Koblenz

Wenn sich Frauen nach der Diagnose überrollt fühlen

Brustkrebs erkennen
Je früher ein Tumor entdeckt wird, desto größer sind die Heilungschancen. Frauen sollten daher einmal im Monat ihre Brust abtasten. Foto: Monique Wüstenhagen

Wenn Brustkrebspatientinnen zu der Koblenzer Onkologin Dr. Maria Theresia Keller und ihren Kollegen in der Praxis am Kemperhof kommen, dann sprechen sie im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung oft von einem Zug, der mit der Diagnose Krebs ins Rollen gebracht wurde.

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„Sie haben das Gefühl, dass sie diesen Zug nicht mehr anhalten können, dass ihnen die Entscheidung über den eigenen Körper entrissen wird. Viele wünschen sich aber, dass sie etwas Zeit bekommen, um sich eine Entscheidung zu überlegen.“ Dieses Ohnmachtsgefühl führe viele Patientinnen zur Alternativmedizin, die verspreche, sich stärker den Patienten zu widmen. Schulmedizinerin Keller hat daraus die Konsequenz gezogen, „dass wir dem Patienten stärker das Gefühl vermitteln müssen, dass sie entscheiden, was mit ihnen während der Behandlung passiert“.

Das Kuriose ist, dass es wohl kaum eine andere Erkrankung gibt, bei der die Patienten so stark bei der Therapie mitbestimmen können wie beim Brustkrebs. Das liegt auch daran, erklärt Dr. Keller, dass die Krebsmedizin gerade bei der Behandlung des Mammakarzinoms stark individualisiert und patientenorientiert geworden ist.

Die Grundlage dafür wird nach einer positiven Mammografie gelegt: Sobald der Gynäkologe beim Ultraschall und der Pathologe nach der Stanzbiopsie in der Klinik einen bösartigen Tumor bestätigt haben, werden die Daten für die spätere Entscheidung über die richtige Therapie gesammelt. Sind die Hormonrezeptoren der Tumorzellen positiv? Liegt also ein Tumorwachstum vor, das von den weiblichen Hormonen Östrogen und Progesteron abhängig ist? Dann könnte eine antihormonelle Therapie helfen. Oder ist der HER2-Rezeptorwert positiv? HER2 ist ein Rezeptor, also ein Eiweiß oder Proteinbaustein, auf der Oberfläche von Brustkrebszellen, über den Signale von der Zelloberfläche an den Zellkern weitergeleitet werden. Bei etwa 20 Prozent der Tumore ist die Anzahl dieser Rezeptoren stark erhöht. Dies führt zu einer Überflutung mit Wachstumssignalen, sodass sich die Zellen unkontrolliert teilen und vermehren. In diesem Fall könnte eine Antikörpertherapie helfen.

Tumor unter Kontrolle behalten

Hat der Tumor gestreut, also Metastasen in Leber, Lunge, Knochen oder sogar im Hirn gebildet? Laut Dr. Keller erkrankt im Schnitt jeder achte bis zehnte Patient an Brustkrebs, davon hat jeder zwölfte Metastasen bei der Erstdiagnose. Nur wenn dies nicht der Fall ist, wird operiert. Eine vollständige Heilung ist nur in diesen Fällen möglich. Ansonsten versuchen die Mediziner, die Tumore möglichst lange mit antihormoneller und Chemotherapie unter Kontrolle zu halten.

Alle Ergebnisse der Voruntersuchungen werden für die Tumorkonferenz am Brustzentrum am Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein zusammengetragen. Dort empfehlen dann Experten aus verschiedenen Fachbereichen eine bestimmte Therapie. Zentrales Ziel ist heute eine möglichst brusterhaltende Operation. Deshalb finden laut Dr. Keller Chemotherapien oftmals schon vor der Operation statt, auch um zu beobachten, wie der Tumor auf die Behandlung reagiert.

Was jedoch genau gemacht wird, entscheidet die Patientin. Einige wehren sich stark gegen eine Chemotherapie, weil sie große Angst vor den Folgen, besonders dem Haarausfall, haben, berichtet Dr. Keller. Doch letztlich geht es um eine Abwägung, die viele in ein Dilemma stürzt: „Das Problem ist, dass ihnen etwas empfohlen wird, gegen das sie sich mit allem sträuben. Andererseits haben sie vor Augen, was passieren würde, wenn sie nichts tun würden. Und dann erfahren sie, dass 90 Prozent der Brustkrebspatienten fünf Jahre nach der Diagnose noch leben, wenn sie behandelt wurden.“

Sortieren und bremsen

Da ist er wieder: der rasende Zug, der sich jetzt schon gar nicht bremsen zu lassen scheint. Die vielen Informationen und Empfehlungen, die eine Brustkrebspatientin schier überrollen. Dann versucht Dr. Keller, den Zug ein wenig zu bremsen. „Das Wichtigste ist dann, dass Patientinnen verstehen, warum etwas gemacht werden soll und welche Folgen das für sie hat. Ich helfe ihnen beim Sortieren. Und wenn sie begreifen, warum etwas mit ihnen passiert, dann ist der Weg dahin für alle leichter.“