssen die Briten doch vorzeitig ihre Stimme abgeben. Von 2010 bis 2016 war May Innenministerin in zwei Regierungen unter Premierminister David Cameron und hatte schwierige Themen wie Einwanderung, Terrorabwehr, Polizei und Kindesmissbrauch zu verantworten. Das Amt könnte ihr jetzt angesichts der jüngsten Terroranschläge noch zum Verhängnis werden. Denn seit 2010 seien 20.000 Arbeitsplätze bei der Polizei eingespart worden, rechnet Jeremy Corbyn von der oppositionellen Labour-Partei jetzt vor und forderte May zum Rücktritt auf. Ihre Befürworter hingegen halten ihr zugute, dass sie auf dem Schleudersitz als Innenministerin länger als viele Vorgänger ausharrte.

Und auch in Sachen Brexit lässt die Premierministerin für viele eine klare Linie vermissen. Im Anlauf zum Referendum schlug sie sich auf die Seite von Camerons Pro-EU-Lager, blieb aber EU-kritisch. Auch hier: Sie wollte es sich mit keiner Seite verderben. Das machte sie zur idealen Kompromisskandidatin für die zerstrittenen Lager der Konservativen.

May studierte Geografie in Oxford und arbeitete für die englische Notenbank. Sie machte schon früh Lokalpolitik und erklomm Sprosse für Sprosse die Karriereleiter. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sie einige Gemeinsamkeiten. Beide sind Pastorentöchter und lang verheiratet, aber kinderlos. Und wie die Kanzlerin redet May wenig über sich selbst. Mit ihrem strengen Auftreten erinnert die Premierministerin manchmal auch an ihre einzige weibliche Vorgängerin, an die Eiserne Lady Margaret Thatcher. Thatchers Markenzeichen waren die Handtaschen. Jeder Brite versteht den Begriff „handbagging“ – die Bezeichnung für den Moment, in dem ein männlicher Politiker von der Eisernen Lady verbal eins übergezogen bekam.

Mays Markenzeichen sind ausgefallene Schuhe. Sie bevorzugt dabei knallige Farben und Leopardenfellmuster. Auch beim ersten Treffen mit Angela Merkel entschied sie sich für Wildtiermuster, bei einem Presseempfang in London für Ballerina-Schuhe mit pinken Kussmündern. Oft wird die Auswahl ihres Schuhwerks politisch gedeutet – mal verkörpert sie demnach Aufbruchstimmung, mal Angriffslust. In schwarzen, oberschenkellangen Lackstiefeln empfing sie im Jahr 2015 den mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto und machte vor der anwesenden Queen einen Hofknicks. „Ihr Stil ist eine Mischung aus strenger Schuldirektorin und Domina“, lästerte damals eine Boulevardzeitung.

Die Rolle des Stilberaters übernimmt ihr Ehemann Philip. Die pakistanische Politikerin Benazir Bhutto hatte die beiden einander in einer Disco vorgestellt. Es war „Liebe auf den ersten Blick“, wie das Paar versicherte. Ihr Philip begleite sie beim Shoppen und habe ein gutes Auge für Accessoires, sagte May. Auch Politisches erörtert sie mit ihm: Der Entschluss zur Neuwahl sei endgültig bei einem Wanderurlaub mit Philip gefallen, berichtete May.

Silvia Kusidlo

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Brexit

„Brexit heißt Brexit“: Mit dem Mantra Mays würde auch Jeremy Corbyn nicht brechen. Allgemein gesprochen dürfte eine Labour-geführte Regierung in London für die EU aber der angenehmere Verhandlungspartner sein. Dass die Briten sich wegen festgefahrener Positionen ganz ohne „Deal“ aus der EU verabschieden, haben die Sozialdemokraten im Wahlprogramm schon mal ausgeschlossen. Dagegen sagen die Konservativen: lieber keinen Deal als einen „schlechten“.

Deutsche auf der Insel

Mehr als drei Millionen EU-Ausländer leben in Großbritannien, darunter auch viele Deutsche. Labour, die Liberaldemokraten und die schottische Nationalpartei wollen die Rechte von EU-Bürgern im Land erhalten. Die Konservativen sind da nicht so entgegenkommend und machen das von den Verhandlungen über den EU-Austritt abhängig. Es könnte zum Beispiel um Themen wie Familiennachzug gehen. Die Freizügigkeit wird mit dem Brexit allerdings ziemlich sicher eingeschränkt. Egal, wie die Wahl ausgeht.

