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Gescheitert: Frauke Petry droht das Aus

Frauke Petry.
Frauke Petry. Foto: dpa

Der Saal tobt, als Frauke Petry ihre größte Niederlage erlebt. Hunderte AfD-ler springen von den Stühlen und applaudieren, aber die Parteichefin ignoriert das. Sie bleibt auf dem Podium sitzen und spielt an ihrem Handy. Ihr Kopf ist gesenkt, ihre Miene versteinert. Neben ihr steht Co-Parteichef Jörg Meuthen. Ihr Rivale blickt in die Menge und genießt seinen Beifall.

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Es ist der Höhepunkt des AfD-Parteitages in Köln – und der Tiefpunkt der politischen Karriere von Frauke Petry. Beobachter rätseln, wie lange sie noch AfD-Chefin sein wird. Sie selbst sagt: „Ich bleibe im Amt.“ Und doch sät sie Zweifel, wenn sie erklärt: Sie behalte sich vor, sich die Entwicklung der Partei in den kommenden Monaten des Wahlkampfes sehr genau anzusehen. Sie ist hochschwanger, erwartet bald ihr fünftes Kind.

Eigentlich wollte die AfD-Chefin gestärkt aus dem Parteitag hervorgehen und die 560 Delegierten auf einen neuen Kurs einschwören. Sie behauptete in ihrem „Zukunftsantrag“, es gäbe in ihrer Partei zwei Lager: die Fundamentaloppositionellen und die Realpolitiker. Petry zählt sich zu den Realpolitikern. Sie forderte die Delegierten auf, sich ihr anzuschließen, damit die AfD ab 2021 auf Bundesebene eine Regierungskoalition bilden könne. Aber: Ihr Antrag scheiterte. Die Delegierten weigerten sich mehrheitlich, ihn auf die Tagesordnung zu nehmen. Sie lehnten die Strategiedebatte ab – obwohl Petry sie zur Chefsache erklärt hatte.

Flugverbotszone über der City

Der Parteitag fand im Maritim-Hotel am Heumarkt im Zentrum von Köln statt. Drinnen demontierten die AfD-Delegierten ihre Chefin, draußen protestierten gut 10.000 Menschen gegen die Veranstaltung. 4000 Polizisten sperrten Straßen, den Rheinufertunnel und die Deutzer Brücke. Am Hotel standen Räumpanzer und Wasserwerfer. Über der Innenstadt gab es eine Flugverbotszone. Die meisten Demonstranten blieben friedlich. Doch einige versuchten, AfD-Mitglieder am Betreten des Hotels zu hindern. Zwei Polizisten wurden verletzt.

Petry hatte seit gut zwei Wochen für ihren „Zukunftsantrag“ geworben – erntete aber harsche Kritik. Vor allem von AfD-Vize Alexander Gauland. Sie erklärte in ihrem Antrag: Gauland sei ein Fundamentaloppositioneller und der Hauptakteur des anderen Lagers. Der aber nannte Petrys Vorwurf eine Luftnummer und kritisierte, sie reiße Gräben auf, wo keine sind.

Als Petry den Parteitag eröffnet, rudert sie zurück. Sie entschuldigt sich in ihrer Rede dafür, Gauland in ihrem Antrag erwähnt zu haben. Das sei ein Fehler gewesen. Sie bietet ihm an, ihren Antrag gemeinsam zu überarbeiten. Anfangs scheint es, als hätte sie die Delegierten hinter sich. Sie erhält freundlichen Applaus, auch ein paar „Frauke!“-Rufe sind zu hören.

Doch dann kassiert die AfD-Chefin den ersten Denkzettel. Es beginnt ausgerechnet mit dem rheinland-pfälzischen AfD-Chef Uwe Junge (Mayen-Koblenz), der als Vertrauter Petrys gilt. Er war neben ihr einer der sieben Initiatoren des „Zukunftsantrags“ und sollte diesen auf dem Parteitag vorstellen. Doch er ist plötzlich verschwunden, als es so weit ist. Und niemand will seine Aufgabe übernehmen. Der Antrag wird darum gar nicht vorgestellt.

