Meister Lampes heimliche Helfer

Ostereier gibt es heute das ganze Jahr über zu kaufen. Deshalb hat der Handel sie umgetauft in Brotzeiteier – sofern nicht gerade Ostern ist. Geflügelbauer Andres arbeitet in Mendig daran, dass die Regale und Nester nicht leer bleiben. Zu Hilfe kommen ihm 22 Mitarbeiter und 160 000 Hühner.

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Von unserer Redakteurin Nicole Mieding

Gestatten, mein Name ist Hase: Auf dem Geflügelhof Andres wird vor Ostern im Akkord gefärbt. 200 000 bunte Eier produziert der Familienbetrieb in Mendig derzeit. Pro Tag.
Gestatten, mein Name ist Hase: Auf dem Geflügelhof Andres wird vor Ostern im Akkord gefärbt. 200 000 bunte Eier produziert der Familienbetrieb in Mendig derzeit. Pro Tag.
Foto: Christoph Bröder

Wer noch an den Osterhasen glaubt, muss jetzt sehr tapfer sein. Meister Lampe hat nämlich keine Schlappohren und auch kein Kuschelfell. Er besteht aus Nirostastahl, Fließband und einem Greifarm mit Gumminoppen. Anders ist die Produktion in der Hochsaison kaum zu schaffen: 200 000 Ostereier jeden Tag.

„Die Leute wissen ja gar nicht mehr, wie Landwirtschaft heute funktioniert“, sagt Guido Andres. Auf seinem Geflügelhof in Mendig hält er 160 000 Hühner. Der Familienbetrieb ist der größte Eierproduzent in Rheinland-Pfalz. Gemessen an Geflügelfarmen mit einer halbem Million Tiere in Niedersachsen oder den Niederlanden, woher der größte Teil der in Deutschland verkauften Eier stammt, ist sein Hof das Hühner-Bullerbü. Andres ist Vorsitzender des Geflügelwirtschaftsverbands Rheinland-Pfalz. Wie viele Bauern fühlt er sich missverstanden. Das liegt vor allem daran, dass die Menschen sich Bauernhöfe wie im Bilderbuch wünschen. Eine Idylle, die es nur noch in der Kinderliteratur und im Werbefernsehen, also im Märchen, gibt. In der echten Welt sind Eier legende Hühner keine Mitbewohner, sondern ein Produktionsfaktor. Klingt nicht gerade schön, manchmal tut die Wahrheit eben weh.

Andres hält seine Tiere in sogenannter Bodenhaltung: 22 000 Hühner leben in einem Stall, neun Tiere teilen sich einen Quadratmeter. Alle paar Meter steht eine Gitterwand – macht fünf Wohnabteile à 6000 Hühner. Das entspricht der maximalen Gruppengröße, die das Gesetz für diese Haltungsform erlaubt. Der Boden, nach dem sie benannt ist, besteht aus einem schmalen Gang mit Betongrund. Darauf sind Strohpellets gestreut, die der Hersteller erhitzt und dadurch keimfrei macht. Hygiene ist wichtig bei großen Herden. Eingeschleppte Krankheiten können einen ganzen Tierbestand gefährden oder gar töten.

Bauer Andres' Legehennen sind erfreulicherweise quicklebendig. Gerade geht ein aufgeregtes Gackern durch die Reihen. Ein Geräusch hat die Tiere aufgeschreckt, 20 000 Hühner flattern auf von ihren Stangen, stoßen gegen die Wassertränken, die über ihren Stehplätzen hängen, Staub wirbelt durch den Raum, Federn fliegen. „Das Fließband ist angesprungen, das den Kot unter den Sitzstangen abtransportiert“, erklärt der Landwirt. Noch ein Geräusch, wieder geht ein Schreck durch den ganzen Hühnerhaufen. Die Fütterung läuft an, eine Maschine spuckt eine Mischung aus Weizen, Mais und Soja in eine Rinne aus Edelstahl, die den Hühnerstall über die gesamte Länge durchzieht. „Gentechnikfrei, schon seit Jahren“, wie Andres betont. Der Verbraucher will es so.

