Rom/Brüssel

Haushaltsstreit der EU mit Rom: Warum Italien den Euro sprengen kann

Europäische Union
Symbolbild. Foto: DPA

Im Haushaltsstreit zwischen Italien und Brüssel stehen die Zeichen auf Konfrontation. Rom hat die Frist der EU, ein neues Budget mit weniger Schulden vorzulegen, verstreichen lassen. Sollte die Krise eskalieren, ist sogar die Gemeinschaftswährung in Gefahr.

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Da ist sich Prof. Markus Rudolf sicher. Der Rektor der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar erklärt im Gespräch mit unserer Zeitung, dass wir auf eine neue Bankenkrise zusteuern, und warum im schlimmsten Fall auch wieder die deutschen Steuerzahler zur Kasse gebeten werden, weil deutsche Banken tief mit im Schuldensumpf stecken. Rudolfs düstere Prognose: „Ich glaube nicht, dass wir den Euro in drei Jahren noch so haben werden wie jetzt.“

Der neue Haushalt der Italiener kalkuliert mit einer Neuverschuldung von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Maastricht-Kriterien schreiben 3 Prozent vor. Eine Marke, die etwa die Franzosen mehrmals gerissen haben. Warum reagiert Brüssel so scharf?

Seit 2012 gilt infolge der Finanzkrise nicht mehr der Maastricht-Vertrag, sondern der Europäische Fiskalpakt für 25 EU-Mitglieder, auch für Italien. Demnach muss jedes Euro-Land möglichst schnell ein Defizit von höchstens 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Deshalb gehen die von der italienischen Regierung verabschiedeten 2,4 Prozent völlig in die falsche Richtung. Dabei ist gerade Italien durch das Anleihenaufkaufprogramm der Europäische Zentralbank (EZB) massiv unterstützt worden.

Nun befindet sich Italien ja in einem großen Dilemma. Hohe Schulden, kaum Wachstum. Könnten die geplanten Mehrausgaben nicht tatsächlich dazu führen, die Wirtschaft zu stimulieren?

Das ist ja genau das Argument, das die Italiener vorbringen. Doch was sie tatsächlich machen wollen, ist doch vor allem die Einführung eines Frühpensionierungsprogramms. Dabei ist der Anteil der Italiener, die berufstätig sind, ohnehin schon viel geringer als in anderen EU-Staaten. In Zahlen ausgedrückt: Nur 65 Prozent der 15- bis 65-Jährigen im Land gehen arbeiten. Zum Vergleich: In Deutschland sind es rund 80 Prozent. Wenn man die Leute jetzt also noch früher in die Rente schickt, wird der Wert noch mal schrumpfen. Und die Menschen hätten dann nicht mehr Geld in der Tasche, sondern hören nur früher auf zu arbeiten.

Zur Person

Prof. Markus Rudolf ist Rektor der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar. Seit 1998 ist der 52-Jährige Ordinarius und Inhaber des Allianz Stiftungslehrstuhls für Finanzwirtschaft. Zuvor promovierte und habilitierte er an der Universität St.Gallen. Seine jüngsten Publikationen beschäftigen sich unter anderem mit der Euro-Krise, mit Banking, Risikomanagement sowie der Bewertung von Derivaten.

Und wie sieht es mit der geplanten Mindestsicherung aus?

In dem Punkt ist Italien in der Tat ziemlich archaisch. Wenn jemand seinen Job verliert, braucht er bisher familiäre Unterstützung. Deshalb will Italien so eine Art Hartz IV für Arbeitslose einführen – als automatischen Stabilisator der Volkswirtschaft. Das kann man natürlich machen. Aber irgendwie muss das Land ja von seiner enormen Verschuldung, die rund 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt, weg. Und das schafft man nicht, indem man zusätzliche Ausgaben macht. Letztlich kommt die Frage, ob Italien da ohne die Hilfe anderer europäischer Länder jemals wieder rauskommt.

