Jerusalem

Politikwissenschaftler: „Für Israel ist Sicherheit wichtiger als Frieden“

Immer weiter wuchern jüdische Siedlungen wie hier bei Ramallah ins Westjordanland. 125 sollen es derzeit sein, in denen 590 000 Menschen leben. In einer neuen UN-Resolution wird der sofortige Stopp des Siedlungsbaus gefordert. In Jerusalem reagiert die Regierung Netanjahu empört.
Immer weiter wuchern jüdische Siedlungen wie hier bei Ramallah ins Westjordanland. 125 sollen es derzeit sein, in denen 590 000 Menschen leben. In einer neuen UN-Resolution wird der sofortige Stopp des Siedlungsbaus gefordert. In Jerusalem reagiert die Regierung Netanjahu empört. Foto: AFP

Israel hat äußerst scharf auf die UN-Resolution reagiert, die einen sofortigen Siedlungsstopp im besetzten Westjordanland fordert – einschließlich Ost-Jerusalem. Wie tickt die rechte Regierung Benjamin Netanjahus? Wir sprachen mit Prof. Efraim Inbar darüber, warum Israel so vehement auf seiner Siedlungspolitik beharrt und weshalb er den Palästinensern die Reife für einen eigenen Staat abspricht. Der Leiter des Begin-Sadat-Centers for Strategic Studies, einer konservativen Denkfabrik an der Universität Ramat Gan, geht dabei hart mit US-Präsident Barack Obama ins Gericht und freut sich auf dessen Nachfolger Trump.

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Eigentlich steht in der UN-Resolution ja nichts Neues. Die Forderung nach einem Siedlungsstopp Israels im Westjordanland wird seit Jahren immer wieder erhoben. Warum ist die Reaktion Benjamin Netanjahus so heftig ausgefallen?

Zunächst mal sind wir höchst verärgert über das Verhalten der USA, die wir eigentlich für einen Verbündeten gehalten haben. Und dass die UN uns als Besatzer brandmarkt, finde ich einfach nur lächerlich und antisemitisch. Schon allein der Gedanke, auf Teile Jerusalems zu verzichten, ist inakzeptabel. Sollen wir künftig etwa bei den Palästinensern um Erlaubnis fragen, wenn wir an der Klagemauer beten wollen? Aber die Welt denkt da wohl anders als wir.

Der Siedlungsbau ist immerhin eines der wichtigsten Hindernisse auf dem Weg hin zu einem Kompromiss mit Ramallah. Warum stoppt Israel diese Politik nicht endlich?

Warum sollten wir? Es ist unser Heimatland. Ich sehe keinen Grund, warum es Juden verwehrt werden sollte, in ihrem eigenen Land zu leben. Und die meisten Siedlungen befinden sich ja nahe der israelischen Grenze. Das hat die US-Regierung Bush akzeptiert, die von Barack Obama leider nicht. Ein Grund, weshalb wir über ihn verärgert sind. Zudem haben wir durchaus schon Siedlungen aufgegeben. Etwa auf dem Sinai, in Gaza und auch in Samaria. Dass die Palästinenser nun von uns fordern, alle Siedlungen zu räumen, ist für uns absolut inakzeptabel. Wenn 20 Prozent der israelischen Bevölkerung Palästinenser sind, warum sollten dann nicht auch Juden in einem künftigen palästinensischen Staat leben können?

Aber die Westbank ist schließlich auch die Heimat der Palästinenser.

Wir sind ja bereit, das Land zu teilen. Ich könnte mir etwa einen künftigen Palästinenserstaat vorstellen, der aus A- und B-Gebieten in der Westbank besteht. Es sind doch immer die Palästinenser, die sich weigern. Aber die Siedlungen sind nicht das Thema. Das Problem ist, dass die Palästinenser nicht bereit sind, einen jüdischen Staat neben sich zu akzeptieren.

Die derzeit von den Palästinensern verwalteten Gebiete (A und B) machen nicht mal 40 Prozent der Westbank aus. Ein Flickenteppich, der so gar nicht lebensfähig ist. Wären Sie bereit, für einen Frieden auch das Jordantal oder einen Teil Jerusalems zu opfern?

Das ist genau das, was ihr in Europa oft nicht versteht. Frieden ist für uns nicht der wichtigste Wert. Für Israel ist das die nationale Sicherheit. Und die Palästinenser träumen von einem Staat, der viel größer ist, als sie ihn je bekommen werden. Und wenn Sie das Jordantal ansprechen: Das ist für mich nicht verhandelbar. Wir wollen keinen Islamischen Staat neben uns. Wir wollen kein zweites Gaza. Und für Jerusalem würde ich sogar persönlich kämpfen. Die Stadt ist für mich wichtiger als Frieden.

Ist diese Hardlinerpolitik nicht kontraproduktiv für Israel? Sie schwächen damit die Position des gemäßigten Fatah-Präsidenten Mahmud Abbas und stärken die radikale Hamas.

Abbas ist wegen seiner eigenen Amtsführung geschwächt. Und die islamistische Radikalisierung ist nicht nur ein palästinensisches Phänomen. Schauen Sie sich doch um. Syrien, Irak. Das ist eine allgemeine arabische Krankheit. Dass Hamas die Wahlen in Gaza gewonnen hat, hat mit Israel gar nichts zu tun. Das liegt an der Unfähigkeit der Abbas-Regierung.