Ja, die Kundschaft. Bewusste Käufer greifen im Laden lieber zu braunen Eiern. Oder denen, die offen auf einer Stiege liegen. Das sieht nach ländlicher Idylle aus, irgendwie nach glücklicheren Hühnern. Wer weiß heute schon, dass braune Hühner braune Eier legen und weiße Hühner weiße. Solang sie keine braunen Ohrläppchen haben. In Mendig herrscht deshalb strikte Rassentrennung. In der Packhalle werden die Eier dann nach Farbe und Handelsklasse in verschiedene Verpackungen sortiert. Noch sind Legehennen nämlich nicht nach Ausgangsgröße ihrer Eier normiert.

Nach der Art ihrer Haltungsform schon. Wenn Andres die Junghennen mit 17 Wochen vom Aufzüchter bekommt, hat der sie schon aufs Stangensitzen, Bodenscharren oder Fliegen in einer Voliere trainiert. Andernfalls würden die Tiere im Stall nicht überleben. Drei Wochen lässt Andres den Tieren noch Zeit, sich bei ihm einzugewöhnen. Damit sie sich zurechtfinden, lernen, wo Wasser und Futter sind. Dann geht es ans Legen. 280 bis 300 Eier schafft eine Legehenne im Jahr, nach 14 Monaten ist ihre Karriere für gewöhnlich zu Ende. Außer, es sind größere Eier gewünscht. Dann dimmt Andres das Licht und schickt die Tiere in die Mauser. Nach der Legepause dürfen die Hühner noch vier Monate leben, weil sie dann größere Eier legen. Vom Discount sind solche Eier nicht gewollt. Zu teuer. Also lassen die meisten Bauern die Tiere eben kürzer leben.

Beim Discounter, der den Landwirten weniger als 10 Cent pro Ei bezahlt, könnte Guido Andres' Familienbetrieb nicht überleben. „Wir wollen in der Region für die Region arbeiten“, sagt er. Mit 22 Mitarbeitern produziert er in Mendig Eier, die auf Wochenmärkte und unter der Marke Eifel-Ei an Edeka und Rewe bis ins Kölner Umland gehen. Der Eifeler erwägt derzeit auch, Bio auszuprobieren und Freilandhaltung auf andere Betriebe auszulagern, die schon für ihn produzieren. Überzeugen können ihn beide Produktionsformen nach Lage der derzeitigen Politik nicht. In der Freilandhaltung sei täglicher Ausgang für die Tiere vorgeschrieben – selbst bei schlechtem Wetter. Hennen mögen das eigentlich nicht und bleiben lieber drin. Jagt der Bauer sie vorschriftsgemäß nach draußen, hat er ein Hygieneproblem. „Dann muss er mit Antibiotika gegensteuern. In einem geschlossenen Stall braucht's eine solche Prophylaxe nicht“, sagt Andres. Neben der Frage nach der Tiergesundheit ergibt sich aus der vorbeugenden Verabreichung von Antibiotika ein wirtschaftliches Problem. Denn nach der Medikamentengabe sind bis zu fünf Tage Wartezeit vorgeschrieben. Im Falle des Mendiger Familienbetrieb hieße das, 100 000 Eier auszusortieren, die als Sondermüll entsorgt werden müssen. Klarer Fall: Für Andres rechnet sich das nicht.

Auch die ökologische Haltung ist für ihn kein Hühnerparadies. Denn in der Bioproduktion ist das Füttern von Soja verboten. Seit der BSE-Krise sind Hühner in Deutschland dazu verdammt, vegetarisch zu leben. „Dabei sind Hühner Allesfresser – auf der Wiese picken sie nach Käfern und Würmern“, erklärt Andres. Das fehlende tierische Eiweiß wird durch pflanzliches ersetzt, so ist Soja in der Geflügelhaltung zur Haupteiweißquelle geworden. Der Ökolandbau lehnt das aufgrund der Produktionsbedingungen ab. Soja wächst in Monokulturen, vor allem in den USA, Brasilien und Argentinien, wo es kaum noch gentechnikfreie Pflanzen gibt. Biobauern versuchen Soja durch Raps und Sonnenblumenöl zu ersetzen. „Unter ernährungsphysiologischen Aspekten ist das für die Tiere nichts“, meint Andres. Aus seiner Sicht droht den Tieren eine Mangelernährung. „Halten Sie das für artgerecht?“, fragt der Geflügelbauer. „Also ich nicht.“

