Der Pegida-Rechercheur

Ulrich Wolf deckte unter anderem die kriminelle Vergangenheit des Pegida-Wortführers Lutz Bachmann auf und entwirrte das komplizierte Netzwerk hinter der Bewegung.
Ulrich Wolf deckte unter anderem die kriminelle Vergangenheit des Pegida-Wortführers Lutz Bachmann auf und entwirrte das komplizierte Netzwerk hinter der Bewegung. Foto: Thomas Kretschel/kairospress

Der Reporter Ulrich Wolf kennt Pegida und ihre Strukturen wie kein Zweiter. Dafür erhält er gerade 
etliche Journalistenpreise – und wird von „besorgten Bürgern“ diffamiert. Wolf quält die Frage, ob er eine Mitschuld am Erfolg der 
Bewegung hat.

Lesezeit: 6 Minuten
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Von unserem Redakteur Stefan Hantzschmann

Heiser brüllen die Menschen: „Lügenpresse, Lügenpresse, Lügenpresse!“ Die „besorgten Bürger“ ziehen in Richtung der Leipziger Thomaskirche. Als Journalist spürt man im Inneren des Legida-Zuges hölzerne Fahnenstangen im Rücken. „Verpiss dich, du dreckiges Lügenschwein!“ kläfft ein Mann. Drüben an der Thomaskirche, wo jedes Wochenende der Leipziger Thomanerchor singt und im Sommer manchmal Studenten klassische Musik für die Passanten spielen, stehen die Gegendemonstranten. „Haut ab! Haut ab! Haut ab!“, schreien sie. Ein Reporter ärgert sich, dass er die „Jagdszenen“ verpasst hat, als Hunderte aus Dresden angereiste Pegida-Anhänger vom Bahnhof auf den Kundgebungsplatz strömten und die wütenden Bürger nur wenige Meter von den linken Aktivisten am Bürgersteig trennten – ein Nadelöhr der Wut. Ein Mittzwanziger, Sonnenbrille, Kapuze, bunte Jacke, faucht den Asylgegnern ohne Atempause Provokationen zu: „Du Nazisau, ja, genau du, du bist dumm wie Brot, du fettes Schwein!“ Sein Hals verkrampft dabei. Ein Legida-Montag in Leipzig, ein ruhiger.

Einen Tag später sitzt Ulrich Wolf, Reporter der „Sächsischen Zeitung“, in einem Dresdner Café und lädt Frust ab, über die Pegida-Bewegung und ihren Chef Lutz Bachmann, über die Verschwörungstheoretiker und Medienhasser. Auch das Gefühl der Enttäuschung bahnt sich an diesem Dienstagnachmittag seinen Weg – über die Menschen hier in Sachsen, seiner Wahlheimat, seit 25 Jahren nun schon. Der 51-Jährige gilt als Deutschlands erfahrenster Pegida-Reporter. Kein anderer Journalist hat sich bisher so tief in die Abgründe dieser Bewegung gewühlt wie Ulrich Wolf.

Etwa jeden zweiten Montag geht Wolf zur Dresdner Pegida-Demo. Eine schwarz-rot-goldene Mütze auf seinem Kopf half ihm lange dabei, nicht sofort erkannt zu werden – bis sie ihm von einem Antifa-Aktivisten vom Kopf gezogen wurde. Wolf ist ein Riese mit tiefer Stimme, kurzen, weißen Haaren und dem nachdenklichen Gang eines Akademikers. Statur und Bewegungen dieses Mannes vermitteln Ruhe und Bodenkontakt.

Fragt man Ulrich Wolf, warum Pegida gerade in Sachsen entstehen konnte, hat er viele Erklärungen parat. Doch am Ende bleibt auch bei ihm eine gewisse Ratlosigkeit. „Ich habe mich oft gefragt, ob es eine Leere in den Herzen gibt. Vielleicht liegt es einfach an fehlenden Grundwerten, seien sie über das Christentum vermittelt oder vom Sozialismus, dass der Virus des Hasses es hier so leicht hat, sich zu verbreiten. Aber die Ungarn und Polen sind mehrheitlich katholisch. Und dort ist es auch nicht besser“, sagt Wolf und betont, dass das nur „eigene Gedankenspiele“ sind. Er klingt fast verzweifelt. Und er macht sich Vorwürfe.