Junge spricht gegenüber unserer Zeitung von einem Missverständnis. Zugleich betont er: „Ich bin nicht der Steigbügelhalter von Frauke Petry.“ Er unterstützte ihren „Zukunftsantrag“, habe ihr aber vor dem Parteitag vergeblich geraten, diesen gründlich zu überarbeiten oder zurückzuziehen.

Nach monatelangen Machtkämpfen hatte Petry vergangene Woche in einer Videobotschaft erklärt, nicht AfD-Spitzenkandidatin im Bundestagswahlkampf werden zu wollen. Obwohl sie als Parteichefin dafür prädestiniert gewesen wäre und als Spitzenkandidatin beste Chancen auf den Vorsitz einer möglichen AfD-Bundestagsfraktion gehabt hätte.

Der Parteitag reagiert auf Petrys Rückzug. Die Delegierten wählen ein Führungsduo aus Alexander Gauland und Alice Weidel, die seit 2015 Mitglied im Parteivorstand ist. Außerdem verabschieden sie nach stundenlangen Debatten das knapp 70-seitige AfD-Programm für die Bundestagswahl am 24. September.

Petry verhaspelt sich in Köln oft in Endlossätzen, während Meuthen kurze Botschaften formuliert: „Deutschland ist unser Land!“, ruft er in den Saal. „Es ist das Land unserer Großeltern und Eltern. Und es ist unsere Bürgerpflicht, es auch noch das Land unserer Kinder und Enkel sein zu lassen.“ Je länger Meuthen spricht, umso mehr Beifall erhält er. Er greift Petry nicht direkt an, aber er meint sie, wenn er Debatten über Fundamentaloppositionelle und Realpolitiker ablehnt: „Lassen wir das!“ Oder wenn er über die Spitzenpolitiker von CDU, SPD und Grünen schimpft: „Mit diesen Figuren werden wir keine Koalition eingehen.“

Petry hätte wissen können, dass sie sich mit ihrem „Zukunftsantrag“ nicht durchsetzen wird. Wer wollte, konnte ihn im Internet unterzeichnen – bis Freitag kamen aber nur 1719 Unterschriften zusammen, obwohl die AfD 25.000 Mitglieder hat. Außerdem gab es kürzlich eine Telefonkonferenz mit Vertretern von 13 AfD-Landesverbänden. Dabei stimmten zwölf Verbände gegen den Antrag, nur ein Verband unterstützte ihn, ihr eigener, der sächsische. Die rheinland-pfälzische AfD-Vize-Chefin Christiane Christen (Ludwigshafen) war bei der Konferenz mit Petry dabei. Im Gespräch mit unserer Zeitung berichtet sie: „Man empfahl ihr, den Antrag zurückzunehmen. Die Stimmung war eindeutig.“

Ein Handkuss zur Versöhnung

Das Scheitern des „Zukunftsantrags“ war eine schwere politische Pleite für Petry – aber nur wenige AfD-ler in Rheinland-Pfalz räumen das ein. Am deutlichsten ist Christen: „Ja, das war eine Niederlage. Ich glaube, das hat jeder so wahrgenommen.“ AfD-Chef Junge ist vorsichtiger: „Das war sicher nicht förderlich für Petrys Reputation.“ Der AfD-Landtagsabgeordnete Jan Bollinger (Neuwied) will nicht von einer Niederlage sprechen, ebenso Sebastian Münzenmaier (Mainz), der rheinland-pfälzische AfD-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl. Beide betonen, dass der Parteitag den Antrag nicht inhaltlich ablehnte, sondern sich nur nicht damit befassen wollte.

