Gescheitert: Frauke Petry droht das Aus
Es ist der Höhepunkt des AfD-Parteitages in Köln – und der Tiefpunkt der politischen Karriere von Frauke Petry. Beobachter rätseln, wie lange sie noch AfD-Chefin sein wird. Sie selbst sagt: „Ich bleibe im Amt.“ Und doch sät sie Zweifel, wenn sie erklärt: Sie behalte sich vor, sich die Entwicklung der Partei in den kommenden Monaten des Wahlkampfes sehr genau anzusehen. Sie ist hochschwanger, erwartet bald ihr fünftes Kind.
Eigentlich wollte die AfD-Chefin gestärkt aus dem Parteitag hervorgehen und die 560 Delegierten auf einen neuen Kurs einschwören. Sie behauptete in ihrem „Zukunftsantrag“, es gäbe in ihrer Partei zwei Lager: die Fundamentaloppositionellen und die Realpolitiker. Petry zählt sich zu den Realpolitikern. Sie forderte die Delegierten auf, sich ihr anzuschließen, damit die AfD ab 2021 auf Bundesebene eine Regierungskoalition bilden könne. Aber: Ihr Antrag scheiterte. Die Delegierten weigerten sich mehrheitlich, ihn auf die Tagesordnung zu nehmen. Sie lehnten die Strategiedebatte ab – obwohl Petry sie zur Chefsache erklärt hatte.
Flugverbotszone über der City
Der Parteitag fand im Maritim-Hotel am Heumarkt im Zentrum von Köln statt. Drinnen demontierten die AfD-Delegierten ihre Chefin, draußen protestierten gut 10.000 Menschen gegen die Veranstaltung. 4000 Polizisten sperrten Straßen, den Rheinufertunnel und die Deutzer Brücke. Am Hotel standen Räumpanzer und Wasserwerfer. Über der Innenstadt gab es eine Flugverbotszone. Die meisten Demonstranten blieben friedlich. Doch einige versuchten, AfD-Mitglieder am Betreten des Hotels zu hindern. Zwei Polizisten wurden verletzt.
Petry hatte seit gut zwei Wochen für ihren „Zukunftsantrag“ geworben – erntete aber harsche Kritik. Vor allem von AfD-Vize Alexander Gauland. Sie erklärte in ihrem Antrag: Gauland sei ein Fundamentaloppositioneller und der Hauptakteur des anderen Lagers. Der aber nannte Petrys Vorwurf eine Luftnummer und kritisierte, sie reiße Gräben auf, wo keine sind.
Als Petry den Parteitag eröffnet, rudert sie zurück. Sie entschuldigt sich in ihrer Rede dafür, Gauland in ihrem Antrag erwähnt zu haben. Das sei ein Fehler gewesen. Sie bietet ihm an, ihren Antrag gemeinsam zu überarbeiten. Anfangs scheint es, als hätte sie die Delegierten hinter sich. Sie erhält freundlichen Applaus, auch ein paar „Frauke!“-Rufe sind zu hören.
Doch dann kassiert die AfD-Chefin den ersten Denkzettel. Es beginnt ausgerechnet mit dem rheinland-pfälzischen AfD-Chef Uwe Junge (Mayen-Koblenz), der als Vertrauter Petrys gilt. Er war neben ihr einer der sieben Initiatoren des „Zukunftsantrags“ und sollte diesen auf dem Parteitag vorstellen. Doch er ist plötzlich verschwunden, als es so weit ist. Und niemand will seine Aufgabe übernehmen. Der Antrag wird darum gar nicht vorgestellt.
Junge spricht gegenüber unserer Zeitung von einem Missverständnis. Zugleich betont er: „Ich bin nicht der Steigbügelhalter von Frauke Petry.“ Er unterstützte ihren „Zukunftsantrag“, habe ihr aber vor dem Parteitag vergeblich geraten, diesen gründlich zu überarbeiten oder zurückzuziehen.
