Hier ist der Tod Stammgast

Die Kerze brennt: Im Eugenie Michels Hospiz in Bad Kreuznach ist ein Bewohner gestorben. Die stellvertretende Hospizleiterin Christiane Höhn (Foto) und ihre Kollegen erweisen ihm die letzte Ehre, indem sie sich an der Eingangstür aufstellen, während die Sargträger den Leichnam nach draußen bringen.
Foto: Reiner Drumm
Die Kerze brennt: Im Eugenie Michels Hospiz in Bad Kreuznach ist ein Bewohner gestorben. Die stellvertretende Hospizleiterin Christiane Höhn (Foto) und ihre Kollegen erweisen ihm die letzte Ehre, indem sie sich an der Eingangstür aufstellen, während die Sargträger den Leichnam nach draußen bringen. Foto: Reiner Drumm

Wer hier einzieht, hat nicht mehr viel Zeit auf Erden: 
Im Eugenie Michels Hospiz in Bad Kreuznach verbringen todkranke Menschen den Rest ihres Lebens. Palliative-Care- Fachkräfte sorgen dafür, dass es ihnen an nichts fehlt.

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Von unserer Reporterin Silke Bauer

Die große Stumpenkerze brennt. Schon wieder. Im Eugenie Michels Hospiz in Bad Kreuznach weiß jeder, was das bedeutet: Ein Patient ist gestorben. Das Personal hat sich im Eingangsbereich versammelt, die Gesichter sind ernst, niemand sagt ein Wort. Als die Sargträger um die Ecke kommen, folgen die Mitarbeiter ihnen schweigend nach draußen, wo sie dem Bestatter und seinem Gehilfen dabei zusehen, wie diese den Kiefernholzsarg in den Leichenwagen verladen. Der Tod ist hier Stammgast.

Christiane Höhn kennt das alles seit Langem. Die 56-jährige Palliative-Care-Fachkraft arbeitet seit mehr als 30 Jahren für die Stiftung Kreuznacher Diakonie, seit sechs Jahren ist sie im Eugenie Michels Hospiz angestellt und dort als stellvertretende Leiterin tätig. „Wir haben hier vor allem Tumorpatienten“, erzählt sie. Aber auch Menschen mit unheilbaren Leiden an Herz, Lunge, Nieren oder Nerven findet man im Hospiz.

Zwölf Einzelzimmer gibt es hier, sie alle sind fast ständig belegt. An diesem freundlichen Märztag scheint die Sonne durch die großen Fenster des Hospizes. Von drinnen sieht man, wie sich die Hauskatze Mia auf den Steinplatten im Garten räkelt. Der Aufenthaltsraum ist hübsch eingerichtet: Es gibt einen großen Esstisch, an dem die gemeinsamen Mahlzeiten eingenommen werden. In einem Aquarium schwimmen Fische gemächlich hin und her. Vasen voller Tulpen sorgen für Farbtupfer, schicke Korbsessel machen das Ambiente perfekt. Doch niemand sitzt in ihnen.

„Wir haben momentan viele Patienten, die umbrüchig sind“, erklärt Christiane Höhn. Das bedeutet, dass sie sich auf der Schwelle zwischen Leben und Tod befinden. Zu anderen Zeiten kommt es aber durchaus vor, dass zumindest zu den Mahlzeiten der ganze Tisch voller Menschen ist, erzählt die ehrenamtliche Sterbebegleiterin Ulla Meyer, die gerade ihre Schicht begonnen hat. Trotz allem wird oft gelacht. „Die reden ja beileibe nicht immer über Sterben und Tod“, sagt sie über die Patienten. „Manche wollen gar nichts davon hören.“ Höhn bestätigt: „Am Tisch finden ganz normale Tischgespräche statt.“ Doch Freundschaften werden keine mehr geschlossen. „Die Leute sind mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.“

Das gilt auch für die 83-jährige Renate S. (Name von der Redaktion geändert). Sie ist seit drei Wochen im Hospiz. Nur einmal hat sie ihr Zimmer im Rollstuhl verlassen, erzählt die Patientin. Sie kann nicht mehr laufen und liegt jetzt nur noch im Bett. „Meine Füße sind wie Steine“, sagt sie. Die starken Medikamente machen sie oft schläfrig. An ihrer Nase ist ein Sauerstoffschlauch befestigt, ein Urinbeutel baumelt von der Bettkante. Beide Hilfsmittel sollen der todkranken Frau Erleichterung verschaffen. Wie so viele im Hospiz ist auch Renate S. an Krebs erkrankt. „Meine linke Brust ist weg“, sagt sie. Auch Lymphdrüsengewebe haben die Ärzte der Mainzerin entfernt. Obwohl sie allen Grund dazu hätte, ist sie nicht verbittert: „Mir geht es ganz gut. Ich bekomme Schmerzpflästerchen. Wenn etwas ist, muss ich nur einmal klingeln, dann kommt sofort jemand.“ Trost findet die Rentnerin in Gedanken an ihre Katzen, um die sich jetzt eine gute Bekannte kümmert. An die Wand über ihrem Bett hat sie gerahmte Fotos ihrer Lieblinge gehängt. Die Hospizkatze kommt jetzt oft zu Renate S. und rollt sich zu ihren Füßen zusammen. Als würde sie spüren, dass der Patientin nicht mehr viel Zeit bleibt.

