Kommentar: Kohl zahlte einen hohen Preis für die Macht

Von Dietmar Brück
Dietmar Brück kommentiert.
Dietmar Brück kommentiert. Foto: Jens Weber

Helmut Kohl hatte seinen Platz in den Geschichtsbüchern schon lange sicher. Dort wird der Kanzler der Einheit und der Ehrenbürger Europas gewichtige Kapitel füllen. Und doch umgibt sein Leben eine abgrundtiefe Tragik.

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Dietmar Brück kommentiert

Den Preis der Macht zahlte Kohl in seinem Privatleben und im Kreis seiner engsten Weggefährten. Seine Familie ist zerrissen, seine Söhne sind ihm entfremdet, aus vielen Freunden wurden Feinde. Im nahen Umfeld des Kanzlers der Einheit herrschen allzu oft Zwietracht und Spaltung.

Kohl ist kein Einzelfall. Viele bedeutsame Künstler, Wissenschaftler oder Politiker haben ihre gesamte Kraft auf eine Mission ausgerichtet. Sie konnten ihr übermenschliches Pensum nur schultern, indem sie alles andere sträflich vernachlässigten: ihre Ehefrauen, ihre Kinder, ihre Freunde, ihre Gesundheit. Für ihre Kinder waren sie die abwesenden Väter und Mütter, für ihre Partner der Schatten, indem sie verschwanden. Helmut Kohl war ein Eckpfeiler in der europäischen Architektur. Aber das Haus seines Privatlebens verlor unter der Last seines Amtes jegliche Stabilität.

Für Helmut Kohl muss in seinen letzten Jahren nichts schlimmer gewesen sein, als seiner Stimme beraubt zu werden. Er, der ausgiebig mit jedem Kreisvorsitzenden seiner Partei telefonierte, konnte sich kaum noch mitteilen. Seine zweite Ehefrau und jetzige Witwe Maike Kohl-Richter wurde zu seiner Interpretin. Eine Rolle, die viele Kohl-Anhänger kritisch sehen. Kohl-Richters Ablehnung eines nationalen Trauerakts ist nur ein Beispiel von vielen. Am Ende könnte der Altkanzler, der so viel Wert auf seine historisches Rolle legte, gar die Deutungshoheit über die eigene Gedankenwelt verloren haben.