Porträt: Kommt ein Künstler an die Mosel ...

Andreas Brandt an seinem Grafiktablet: Seine Cartoons signiert er mit „Sebby“. Diesen Spitznamen verdankt er seiner Mama. Sie schenkte ihm mit zwei Jahren eine Lederhose. Aus Seppi wurde im Norden „Sebbi“. Das Y ist grafisch schöner.
Andreas Brandt an seinem Grafiktablet: Seine Cartoons signiert er mit „Sebby“. Diesen Spitznamen verdankt er seiner Mama. Sie schenkte ihm mit zwei Jahren eine Lederhose. Aus Seppi wurde im Norden „Sebbi“. Das Y ist grafisch schöner. Foto: Christoph Bröder

Andreas Brandt (52) ist erfolgreicher Cartoonist. 
Der extrovertierte Künstler lebt abwechselnd an höchst 
verschiedenen Orten: Berlin und Zell an der Mosel. 
Der Liebe wegen.

Lesezeit: 5 Minuten
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Von unserem Redakteur David Ditzer

Quietschend saust die abgeschrägte Spitze eines schwarzen Filzstiftes über ein weißes Blatt. Eine Sprechblase entsteht, ein Haarschopf, Augen, eine knollige Nase, die Gesichtszüge eines Mannes gesellen sich hinzu. In Windeseile führt Andreas Brandt zwei Welten auf einem Stück DIN-A3-Papier zusammen: die Tierwelt und die der Menschen. Wo beide aufeinandertreffen, da entsteht etwas, das fast jeder zu schätzen weiß und von dem Brandt lebt: ein Witz. „Beim Witz ist es so: Man muss etwas in eine andere Welt übersetzen“, sagt er. „Man hat zwei verschiedene Welten, und beim Witz kommen diese zusammen. Dann knallt's, dann ist ein Lacher da.“

Lacher sind das Ziel jeder Linie, die Brandt in seinem Arbeitszimmer am Moselufer der Stadt Zell zu Papier bringt, denn der 52-Jährige zeichnet Cartoons. Zu seinen Kunden zählen circa 70 Zeitungen und Zeitschriften in sechs Ländern. Regelmäßig tauchen seine lustigen Bilder zum Beispiel in „Funk Uhr“, „Lea“, „Freizeitwoche“, dem „Luxemburger Wort“ oder der „Main Post“ auf. Auch in der „Hamburger Morgenpost“, der „Frankfurter Rundschau“ oder dem „St. Galler Tagblatt“ sind sie sporadisch zu finden. Doch mit dem Zusammenführen verschiedener Welten sammelt Brandt nicht nur beruflich täglich so seine Erfahrungen, sondern auch privat. Schließlich lebt er seit dem Jahr 2010 mit seiner Frau Brigitte in Zell. Regelmäßig aber zieht es ihn für gewisse Zeiträume zurück nach Berlin. Dort hat er zwischen Kurfürstendamm und Bahnhof Zoo, also mitten im prallen Leben, noch eine Wohnung.

Cartoonist Andreas Brandt mit seiner Frau Brigitte. Die beiden kauften sich ein Haus in der Moselstadt Zell.
Cartoonist Andreas Brandt mit seiner Frau Brigitte. Die beiden kauften sich ein Haus in der Moselstadt Zell.
Foto: Christoph Bröder

