Interview mit Koblenzer Chefarzt – Hand aufs Herz: Ist jeder Katheter nötig?

Die Herzmedizin steht vor einer Herausforderung: Ein Großteil der Eingriffe am Herzen – auch immer mehr hochkomplexe Herzklappenoperationen – sind in Katheterlaboren möglich. Doch nicht alles, was technisch möglich ist, hilft auch dem Patienten. Deshalb zeigt sich Dr. Dietmar Burkhardt, Chefarzt am Evangelischen Stift St. Martin in Koblenz (Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein), im Interview selbstkritisch.

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„Natürlich müssen wir uns auferlegen, dass wir uns in Anbetracht der alternativen Möglichkeiten öfter Gedanken machen, ob ein Patient beispielsweise einen Herzkatheter braucht.“ Im Interview mit unserer Zeitung spricht der Chefarzt auch über die Zukunft der Herzmedizin in der Region Koblenz:

Seit Mitte der 90er-Jahre geht die Sterblichkeit bei der koronaren Herzerkrankungen deutlich zurück. Woran liegt das?

Das liegt einerseits an einer stärkeren Gesundheitsfürsorge der Patienten. Und die Zahl der Raucher, vor allem der weiblichen, ist zurückgegangen. Andererseits sterben seitdem weniger Menschen an einer koronaren Herzerkrankung, weil wir seit Anfang der 90er-Jahre zunehmend flächendeckend Herzkatheterlabore haben, in denen wir Patienten mit akuten Herzinfarkten schnell behandeln können. Mit dieser Dehnungsbehandlung der Blutgefäße können wir den Verlauf eines Herzinfarktes und die Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich positiver gestalten. Früher blieben Patienten nach einem Herzinfarkt für ein bis zwei Wochen im Krankenhaus liegen. Oder sie mussten weit transportiert werden, wobei einige auch gestorben sind. Heute können wir einen solchen Patienten sehr rasch mit einem Herzkatheter behandeln, indem wir das verschlossene Gefäß aufdehnen. Zeit ist bei Herzerkrankungen ein enorm wichtiger Faktor. Zeit ist Herzmuskel, genauso wie bei einem Schlaganfall gilt: Zeit ist Hirn. Früher brauchten wir zur Beseitigung von Verengungen deutlich häufiger einen Herzchirurgen. Mit den heutigen Techniken ist eine Vielzahl von teilweise sehr komplexen Eingriffen über einen Katheter möglich. Bei einem akuten Infarkt ist der Bypass mittlerweile die Ausnahme geworden.

Herzklappen dürfen aber nur dort eingesetzt werden, wo es eine Herzchirurgie gibt. In Koblenz ist dies nur am Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZK) der Fall. Wird sich das künftig ändern?

Rein technisch wären wir in der Lage, Herzklappen einzusetzen. Mein Kollege Dr. Waldemar Bojara, Chefarzt am Kemperhof, hat hierfür die Expertise. Wir als Kardiologen brauchen dringend eine Weiterentwicklung, weil wir sonst unserem Anspruch, alle Patienten auf hohem Niveau zu versorgen, nicht mehr gerecht werden können. Deshalb gibt es Diskussionen, wie wir dies in Koblenz möglich machen. Eine eigenständige Herzchirurgie gibt es zwar derzeit nur am BwZK. Es könnte aber eine engere Kooperation zwischen den Kliniken geben, indem eine Herzchirurgie an zwei Standorten verortet ist, wo Ärzte aus verschiedenen Krankenhäusern an einem OP-Tisch zusammenarbeiten.

Die Krankenhausreform definiert Qualität über Masse. Heißt: Nur wer häufig operiert, kann auch Qualität garantieren. Gilt das auch für Eingriffe am Herz? Und müsste es hier eine stärkere Konzentration geben?

Das ist wünschenswert. Das streben wir in Koblenz an, auch im Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein. Natürlich wird es noch eine gewisse Zeit dauern, bis wir in Koblenz die kardiologischen Abteilungen am Kemperhof und im Evangelischen Stift an einem Ort zentriert haben. Aber eine solche Zentralisierung ist gewünscht, weil wir so Ressourcen bündeln, Kosten einsparen und zugleich die Qualität verbessern können. Wir brauchen routinierte Zentren. Das heißt aber nicht, dass in ländlichen Gebieten wie Mayen oder anderswo keine Expertise vorhanden ist. Es ist nicht sinnvoll, alle Patienten nach Koblenz zu bringen.