Nach monatelangen Machtkämpfen hatte Petry vergangene Woche in einer Videobotschaft erklärt, nicht AfD-Spitzenkandidatin im Bundestagswahlkampf werden zu wollen. Obwohl sie als Parteichefin dafür prädestiniert gewesen wäre und als Spitzenkandidatin beste Chancen auf den Vorsitz einer möglichen AfD-Bundestagsfraktion gehabt hätte.
Der Parteitag reagiert auf Petrys Rückzug. Die Delegierten wählen ein Führungsduo aus Alexander Gauland und Alice Weidel, die seit 2015 Mitglied im Parteivorstand ist. Außerdem verabschieden sie nach stundenlangen Debatten das knapp 70-seitige AfD-Programm für die Bundestagswahl am 24. September.
Petry verhaspelt sich in Köln oft in Endlossätzen, während Meuthen kurze Botschaften formuliert: „Deutschland ist unser Land!“, ruft er in den Saal. „Es ist das Land unserer Großeltern und Eltern. Und es ist unsere Bürgerpflicht, es auch noch das Land unserer Kinder und Enkel sein zu lassen.“ Je länger Meuthen spricht, umso mehr Beifall erhält er. Er greift Petry nicht direkt an, aber er meint sie, wenn er Debatten über Fundamentaloppositionelle und Realpolitiker ablehnt: „Lassen wir das!“ Oder wenn er über die Spitzenpolitiker von CDU, SPD und Grünen schimpft: „Mit diesen Figuren werden wir keine Koalition eingehen.“
Petry hätte wissen können, dass sie sich mit ihrem „Zukunftsantrag“ nicht durchsetzen wird. Wer wollte, konnte ihn im Internet unterzeichnen – bis Freitag kamen aber nur 1719 Unterschriften zusammen, obwohl die AfD 25.000 Mitglieder hat. Außerdem gab es kürzlich eine Telefonkonferenz mit Vertretern von 13 AfD-Landesverbänden. Dabei stimmten zwölf Verbände gegen den Antrag, nur ein Verband unterstützte ihn, ihr eigener, der sächsische. Die rheinland-pfälzische AfD-Vize-Chefin Christiane Christen (Ludwigshafen) war bei der Konferenz mit Petry dabei. Im Gespräch mit unserer Zeitung berichtet sie: „Man empfahl ihr, den Antrag zurückzunehmen. Die Stimmung war eindeutig.“
Ein Handkuss zur Versöhnung
Das Scheitern des „Zukunftsantrags“ war eine schwere politische Pleite für Petry – aber nur wenige AfD-ler in Rheinland-Pfalz räumen das ein. Am deutlichsten ist Christen: „Ja, das war eine Niederlage. Ich glaube, das hat jeder so wahrgenommen.“ AfD-Chef Junge ist vorsichtiger: „Das war sicher nicht förderlich für Petrys Reputation.“ Der AfD-Landtagsabgeordnete Jan Bollinger (Neuwied) will nicht von einer Niederlage sprechen, ebenso Sebastian Münzenmaier (Mainz), der rheinland-pfälzische AfD-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl. Beide betonen, dass der Parteitag den Antrag nicht inhaltlich ablehnte, sondern sich nur nicht damit befassen wollte.
Am Sonntag, dem zweiten Tag des Parteitages, tritt Alexander Gauland ans Saalmikrofon und wirbt um Versöhnung: „Liebe Frauke Petry, ich weiß, dass Sie gestern einen schweren Tag hatten. Aber wir brauchen Sie in der Partei. Und wir brauchen Sie im Wahlkampf.“ Tosender Applaus und deutlich mehr „Frauke!“-Rufe als tags zuvor nach der Eröffnungsrede der Parteichefin. Gauland fordert, dass der innerparteiliche Konflikt nun beendet und nur noch mit politischen Gegnern gestritten wird. Dann geht er zu Petry und küsst ihr die Hand.
Und Frauke Petry? Sie definiert ihre Rolle als AfD-Chefin künftig so: „Solange die Partei nicht erkennen lässt, wohin sie tatsächlich gehen möchte, müssen Protagonisten den Wahlkampf anführen, die mit dieser Nicht-Entscheidung besser leben können als ich.“
Hartmut Wagner