Dass er einmal heiraten und ein Haus an der beschaulichen Mosel beziehen würde – unvorstellbar. „Ich wollte nie heiraten, war ein überzeugter Junggeselle“, unterstreicht Brandt grinsend. Bis zum Jahr 2005. Da erhält Brandt, der in Cäciliengroden, einem Dorf im Kreis Friesland, aufgewachsen ist, eine Einladung zur Hochzeit eines Schulfreundes, mit dem er Abitur gemacht hat: Markus Eudenbach. Eudenbach ist Technischer Betriebsleiter am Zeller Krankenhaus. Er stellt Brandt seiner späteren Frau vor, sie lernen sich kennen und lieben. „Wobei wir uns anfangs schon aneinander gewöhnen mussten“, räumt Brandt ein. Er, ein Künstler aus der Hauptstadt, noch dazu einer, der selbst im Haus einen Hut trägt – Oberhemd und Weste dazu. Und sie, in Briedel geboren, Moselanerin durch und durch. Brigitte Brandt blickt lachend zurück: „Am Anfang haben meine Freunde gesagt: ,Einen Künstler? Nee, das sind komische Leute.' Aber das war mir egal, ich habe das dann trotzdem gemacht und es nie bereut.“ Auch ihre beiden Kinder, die sie aus erster Ehe hat, verstehen sich mit ihrem neuen Mann, sagt sie.

Unverhofft kommt oft. Es ist ein bisschen wie in dem Cartoon, dessen Linien Brandt in seinem Arbeitszimmer so flink nachzeichnet: Ein Mann schaut aus seiner spaltbreit geöffneten Haustür heraus. Davor steht ein Storch, der an einer Bettlakenschlinge ein Baby im Schnabel hat. Mimik und Sprechblase geben die Irritation des Mannes wieder: „Kann nicht sein. Meine Frau hat jedes Mal Migräne.“

Da sind sie wieder, die beiden Welten – Kollision, Pointe. Wobei sich Brandt nicht nur im gezielten Zusammenführen von Welten eine gewisse Expertise erworben hat. Er weiß auch, wie es sich anfühlt, wenn Welten einstürzen. Die Zeit nach seinem Abi beginnt nämlich frustrierend. Dabei ist ihm damals, im Jahr 1984, sonnenklar, was er will: „Ich wollte auf jeden Fall Cartoons zeichnen.“ Aber erst einmal muss er diese lästige Pflicht loswerden, seinen Wehrdienst zu leisten. „Das war damals gar nicht so leicht, aber irgendwie habe ich es doch geschafft, mich ausmustern zu lassen.“

Bahn frei für die Karriere als Künstler, von der er träumt. Wobei allein das in seinem Heimatdorf, das Ende der 1930er-Jahre als Siedlung für Arbeiter der Wilhelmshavener Kriegsmarinewerft entstand, viele hochgezogene Augenbrauen hervorruft: „Es kann schon gruselig sein, wenn man sich in einem Arbeiterdorf auf einmal zum großen Künstler erklärt“, erinnert er sich. Doch Brandt lässt sich nicht beirren. Er verschickt Bewerbungsmappen, prall gefüllt mit Kostproben seines karikierenden zeichnerischen Könnens, an Kunsthochschulen. Von anderen Bewerbern, die weitaus konventionellere Zeichnungen in ihren Mappen haben, erntet er durchaus Bewunderung – von den Entscheidern in den Hochschulen dagegen nur Ablehnung. „Ich habe zwei Absagen bekommen, die haben mir richtig wehgetan“, sagt Brandt. Die Zukunft, wie er sie sich ausgemalt hatte, zerbröselt von jetzt auf gleich in kleine Krümel.

Für manch böse Pointe lassen sich die Tierwelt und die Welt der Menschen wunderbar vereinen.
Für manch böse Pointe lassen sich die Tierwelt und die Welt der Menschen wunderbar vereinen.
Foto: Christoph Bröder