Derzeit gibt es laut AOK Rheinland-Pfalz/Saarland elf Katheterlabore in der Region Koblenz. Ist diese hohe Zahl sinnvoll?

Aus meiner Sicht ergibt es auch über unser Klinikum hinweg keinen Sinn, dass jedes Krankenhaus jede Nacht im Jahr rund um die Uhr eine Bereitschaft vorhält. Auch darüber gibt es Gespräche mit den anderen Krankenhäusern in der Region. Wenn es logistisch möglich ist, könnte die Bereitschaft reihum von den Kliniken wahrgenommen werden. In anderen Regionen gibt es das bereits. Das wäre also in Koblenz eine Kooperation zwischen der dann fusionierten Kardiologie am Gemeinschaftsklinikum, dem Katholischen Klinikum und dem Bundeswehrzentralkrankenhaus.

Der Vorwurf ist aber auch, dass die vielen Labore Kliniken dazu treiben, Patienten unnötigerweise zu kathetern. Ist das denkbar?

Ich wäre da sehr vorsichtig, ob Kliniken dies aus finanziellen Interessen tun. Aber natürlich müssen wir uns auferlegen, dass wir uns in Anbetracht der alternativen Möglichkeiten öfter Gedanken machen, ob ein Patient wirklich einen Herzkatheter braucht. Wir haben in Deutschland und Europa eine zu hohe Zahl an Katheteruntersuchungen. In vielen Fällen – besonders bei nicht akuten, sondern chronischen Fällen – erzielen wir mit anderen bildgebenden Verfahren wie speziellen Ultraschalltechniken (Stressechokardiografie), MRT (Magnetresonanztomografie) oder einem Koronar-CT genauso gute Antworten auf die Frage: Wie hoch ist das Risiko, ein schwerwiegendes Herzproblem zu erleiden? Das heißt aber nicht, dass zu viele Patienten kritiklos kathetert werden. Es gibt nämlich nach wie vor viele Patienten, die sehr rasch im Katheterlabor behandelt werden sollten. Sehr wichtig bei der Einschätzung ist die Herzmuskelleistung. Wenn ein Patient Symptome für eine Verengung der Herzkranzgefäße (Angina pectoris) und eine deutlich eingeschränkte Herzmuskelleistung zeigt, dann sollte er laut aktueller Leitlinie rasch kathetert werden.

Ihr Kollege Dr. Waldemar Bojara sagt, dass mindestens 20 Prozent der Bypass- und Stent-Operationen nicht nötig sind. Was sagen Sie dazu?

Es gibt Daten, dass wir einen Teil der Patienten genauso gut behandeln können, ohne dass wir ihnen Stents setzen, indem wir sie mit Medikamenten behandeln. Sie leben genauso lang. Man darf aber nicht verkennen, dass die meisten medikamentös behandelten Patienten zunächst kathetert worden sind. Wo wir jedoch umdenken müssen, ist, was wir dann aus dem Katheterergebnis machen: Stent oder Medikament. Allerdings ist der große Vorteil bei einem Katheter, dass wir Verengungen der Blutgefäße (Stenosen) erkennen und sofort beheben können.

Wie entscheiden Sie, welche Therapie Sie einsetzen?

Wir müssen vor einem Eingriff abschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass der Betroffene eine Verengung der Kranzgefäße hat. Wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist und mit vorgeschalteten Untersuchungen (Stressecho, MRT) nur geringe Anteile des Herzens in der Durchblutung gestört sind, setzen wir zunehmend mit gutem Erfolg nur noch Medikamente ein. Andernfalls sollten wir rascher zum Katheter greifen. Die Frage ist, ob der Einsatz für die Prognose des Patienten wirklich entscheidend ist. Bei etlichen Betroffenen ist der Einsatz von Medikamenten völlig ausreichend, trotzdem wird ihnen oft ein Stent eingesetzt.

Medikamente einzusetzen, ist eine eher abwartende Medizin. Stößt dies bei Patienten nicht auf Widerstand, weil sie schnell Hilfe wollen?

Das ist ein sehr großes Problem. Es gibt Patienten, die haben an einem Gefäß eine 80-prozentige Verengung, die man mit Medikamenten ebenso gut behandeln kann, ohne dass sie einen Stent brauchen. Diese Patienten leben mit der Verengung genauso lang. Viele Betroffene wollen das aber nicht und gehen im Zweifelsfall zu einem anderen Kardiologen. Glücklicherweise haben wir unter den Kollegen in Koblenz eine sehr gute Kommunikation, sodass es selten passiert, dass Patienten abwandern.

Das Gespräch führte Christian Kunst