Was für die Hühner das Beste ist und was die Politik dafür hält, deckt sich für den Herrn über 160 000 Hühner oft nicht. So sollen Hühner künftig leben dürfen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Momentan wird einem einen Tag alten Küken mit Infrarotlicht eine Verbrennung an der Schnabelspitze zugefügt, damit sie 14 Tage später abfällt. „Von allein, es fließt kein Blut“, betont Andres. Vom 1. Januar 2017 an dürfen Hühner mit gestutzten Schnäbeln nicht mehr eingestallt werden. Seit Dezember hält Andres deshalb schon eine Herde mit heilen Schnäbeln. Im Teststall will er Erfahrung mit der neuen Gesetzesvorgabe sammeln. Er erwartet, dass es blutig wird. Denn in freier Wildbahn nutzen die Tiere ihre Schnäbel als Waffen, um Feinde abzuwehren. In der Enge besteht die Gefahr, dass sie damit auf ihre Artgenossen losgehen. Andres jedenfalls geht davon aus, dass die ethische Entscheidung gegen das Schnäbelkürzen einige Hühnerleben kosten wird. Derzeitige Prognosen rechnen mit einer Verdoppelung der Mortalitätsrate. „Das heißt, durch diese Politik sterben jährlich vier Millionen Hühner mehr.“

Also doch zurück nach Bullerbü? „Die Bauernhofidylle wie aus dem Bilderbuch ist heute nicht mehr zu bezahlen“, konstatiert der Landwirt mit Bedauern. Eier aus einem Betrieb, den eine Familie allein bewirtschaften kann, müssten 50 bis 60 Cent pro Stück kosten, rechnet er vor. Immerhin soll Brütereien nun verboten werden, männliche Küken nach dem Schlüpfen zu schreddern oder zu vergasen, weil sie keine Eier legen und für die Geflügelproduktion deshalb wertlos sind. 140 000 Jungtiere sterben jeden Tag, statt zu Hähnen zu werden. Künftig soll das Geschlecht schon im Ei erkannt und ungeborenes Leben entsorgt werden. Dadurch fehlen aber auch 45 Millionen Hähnchen, die in Zoos verfüttert und zu Tierfutter verarbeitet werden. Einst wurde ein Weg gesucht, die übrigen Tiere zu vermarkten. Jetzt ist der Bedarf geschaffen. Die Industrie kennt kein Zurück.

Weitere Infos zum Thema:

214 Eier essen wir pro Schnitt im Jahr. Mehr als die Hälfte verzehren wir unbemerkt in Form verarbeiteter Lebensmittel wie Nudeln, Backwaren, Puddingpulver oder Fertiggerichten. Aus welcher Haltungsform die Eier stammen, ist auf der Verpackung selten angegeben. Die Kennzeichnung ist anders als bei frischen Eiern freiwillig.
In Rheinland-Pfalz leben rund eine Million Legehennen. Sie decken ein Fünftel des Bedarfs. Die Eier, die wir im Supermarkt kaufen, werden überwiegend in Niedersachsen, den Niederlanden oder Belgien produziert.
Käfighaltung ist in der EU seit 2012, in Deutschland seit 2010 verboten. 2025 ist auch die Kleingruppenhaltung tabu, die jedem Tier 750 Quadratzentimeter Lebensraum zubilligt (Din A4). In Deutschland leben so noch sechs Millionen Hühner. Eier mit der Kennziffer 3 lassen sich nicht mehr vermarkten und landen in der Lebensmittelindustrie.