Ein Professor in Kiel schenkt Brandt reinen Wein ein: Er sei zu konkret auf etwas festgelegt, deshalb könne er mit seinen Zeichnungen nicht reüssieren. Von diesem Schuss vor den Bug muss Brandt sich erst einmal erholen, nach einer Weile sagt er sich: „Jetzt erst recht.“ Finanziell hält er sich als Taxifahrer über Wasser, „auch damit die Vita passt“. Schließlich kann die Karriere eines Cartoonisten unmöglich geradlinig verlaufen. „Tagsüber habe ich wie ein Wahnsinniger gezeichnet.“ Sein erstes Cartoonbuch entsteht, das er 1986 an den Semmel-Verlag, bekannt für die Werner-Comics, schickt – und verkauft. Eine weitere Kopie erhält eine Werbeagentur in Oldenburg. Einen Tag nach Eingang arbeitet Brandt dort, mit Vertrag. Er zeichnet Werbefiguren für Lebensmittelläden und Discounter – Auftragsarbeiten. Elf Jahre lang, doch 1997 nimmt der Wunsch überhand, eigene Ideen zu verwirklichen. Brandt gibt den Job in Oldenburg auf, zieht nach Berlin. „Es war ein Umzug aus Liebe“, unterstreicht er. „Und zwar aus Liebe zu dieser Stadt.“

Dass dies bloß sein erster Umzug aus Liebe sein würde, ahnt Brandt zu diesem Zeitpunkt nicht. Zunächst ist es für ihn schwierig, an Kunden für seine Cartoons zu kommen. Deshalb verdient er sich Geld mit Lizenzarbeiten, zeichnet etwa im Auftrag von Walt Disney Deutschland Figuren wie Donald Duck für T-Shirts, Tassen oder andere Werbeartikel. Dass seine eigenen Ideen anfangs kaum in Bares umzumünzen sind, wundert Brandt heute nicht mehr. „Ich habe damals immer gedacht, meine Witze muss jeder toll finden. Bis ich gelernt habe, es gibt einen Witz bei mir im Kopf und einen Witz da draußen. Und ich muss die Mitte finden.“ Mittlerweile weist seine eineinhalb Jahre ältere Frau Brigitte Brandt den Weg zur Mitte, sagt ihm, wenn ein Witz nicht funktioniert. „Hausfrauenkontrolle“ nennt er das liebevoll und betont lachend, das keineswegs despektierlich zu meinen. Brandt ist ein Freigeist, Querdenker, einer, der Veränderung braucht. Und er ist ein besessener Arbeiter. In seiner Wohnung in Berlin zieht er oft das Telefon heraus, lässt niemanden hinein. Er nimmt Wechselduschen, klopft sich auf die Brust. „Dann setze ich mich mit nacktem Oberkörper aufs Bett und muss richtig konstruieren.“ Er kritzelt reihenweise Ideen aufs Papier, bis etwas gut funktioniert. Oft sind es Menschlichkeiten, die er in die Tierwelt überträgt. Mit Hühnern und Hunden arbeitet er gern, greift „brav aktuelle Themen auf“. Ob in Berlin oder Zell, Brandt ist ständig auf der Suche nach Inspiration, hat immer etwas zu schreiben dabei. Die ersten Skizzen überträgt er oft in seinem Zeller Arbeitszimmer ins Reine, über dessen Eingangstür in rotbraunen Lettern „Bureau du chef de brigade“ steht. Er scannt die Zeichnungen ein, erledigt Feinarbeiten und das Kolorieren an einem Grafiktablet.

Erste Skizzen überträgt Andreas Brandt in seinem Zeller Arbeitszimmer ins Reine.
Erste Skizzen überträgt Andreas Brandt in seinem Zeller Arbeitszimmer ins Reine.
Foto: Christoph Bröder

Das Kontrastprogramm zwischen der „Heinz-Rühmann-Idylle“ der Mosel und dem prallen, mitunter grellen Leben Berlins „ergänzt sich bei mir toll“. Seine Frau hält ihm den Rücken von jeglicher Bürokratie frei, ist immer mal wieder mit ihm in Berlin. Brandt betont: „Ich könnte definitiv nicht ohne Berlin sein. Das ist nicht denkbar.“ Brigitte Brandt direkt: „Das ist ja auch nicht nötig. Es klappt so schließlich gut.“ Das Beste aus beiden Welten.