Angefangen hatte alles mit einer geschlossenen Facebook-Gruppe und einer Demo im Oktober 2014. Ein paar Hundert Menschen versammeln sich vor der Dresdner Frauenkirche, um gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ zu demonstrieren. Menschen aus der Kneipenszene Dresdens, sagt Wolf, auch aus der Sportszene, viele Kleinst- und Scheinselbstständige, „und vielleicht ein Drittel übliche Verdächtige“ – NPD-Anhänger, Rechtsradikale. Am 3. Dezember erschien in der „Sächsischen Zeitung“ (SZ) von Ulrich Wolf und drei seiner Kollegen das sorgfältig recherchierte Porträt „Pegida persönlich“. Die SZ-Reporter nehmen darin das bürgerliche Image des Pegida-Wortführers Lutz Bachmann erbarmungslos auseinander und decken auf, was der schon auf dem Kerbholz hat: Einbrüche, Drogendelikte, Körperverletzung, Fahren ohne Führerschein, Kontakte ins Rotlichtmilieu, Flucht vor der deutschen Justiz, dann Haft und später Trunkenheit am Steuer sowie Verstöße gegen die Unterhaltspflicht. „Wir wollten zeigen, wem die Menschen da eigentlich hinterherlaufen“, sagt Wolf, als müsste er sich entschuldigen. 7500 Menschen zählte die Dresdner Polizei am Montag vor Erscheinen des Artikels, 19 000 Demonstranten zählte sie an dem Montag danach. „Manchmal denke ich darüber nach, was passiert wäre, wenn die Medien gar nicht darüber geschrieben hätten. Die Pegida-Leute haben sehr schnell mitbekommen, dass man in der Medienbranche Tabus brechen und provozieren muss, um groß rauszukommen. Viele Journalisten, auch wir, sind immer wieder über diese Provokationsstöckchen gesprungen, die sie uns hingehalten haben. Wie dressierte Hunde.“

Mag sein, dass nicht nur Wolfs Recherchen dazu geführt haben, dass Pegida auch für überregionale Medien interessant wurde und bundesweit bekannte Politiker in Berlin begannen, über die Bewegung zu schimpfen. Doch die Frage, ob Wolf wenigstens dabei half, beschäftigt ihn massiv. Denn seit es Pegida gibt, geht in Sachsen ein Riss durch die Gesellschaft.

Wolf sagt, dass es in seiner rund 25-jährigen journalistischen Karriere das erste Thema ist, bei dem er nach einem Arbeitstag nicht einfach die Tür seines Büro schließen und zu Hause davon Abstand nehmen kann. „Ich lebe so lange hier, und ich bin so maßlos enttäuscht“, sagt er. In seinem Bekanntenkreis zerbrechen momentan Ehen am Disput über die Bewegung. In der Straßenbahn ertappt er sich dabei, wie er Menschen danach mustert, ob sie bei den montäglichen Demonstrationen mitlaufen könnten. In seinem Familienkreis wird das Thema kontrovers diskutiert, auch im Sportverein. Als Journalist bekommt Wolf aber auch den Druck der Masse immer heftiger zu spüren.

Für Pegida-Anhänger gehört Ulrich Wolf zur „Lügenpresse“.
Für Pegida-Anhänger gehört Ulrich Wolf zur „Lügenpresse“.
Foto: dpa

Am 22. Dezember 2014 erscheint der Artikel „Pegida – Wie alles begann“. Das Branchenblatt „medium magazin“ hält den Text von Ulrich Wolf und seinen Kollegen für beispielhaft guten Journalismus und druckt die Geschichte deshalb erneut. Die „SZ“-Reporter zeichnen das komplizierte Geflecht von Personen und Gruppen nach, das Pegida zu einer Massenbewegung machte. In Wolfs Büro hängt eine Tafel mit Fotos, Pfeilen und Artikeln zu wichtigen Pegida-Akteuren. Wie Kriminalbeamte haben die Journalisten das Netzwerk der „Patriotischen Europäer“ entwirrt, sortiert und in einem Seite-drei-Artikel beschrieben.

Am Abend des Erscheinungstages steht Ulrich Wolf wieder unter den Pegida-Demonstranten. Die Menschen brüllen „Lügenpresse! Lügenpresse! Lügenpresse!“, als Lutz Bachmann die seiner Meinung nach verlogensten Medien vorliest. Vor 20 000 Demonstranten sagt Bachmann: „Der dritte Platz geht diese Woche an den Kollegen Wolf von der ‚Sächsischen Zeitung‘.“ Tausende Menschen buhen den Reporter und die „SZ“, die Bachmann Fischeinwickelpapier nennt, aus. „Das war zwei Tage vor Weihnachten kein besonders gutes Gefühl“, sagt Wolf. Das Video kann man sich immer noch auf YouTube anschauen.