Am Sonntag, dem zweiten Tag des Parteitages, tritt Alexander Gauland ans Saalmikrofon und wirbt um Versöhnung: „Liebe Frauke Petry, ich weiß, dass Sie gestern einen schweren Tag hatten. Aber wir brauchen Sie in der Partei. Und wir brauchen Sie im Wahlkampf.“ Tosender Applaus und deutlich mehr „Frauke!“-Rufe als tags zuvor nach der Eröffnungsrede der Parteichefin. Gauland fordert, dass der innerparteiliche Konflikt nun beendet und nur noch mit politischen Gegnern gestritten wird. Dann geht er zu Petry und küsst ihr die Hand.

Und Frauke Petry? Sie definiert ihre Rolle als AfD-Chefin künftig so: „Solange die Partei nicht erkennen lässt, wohin sie tatsächlich gehen möchte, müssen Protagonisten den Wahlkampf anführen, die mit dieser Nicht-Entscheidung besser leben können als ich.“

Hartmut Wagner

Demos in Köln: Viel Karneval, kaum Krawall

Köln. Wenn Köln demonstriert, dann ist das auch ein bisschen Karneval. Da bildet die Hauptkundgebung gegen den AfD-Bundesparteitag auf dem Heumarkt keine Ausnahme. Es laufen Karnevalslieder, die Demonstranten singen die Hymne des 1. FC Köln, schunkeln, tanzen und schwenken bunte Ballons.

Fröhlich und friedlich – so hat der Großteil der rund 10.000 Menschen am Wochenende gegen den AfD-Bundesparteitag in Köln demonstriert. Die befürchteten Ausschreitungen sind weitgehend ausgeblieben. Lediglich zum Auftakt am Samstagmorgen kam es zu Rangeleien mit der Polizei. Zwei Beamte wurden verletzt. Am Sonntag blieb es ruhig, Zwischenfälle gab es nach Angaben der Einsatzkräfte keine.

Der kritischste Punkt der zweitägigen Demonstrationen war der Start. Nur unter starkem Polizeischutz erreichen die Delegierten des Parteitags am Samstagmorgen ihr Tagungshotel in der Innenstadt. Die Polizei muss eine Gasse durch aggressive Demonstranten bahnen. „Ganz Köln hasst die AfD!“, skandieren sie. Und: „AfD Rassistenpack – wir haben euch zum Kotzen satt!“ Plastikflaschen fliegen, immer wieder kommt es zu Rangeleien. Dabei werden die beiden Polizisten verletzt. Wasserwerfer fahren auf, die Atmosphäre ist bedrohlich. Mindestens fünf Teilnehmer werden festgenommen oder in Gewahrsam genommen.

Am Samstagmittag ist es auf dem Heumarkt, direkt neben dem Tagungshotel der AfD, bei der Hauptkundgebung dann vollkommen friedlich und deutlich entspannter. Es ist ein ganz besonderer Ort für viele Kölner, schließlich wird dort am Elften im Elften die neue Karnevalssession eröffnet, hier spielen an Weiberfastnacht die beliebtesten Bands. Vor allem die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft weiß offenbar ganz genau, wie man auf diesem Platz sprechen muss – und zieht gleich den Lukas-Podolski-Joker. Viele der Rechtspopulisten, die dort drüben im Hotel Maritim zusammengekommen sind, treten die Menschenwürde mit Füßen, sagt sie. „Wahrscheinlich zählt für sie nicht mal die Würde von Lukas Podolski, weil dieser Ur-Kölner in Polen geboren ist. Das ist es, wogegen wir aufstehen!“ Tosender Beifall ist der SPD-Politikerin, die sich derzeit im Wahlkampf befindet, gewiss. In Nordrhein-Westfalen und in Köln im Besonderen herrscht ein Klima von Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit, sagt Kraft und dann an die Adresse der AfD: „Deshalb sagen wir hier: Mit eurer Haltung seid ihr nicht willkommen in unserer Gesellschaft!“

Die parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist rhetorisch deutlich weniger versiert. Doch wenn sie sagt, dass Gewalt mit Worten beginnt, „mit Reden und Propaganda in Sälen, auf Flugblättern und auf öffentlichen Plätzen“, dann kommt dem besonderes Gewicht zu. Denn Reker wurde 2015 am Tag vor der Oberbürgermeisterwahl von einem rechtsradikalen Attentäter niedergestochen. Sie überlebte diese Attacke nur knapp. „Rassismus und Fremdenhass beginnen eben nicht erst mit Gewalttaten und Anschlägen. Erst kommt die Rede und dann die Tat“, ruft sie in die Menge.

