Vinocamp Mosel in Hatzenport: Wahres über Wein
Zum Weincampen im Winter an die Mosel? Braucht man dafür ein Zelt? Nein. Aber ein Schlafsack kann helfen: Falls die Heizstrahler abschalten, weil der Stromkreislauf unter zu großer Last zusammenbricht, sobald Licht und Spülmaschine gleichzeitig laufen. Dann heißt's Prioritäten setzen. Und die liegen bei einem Weincamp eindeutig auf sauberen Gläsern.
Vinocamp Mosel, so heißt das Weincamp, zu dem am vergangenen Wochenende Weininteressierte aus ganz Deutschland (und der Schweiz) in Hatzenport zusammenkamen, um drängende Weinthemen zu beraten. Der Name geht auf den Begriff Barcamp aus der Bloggerszene zurück. Er bedeutet, dass sich Gleichgesinnte, die sich sonst übers Internet austauschen, persönlich begegnen, um gemeinsam Probleme anzugehen.
Teilnehmen darf bei einer solchen offenen Fachkonferenz jeder, der sich einmischen will. Die Organisation eines Barcamps beschränkt sich auf das Schaffen der Rahmenbedingungen, beim Inhalt herrscht weitgehend Anarchie. Man will sich keine unnötigen Beschränkungen auferlegen und dem Treffen die Möglichkeit geben, sich mit den Teilnehmern zu entwickeln. Bestenfalls gelingt's.
Initiator Sven Zerwas hatte die Herde williger Weincamper per Facebook-Aufruf in den Kulturhof K5 nach Hatzenport, ein ehemaliges Weingut, gelotst. Das Motto: „Not only Riesling“ (nicht bloß Riesling). Da ist quasi alles möglich.
Weil Wein viel mit Landschaft zu tun hat, steht zum Aufwärmen eine Wanderung durch Hatzenports Weinberge an. Nicht ganz ungefährlich, die Kraxelei durch den Steilhang – zumal die Wanderer ein Weinglas in Händen halten. Schließlich wollen sie wissen, wie das schmeckt, was hier wächst.
Beim anschließenden Willkommensbüfett geht's ums Kennenlernen. Dabei hilft, dass jeder Teilnehmer seinen Lieblingswein vorstellt. Einige sind sich schon auf anderen Vinocamps begegnet oder haben voneinander in Blogs gelesen, wo sie ihre Ess- und Trinkerfahrungen mit der Internetwelt teilen.
Ring frei zur Programmgestaltung.
Die Camper werfen Fragen in die Runde, die ihnen unter den Nägeln brennen. Etwa die, wie sich mit Wein aus Steillagen genügend Geld verdienen lässt. Ob der Klimawandel dem Riesling bald den Garaus macht und die Mosel auf andere Rebsorten und ein neues Image setzen muss. Sollte ein Winzer für Weinproben Geld verlangen, um sich Gratistrinker vom Hals zu halten und interessierte Besucher zugleich von der Angst des Kaufenmüssens zu befreien? Und ja, der Kunde – welche Weine wünscht der sich eigentlich?
Sessions, kleine Sitzungen zu einem Thema, finden statt, sobald ein Vorschlag auf mindestens einen Interessenten trifft. Die Runde wird bunt. So hat Joachim Kaiser, Vinocamper aus Karlsruhe, von einer Amerikareise drei Flaschen Wein mitgebracht, die er zum gemeinschaftlichen Erkenntnisgewinn spenden will. Schluckweise soll so ein bislang blinder Fleck auf der Weinlandkarte Gestalt annehmen. Verena Armbruster erzählt aus ihrem Arbeitsalltag, der darin besteht, das Image einer Traditionskellerei zu entstauben. Um der Weinmarke Erben aus Traben-Trarbach mehr Sexappeal zu geben, hat die findige Schwäbin mit einem Berliner Marketingmenschen ein Crowd-Projekt gestartet. Per Internetabstimmung durfte das junge Zielpublikum Rebsorte, Anbaugebiet, Verschlussart und Namen für einen neuen Rot-/Weißwein wählen. Das kam an.
Essen spielt im Camp die zweite Hauptrolle. Klar, wenn es schon morgens eine Verkostung mitgebrachter Winzersekte gibt. Lumpen lassen sich Genussmenschen bei der Verpflegung nicht – was auf den Tisch kommt, ist beinahe sterneverdächtig. Schuld hat das Kölner Rheinkombinat, eine Truppe von Kochverrückten. Die können sich wenig Schöneres vorstellen, als in ihrer Freizeit rund 40 anspruchsvolle Esser stilvoll satt zu kriegen. Weil sich dafür eine Gulaschkanone nicht schickt, richten sie ein Fünf-Gänge-Dinner Teller für Teller an. Tags drauf gibt's drei Fischgänge. Der Lachs hat über Nacht in Wodka und Roter Bete gelegen. Nun wird er, reizend rot gefärbt, auf Spinatblättern zu Blütenkelchen drapiert und per Pinzette mit Perlen aus Balsamicokaviar aufgehübscht. Verrückt? Ziemlich. Oder eine Maßnahme zur Friedenssicherung im Camp. Weil ein gut gefüllter Magen die Moral hoch- und die Mannschaft vom Revoltieren abhält.
NICOLE MIEDING