Die Stimmung gegen Ulrich Wolf ändert sich später, als der Journalist aufdeckt, dass die Fotos von Bachmann mit Hitler-Bärtchen wohl ohne Bärtchen entstanden waren. Die Bilder machten dem Pegida-Chef Anfang 2015 schwer zu schaffen, im Januar trat er sogar für kurze Zeit zurück. Bachmanns Friseurin hatte die Fotos geschossen, als es Pegida noch gar nicht gab. Im Gespräch mit Wolf beteuerte sie, dass Bachmann zwar einen Scheitel, jedoch kein Bärtchen trug. Außerdem wird klar, dass die Fotos tatsächlich satirisch, aus Jux entstanden waren. „Da wollte ihm vermutlich jemand gezielt schaden“, vermutet Wolf. Der „SZ“-Reporter schreibt den Artikel „Waschen, Schneiden, Blödeln“. Der Artikel wird in den sozialen Netzwerken zigmal geteilt. Plötzlich ist die „Sächsische Zeitung“ keine „Lügenpresse“ mehr.

Es kommen Treffen zwischen Wolf und der Führungsriege von Pegida zustande. Mehr als zehn Stunden lang, schätzt Wolf, unterhält er sich bei mehreren Treffen mit Bachmann – so lange wie wohl kein zweiter Journalist. Ein paar Wochen später bricht der Kontakt wieder ab. Ulrich Wolf hatte einen weiteren Artikel über Pegida geschrieben – diesmal wieder einen kritischen.

Der Gegenschlag kommt aber erst, als der „SZ“-Reporter vom „medium magazin“ zum Journalisten des Jahres gekürt wird – in der Kategorie Reporter regional. Bei der Preisverleihung in Berlin gibt Wolf einen Ausblick, wie es seiner Einschätzung nach mit Pegida weitergehen könnte. Seine Vermutung: Bachmann verliert an Einfluss, und AfD-Kader übernehmen nach und nach das Ruder. Was dann folgt, will Wolf lange nicht in der Zeitung lesen, inzwischen geht er auch damit offensiv um: Pegida-Organisatoren finden nach einer Strafanzeige bei der Dresdner Polizei heraus, dass seine 19-jährige Tochter zu Silvester in Hamburg – analog zu den Kölner Vorkommnissen – ebenfalls sexuell belästigt worden war. Auf Facebook wird Wolf daraufhin diffamiert nach dem Motto: „Das ist der Journalist, der seine Tochter auf dem Altar von Multikulti opfert.“ Dazu stellt Pegida das Video von der Preisverleihung in Berlin. In den Kommentaren der Pegida-Unterstützer zu dem Post entdeckt er auch die ehemalige Betreuerin seiner jüngsten achtjährigen Tochter, die, so Wolf, „in unserer Wohnung jede Kaffeetasse kennt“.

Irgendwann wird die „Sächsische Zeitung“ wieder eine Enthüllungsgeschichte über Pegida drucken. Ob Ulrich Wolf dann wieder in der Autorenzeile stehen wird? Er wolle für ein paar Monate eine Pegida-Pause machen, sagt er Mitte Februar. Doch die Auszeit währt nur bis März, als er gemeinsam mit dem Recherchenetzwerk Correctiv die Stasi-Vergangenheit eines Anwalts aufdeckt, der für Pegida die Finanzen über ein Treuhandkonto verwaltete.

Wissenswertes

Ulrich Wolf wurde 1964 in Geldern/Niederrhein geboren und lebt inzwischen seit mehr als 25 Jahren in Sachsen. Der heute 51-Jährige studierte Journalistik, Politik und Soziologie in Eichstätt, Rio de Janeiro und Leipzig. Später arbeitete Wolf unter anderem als Nachrichtenredakteur beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), als Pressesprecher der Dresdner Bank für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und kam im Jahr 2000 zur „Sächsischen Zeitung“ (SZ). 2004 erhielt Wolf den Helmut-Schmidt-Journalistenpreis (dritter Platz) für seinen Artikel „Das große Rendite-Dilemma“ über die Sachsen LB.
Seit 2011 ist Ulrich Wolf Seite-drei-Reporter bei der „Sächsischen Zeitung“. Für seine aufwendig recherchierten Artikel über Pegida wurde Ulrich Wolf im Februar dieses Jahres vom „medium magazin“ zum Journalisten des Jahres gekürt – in der Kategorie Reporter regional. Anfang April wurde Ulrich Wolf mit dem Wächterpreis der Tagespresse (zweiter Platz) ausgezeichnet.