Zur Abschlusskundgebung auf dem Heumarkt am Sonntag versammeln sich nach Polizeiangaben dann nur noch rund 300 Menschen auf dem Heumarkt. „Alles ist ruhig“, sagt ein Sprecher. Entsprechend erleichtert zeigt sich daher auch Polizeipräsident Jürgen Mathies: „Ich bin sehr zufrieden darüber, dass wirklich die allerallermeisten Menschen sich daran halten, friedlich zu bleiben.“

Das Links-Bündnis „Solidarität statt Hetze“ wirft ihm dagegen vor, mit überzogenen Warnungen vor linksextremistischer Gewalt viele potenzielle Teilnehmer abgeschreckt zu haben. Mathies weist das zurück. „Unsere Lageerkenntnisse sind eingetreten“, sagt er. „Wir sehen uns in allem, was geschieht hier in der Stadt, bestätigt.“ Ob der Polizeieinsatz mit rund 4000 Beamten nun überzogen war oder nicht – am Ende sorgte wohl auch er dafür, dass es in Köln mehr Karneval als Krawall gab.

Alice Weidel – die neue starke Frau in der AfD

Köln. An der Spitze der AfD gibt es eine neue starke Frau: Alice Weidel (38) führt die AfD im Wahlkampf für die Bundestagswahl. Sie bildet mit Alexander Gauland (76) ein Führungsduo. So hat es der Parteitag in Köln mit einer Mehrheit von 68 Prozent entschieden. Parteichefin Frauke Petry (41) hatte vergangene Woche überraschend erklärt, dass sie als Spitzenkandidatin nicht zur Verfügung steht.

Weidel und Gauland vertreten verschiedene Flügel der Partei – sie den freiheitlichen, er den konservativen. Eines ihrer Streitthemen ist das Parteiausschlussverfahren gegen den thüringischen AfD-Chef Björn Höcke (45), der im Januar in seiner Dresdner Rede eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad forderte. Weidel will Höckes Ausschluss, Gauland ist dagegen.

Nach ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin wurde die Politikerin gefragt, ob sie mit Höcke Wahlkampfauftritte absolvieren und im Falle von dessen Verbleib in der AfD in der Partei bleiben werde. Ihre Antwort: „Ja, natürlich.“ Höcke und sie seien zwei Teile einer Partei. Weidel kommt aus Baden-Württemberg, außerhalb ihres Landesverbandes ist sie noch recht unbekannt. Die promovierte Volkswirtin war über die Kritik an der Eurorettungspolitik zur AfD gestoßen. Sie arbeitete jahrelang in China und lebt heute mit ihrer Lebensgefährtin und zwei Kindern am Bodensee. In ihrer Parteitagsrede sagte sie: „Ich empfehle jedem Erdogan-Jasager, in die Türkei zurückzukehren. Genau da, in das Wertesystem, wo diese Leute hingehören.“

Alexander Gauland
Alexander Gauland
Foto: dpa

Gauland ist Fraktionschef der AfD im brandenburgischen Landtag und der wichtigste Strippenzieher der Partei seit 2015. Der frühere CDU-Mann genoss einst auch in ideologisch anders gelagerten Milieus einen gewissen Respekt als konservativer Intellektueller. Einige frühere Weggefährten aus seiner Zeit als Staatskanzleichef in Hessen haben sich heute von ihm abgewandt.

Gauland gilt als wichtigster Unterstützer der Rechtsnationalen in der AfD. Auf dem Parteitag rief er in den Saal: „Wir wollen unsere Heimat behalten, unsere Identität behalten, und wir sind stolz darauf, Deutsche zu sein.“ haw/dpa

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