Handel

Großbritannien ist für Deutschland dem Auswärtigen Amt zufolge der fünftwichtigste Handelspartner und der drittwichtigste Exportmarkt. Mehr als 2500 deutsche Unternehmen haben Niederlassungen im Vereinigten Königreich, in Deutschland sind rund 3000 britische Unternehmen engagiert. Die Konservativen wollen den europäischen Binnenmarkt und die Zollunion verlassen, Labour würde lieber aushandeln, dass die Briten ein Teil davon bleiben.

Kooperation

Auch in anderen vom EU-Austritt betroffenen Bereichen will Labour engere Verbindungen mit der EU halten. Sie wollen zum Beispiel im europäischen Austauschprogramm Erasmus bleiben, im EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, Horizont 2020, in der Europäischen Arzneimittel-Agentur und in der europäischen Atomgemeinschaft Euratom. Im Wahlprogramm der Tories gibt es solche konkreten Pläne nicht.

Weltpolitik

Die Briten haben einen von fünf ständigen Sitzen im UN-Sicherheitsrat und beteiligen sich mehr als Deutschland an Militäreinsätzen, etwa im Kampf gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS). Beide großen Parteien legen – erst recht in Brexit-Zeiten – großen Wert auf Allianzen wie die Nato. Die Unterschiede zwischen den außenpolitischen Plänen sind überschaubar, weil Corbyn seine früheren, eher radikal-linken Haltungen nicht durchboxen will (oder kann). Ins britische Atomwaffenprogramm Trident wollen beide investieren, Labour strebt aber eine atomwaffenfreie Welt an.

Mays politische Gegner

Am Donnerstag wird in Großbritannien gewählt. Das sind die Kontrahenten von Theresa May – und deren wichtigste Standpunkte im britischen Wahlkampf.

1 Jeremy Corbyn: Der 68-jährige Labour-Chef Jeremy Corbyn ist ein Meister der Polarisierung. Die einen verehren den Altlinken wie einen Guru. Er bescherte der Arbeiterpartei einen enormen Mitgliederzuwachs. Die anderen sehen in ihm nur einen Sturkopf, der sich nicht stark genug gegen den Brexit gestellt hat. Umfragen zeigen, dass nur eine kleine Minderheit der Briten ihm das Amt des Premierministers zutraut. Trotz aller Angriffe bleibt Corbyn stets sachlich. Angriffe, Schmähungen, widersprüchliche Aussagen? „Das ist nicht mein Stil“, sagte der in dritter Ehe verheiratete Politiker, der ein bisschen wie ein zerstreuter Professor wirkt.

2 Tim Farron: Die Liberaldemokraten sind immer gegen den Brexit gewesen. Sie haben stets ihren Kurs beibehalten – wie ihr Chef Tim Farron (47). Seit 2005 sitzt er im Parlament, 2015 wurde er zum Chef der Liberaldemokraten gewählt. Aufsehen erregte Farron, als er gegen ein Gesetz zur Erhöhung der Studiengebühren und damit gegen die Parteilinie stimmte. Farron ist sehr gläubig. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne und zwei Töchter.

3 Nicola Sturgeon: Die kämpferische Chefin der Regionalregierung in Edinburgh, Nicola Sturgeon, wird „Königin von Schottland“ genannt. Schon als Jugendliche trat sie in die Schottische Nationalpartei (SNP) ein, deren Ziel die Unabhängigkeit des Landesteils von Großbritannien ist. Sie mischt kräftig im Wahlkampf fürs Londoner Parlament mit, obwohl sie selbst nicht zur Wahl steht. Die Mehrheit der Schotten ist gegen den Brexit und will im EU-Binnenmarkt bleiben. Sturgeon liegt im Clinch mit Premierministerin May und kündigte ein neues Unabhängigkeitsreferendum an. Daneben sind nukleare Abrüstung und Sozialpolitik ihre Herzensangelegenheiten.

4 Paul Nuttall: Eigentlich sollte Paul Nuttall die EU-feindliche UK Independence Party (Ukip) wieder auf Kurs bringen. Doch dem 40-Jährigen gelang es bei einer Nachwahl nicht, einen Sitz im Parlament zu erobern – und das ausgerechnet in einer Brexit-Hochburg. Dann kollabierte seine Partei bei den Kommunalwahlen. Der einzige Ukip-Abgeordnete im Parlament gab auch noch sein Mandat auf. Kurzum: Die Rechtspopulisten kämpfen ums Überleben. Von dem dandyhaften Charisma des Ex-Ukip-Chefs Nigel Farage ist er aber weit entfernt.

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