Aber Sie ziehen den moderaten Abbas schon der Hamas vor, oder?

Natürlich ist der uns lieber. Aber wenn jetzt Wahlen wären, würde den Umfragen zufolge die Hamas gewinnen. Doch es gibt ja keine. Auch Abbas ist ein korrupter Diktator. Und ich kann wirklich nicht verstehen, warum etwa Deutschland ihn so unterstützt.

Klingt düster. Glauben Sie dann überhaupt noch an die Zweistaatenlösung. Oder ist die tot?

Ich glaube nicht, dass die Palästinenser derzeit in der Lage sind, einen Staat aufzubauen. Einen gescheiterten gibt es ja schon. Warum die ein Liebling des Westens sind, verstehe ich nicht.

Reden wir mal über die einfache palästinensische Bevölkerung, die ja meist unter furchtbaren Bedingungen lebt – besonders in Gaza. Empfinden Sie da kein Mitleid?

Doch, natürlich. Aber das ist nicht unsere Verantwortung. Das liegt an ihrer Regierung. Vor allem in Gaza. Ich will keine hungernden Menschen. Aber bitte vergessen sie auch nicht, dass sie auf uns schießen. Und sie lieben Hamas. Das ist für uns eine höchst unangenehme Tatsache.

Reden Sie manchmal mit Ihren palästinensischen Uni-Kollegen über den Nahost-Konflikt?

Eher selten. In Jerusalem jedenfalls nicht. In London vielleicht. In der Oxford Street ist es einfacher, Frieden zu schließen, als vor unserer Haustür. Beim Shoppen etwa.

Das Verhältnis Israels zu Barack Obama ist bekanntlich extrem angespannt. Freuen Sie sich auf einen US-Präsidenten Donald Trump, der von Außenpolitik keinen blassen Schimmer zu haben scheint?

Obama ist für mich ein fehlgeleiteter Liberaler. Der weiß nicht, was hier abgeht. Deshalb: Ja, ich freue mich auf Trump. Und Obama hatte ja von Außenpolitik auch keine Ahnung, als er das Amt übernahm.

Was erwarten Sie denn konkret von Donald Trump?

Zunächst mal, dass er die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt. Das wäre ein wichtiger symbolischer Akt. Und ich hoffe, dass er dem Nuklearabkommen mit dem Iran kritischer gegenübersteht und genau überprüft, ob die Iraner es dann auch wirklich konsequent umsetzen.

Sie haben mal gesagt, dass Angst die wichtigste Währung im Nahen Osten ist. Sind wir Europäer zu naiv oder Sie zu zynisch?

Ja, in diesem Dschungel musst du stark sein. Wenn du es nicht bist, wirst du gefressen. Ich würde sagen, dass wir Israelis pragmatisch sind. Aber grundsätzlich sind wir natürlich auch zu Kompromissen bereit, wenn es der nationalen Sicherheit dient. Denken Sie an den Friedensvertrag mit Ägypten.

Die arabische Welt befindet sich in einem enormen Umbruch. Staaten wie Irak und Syrien zerfallen. Kann die Entwicklung zu einer neuen Bedrohung für Israel werden?

Zunächst einmal haben wir keinen Einfluss auf das, was da passiert. Unser Dilemma ist folgendes: Wenn wir Frieden schließen wollen, brauchen wir dazu starke Staaten als Verhandlungspartner. Das ist ja auch unser Problem mit Abbas. Andererseits stört es mich nicht, dass unser Feind Syrien innere Probleme hat. Dann sinkt auch die Bedrohung für uns. Viel gefährlicher für uns ist aber der Iran. Die wollen uns zerstören.

Ihre Einschätzung klingt allgemein nicht sonderlich hoffnungsvoll. Denken Sie, dass es jemals Frieden im Nahen Osten geben wird?

Natürlich ist Frieden möglich. Das hat ja mit Ägypten und Jordanien geklappt. Aber bei uns muss man da sehr geduldig sein.

Das Gespräch führte Dirk Eberz

Was steht genau in der umstrittenen UN-Resolution?¶

1 Israels Siedlungsbau in den besetzten Palästinensergebieten seit 1967, einschließlich dem in Ost-Jerusalem, verstößt gegen internationales Recht und gefährdet die Vision von zwei Staaten.

2 Israel wird aufgefordert, alle Siedlungsaktivitäten in den besetzten Palästinensergebieten einschließlich Ost-Jerusalem sofort zu stoppen. Negative Trends, die eine Zweistaatenlösung gefährden könnten, müssen rückgängig gemacht werden.

3 Alle Gewalttaten gegen Zivilisten, einschließlich Terroranschlägen, sowie Akte der Provokation und Zerstörung müssen verhindert werden. Beide Seiten müssen zudem ihre gemeinsamen Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus verstärken und alle Terrorakte klar verurteilen.

4 Beide Seiten müssen alle Provokationen und Hetze unterlassen, um Ruhe zu gewährleisten und das gegenseitige Vertrauen wiederherzustellen.
5 Alle Parteien müssen sich um die Wiederaufnahme ernsthafter Verhandlungen über Kernfragen bemühen.

6 Alle Staaten müssen unterscheiden zwischen dem Gebiet des Staates Israel und den seit 1967 besetzten Gebieten.

7 Der Generalsekretär der Vereinten Nationen muss dem Sicherheitsrat alle drei Monate über die Umsetzung der Vorgaben Bericht erstatten.