Wie geht man als Mitarbeiter damit um, dass der Tod allgegenwärtig ist? „Wir akzeptieren das Sterben als einen Teil des Lebens“, sagt Höhn. „Im Grunde geht unsere Begleitung dahin, dass das Unabwendbare aushaltbar ist. Wir kümmern uns nicht nur um die Bewohner, sondern auch um ihre Angehörigen.“

Ursula F. ist die Ehefrau eines Bewohners, der sich seit ein paar Wochen im Hospiz befindet. Diagnose: Zwei unheilbare Hirntumore. „Seit gestern schläft er nur noch“, sagt Ursula F. Die 69-Jährige sieht müde aus, sie hat im Gästezimmer des Hospizes übernachtet und nur eine Stunde geschlafen. „Der Gedanke, dass um mich herum nur todkranke Menschen sind, bedrückt mich“, sagt sie. „Tagsüber kann ich es hier besser aushalten.“ Vor drei Jahren wurde die Krebsdiagnose gestellt. „Seitdem habe ich Angst“, sagt Ursula F. Mit ihrem Mann konnte sie nie über seine Erkrankung reden. „Meiner Ansicht nach hat er die Krankheit nicht angenommen. Er hat auch nie geweint“, sagt sie. Ihre Freundinnen sind in dieser schwierigen Zeit für sie da. Auch mit dem Hospizseelsorger, Pfarrer Wolfgang Baumann, hat sie sich schon unterhalten. Das Reden hilft ihr.

Das Leid, das sie jeden Tag erleben, müssen auch die 13 hauptamtlichen und 25 ehrenamtlichen Mitarbeiter verarbeiten. „Einmal im Monat gibt es die Möglichkeit, an einer Supervision teilzunehmen“, erzählt Höhn. Eine Psychologin spricht mit den Mitarbeitern über belastende Erfahrungen und hilft ihnen, damit umzugehen. Die Arbeit mit sterbenden Menschen hat Christiane Höhn geprägt. „Im Hospiz lernt man das Leben“, sagt sie. „Es gibt Dinge, die sind nicht mehr wichtig. Ich rege mich nicht mehr so schnell auf. Man wird dankbarer.“ Das Hospiz bietet Rückzugsmöglichkeiten für Besucher und Angestellte. Wem alles zu viel wird, der zieht sich in den Raum der Stille zurück und ruht sich dort ein wenig aus. Für Patienten und Angehörige gibt es außerdem ein großes Wohlfühlbad mit Whirlpool, weichen Handtüchern und Aromatherapie.

„Wenn man den Hintergrund nicht wüsste, könnte man meinen, man wäre im Hotel“, sagt Ursula F. Ihr Ehemann und sie haben sich das Hospiz im November zusammen angesehen. „Hier hatte ich gleich ein gutes Gefühl“, sagt sie. „Das Personal geht sehr auf meinen Mann ein. Ich könnte das allein zu Hause nicht bewerkstelligen. Da müsste ich ihn Tag und Nacht überwachen.“ Das Ehepaar verbindet viel mit Bad Kreuznach: Vor mehr als 50 Jahren lernten sich die beiden hier kennen. „Auf dem Jahrmarkt“, sagt Ursula F., und erstmals erscheint ein Lächeln auf ihrem Gesicht. „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Obwohl die beiden am Rhein lebten, machten sie oft Ausflüge nach Bad Kreuznach. „Die Stadt war uns schon immer liebenswert. Und nun schließt sich hier der Kreis.“

Es tröstet Ursula F., dass weder ihr Ehemann noch die anderen Patienten Schmerzen erdulden müssen. Im Hospiz gibt es keine Obergrenze für Schmerzmittel, jeder bekommt so viele Medikamente, wie er braucht. Die letzten Tage und Wochen der Kranken sollen möglichst symptomfrei gehalten werden. Dreimal in der Woche schauen Ärzte im Hospiz vorbei. Wer möchte, darf sich von seinem Hausarzt weiterbehandeln lassen.

Die große Stumpenkerze ist inzwischen erloschen. „Sie brennt nur solange, bis der Verstorbene das Haus verlassen hat“, sagt Christiane Höhn. Nach dem Tod eines Bewohners wird er angezogen und bleibt noch 24 Stunden in seinem Zimmer. So können Verwandte und Freunde in Ruhe Abschied nehmen. Jeder Verstorbene erhält eine Aussegnungsfeier.

Das Zimmer des Toten, der am Vormittag von den Bestattern abgeholt wurde, ist nun leer. Auf dem Nachttisch liegt eine aufgeschlagene Bibel. Heute wird hier niemand mehr einziehen. Die Hospizangestellten wollen der Seele Zeit geben, um ebenfalls auszuziehen. Doch schon morgen wird ein neuer Patient in dem Krankenbett liegen, auch dieser Mensch wird im Eugenie Michels Hospiz sterben. Wie schon so viele vor ihm.