Brüssel

West-Ost-Gefälle: Nutella-Krise spitzt sich zu

Von Detlef Drewes

Fischstäbchen mit deutlich weniger Fisch, Nutella, die erkennbar weniger nach Schokolade schmeckt – die östlichen EU-Mitgliedstaaten wehren sich gegen „Lebensmittelrassismus“. Jetzt haben die Regierungen der vier Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn die Brüsseler Kommission aufgefordert, aktiv zu werden. Was steckt hinter dem Streit?

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Wieso sind Nahrungsmittel im Osten geringwertiger als im Westen?

Die chemische Fakultät der Uni Prag hatte schon 2015 nachgewiesen, dass etwa Limonaden im Westen mit Zucker, im Osten mit künstlichen Süßstoffen versehen sind. Ungarns Lebensmittelbehörde stellte fest, dass Nutella im Nachbarland Österreich schokoladiger schmeckt als in Budapest. In polnischen Leibniz-Keksen wurde ein deutlich niedrigerer Anteil von Butter als in den deutschen gefunden. Der slowakische Regierungschef Robert Fico präsentierte gleich mehrere Beispiele: So kosteten ihm zufolge 990 Milliliter des Weichspülers Lenor in der Alpenrepublik 1,99 Euro. Der slowakische Kunde muss allerdings 2,99 Euro bezahlen und bekommt dafür sogar noch 60 Milliliter weniger. Fischstäbchen enthielten nur 58 Prozent Fisch, während es im Westen 65 Prozent sein sollen.

Stimmt das? Was sagen die Hersteller dazu?

Zunächst muss man wissen, dass sich die Proteste der vier Regierungen und der Bevölkerung ausschließlich gegen ausländische Hersteller wenden. Die großen Konzerne weisen die Vorwürfe zurück, räumen aber ein, dass man sich zum Beispiel bei den Verpackungsgrößen nach den regionalen Märkten und den dortigen Kunden richten würde.

Was soll die Kommission nun tun?

Die Länder fordern von der Brüsseler EU-Kommission „adäquate Maßnahmen“, um die Lage zu beenden, dass „unsere Verbraucher in diskriminierender Weise anders behandelt werden“. Das sind Auszüge aus dem Beschluss der vier Regierungschefs. In der gesamten Union müssten die gleichen Qualitätsmaßstäbe für Verbraucher gelten. Man erwartet also von der Kommission, dass sie industriell hergestellte Lebensmittel überwacht, kontrolliert und zulässt.

Hat die Kommission denn dazu überhaupt die Möglichkeiten und Kompetenzen?

Nein. Erst im März hatten die Staats- und Regierungschefs der EU vereinbart, dass der derzeitige gesetzliche Rahmen ausreiche, um gegen „unfaire Handelspraktiken vorzugehen“. Damit liegt die Verantwortung bei den nationalen Verbraucherschutzbehörden, die „ihre Befugnisse nutzen“ sollten, um Ungleichgewichte zu beseitigen. Bei dieser Linie wird die Kommission auch bleiben. Brüssel stellt sich auf den Standpunkt: Damals wolltet ihr keine zentrale europäische Behörde, jetzt ruft ihr danach. Das geht so nicht.

Könnten die vier Regierungen nicht bestimmte Hersteller verbieten oder boykottieren?

Nein, das widerspricht den Regeln des Binnenmarktes. Der slowakische Premier Fico fordert deshalb ein Einschreiten der Kommission.

Wie reagieren die Menschen?

Reisende in Zügen von Berlin nach Warschau sind oft mit Lebensmitteltaschen bepackt. Und der Handel mit westlichen Waschmitteln im Internet boomt. Aber das kann auf Dauer keine Lösung sein.

Von unserem Brüsseler Korrespondenten Detlef Drewes