Die Stimmung gegen die EU ist aufgeheizt. Nicht nur in der Regierung, auch in der Bevölkerung. Hat das Land denn tatsächlich so unter dem Euro gelitten?

Fürchterlich. Ich habe mich schon immer gewundert, dass die Italiener nicht freiwillig aus dem Euro rausgegangen sind. Denn man muss bedenken, dass Italien zu Lira-Zeiten stets ein sehr wettbewerbsfähiges Land gewesen ist. Immer dann, wenn die Produkte zu teuer wurden, hat das Land seine Währung abgewertet. Somit sind die Waren meist günstig gewesen, und die Industrie hat gute Geschäfte gemacht. Das geht mit dem Euro nicht mehr. Also bleiben ihnen heute nur noch zwei Möglichkeiten, um wettbewerbsfähig zu bleiben: höhere Produktivität oder niedrigere Löhne. Was ist also passiert? Seit Einführung des Euro sind die Löhne – ähnlich wie in Griechenland – kontinuierlich gesunken. Der Druck ist enorm. Und man kommt da auch nicht raus. Das werden sich die Italiener nicht mehr lange gefallen lassen.

Aber die Zinsen lagen zu Lira-Zeiten doch viel höher. Mit der Einführung des Euro ist Rom viel günstiger an Geld rangekommen. Sind die Möglichkeiten nicht zu großzügig ausgereizt worden?

Das würde ich so nicht sagen. Die Italiener haben eigentlich mit Ausnahme der Finanzkrise über die ganzen Jahre annähernd Primärüberschüsse erzielt, also wenn man den Zinsendienst ausnimmt. Das heißt: Sie haben relativ stark gespart. Aber es ist auch so, dass sie heute jährlich 70 Milliarden Euro für Zinsen aufbringen müssen. Zu den alten Konditionen wären es 120 Milliarden Euro gewesen. Stellen Sie sich mal vor, die 50 Milliarden kommen noch obendrauf. Dann sind die vollkommen hinüber. Das ist der Grund, warum niemand in der Regierung aus dem Euro rausgehen will. Dann müssten sie die Schulden bei einer abgewerteten Lira in Euro zurückzahlen und hätten noch mehr Schulden als 133 Prozent.

Die Finanzmärkte haben ja bereits reagiert. Die Zinsen, zu denen sich Italien Geld leihen kann, sind auf rund 3 Prozent gestiegen. Klingt für den Laien noch überschaubar.

Das ist es auch. Noch. Aber wenn Sie 2300 Milliarden Euro Schulden haben, bedeuten 1 Prozent mehr Zinsen, dass Sie 23 Milliarden mehr zurückzahlen müssen. Aber wir haben ja schon eine Erhöhung von 1,9 Prozent. Wenn da nicht bald eine Lösung gefunden wird, kommt es wie in der Finanzkrise. Da lagen die Zinsen bei 7 Prozent. Dann geht das Land in die Knie.

Droht jetzt das gleiche Szenario wie in Griechenland?

Ja, auf jeden Fall. Nur mit dem Unterschied, dass Italien einen wesentlich größeren Druck ausüben kann. Denn etwa 20 Prozent der italienischen Schulden gehören schon mal der Europäischen Zentralbank. Die meisten Anleihen, die die EZB gekauft hat, sind italienische. Wenn die abgeschrieben werden müssen, weil die Zinsen steigen, muss sie auch die Zentralbank abschreiben. Und deren finanzielle Mittel in Höhe von 38 Milliarden Euro sind schnell weg. Ein weiterer Teil der Schulden wird von ausländischen Banken gehalten – vor allem von deutschen und französischen. Wenn die italienische Anleihen abschreiben müssen, haben wir wieder eine Bankenkrise wie 2008.

Also müssten wieder die deutschen Steuerzahler ran?

Nehmen wir doch mal an, eine Bank hält Anleihen im Wert von 200 Milliarden Euro, von denen sie 20 Prozent abschreiben muss. Dann sind das 40 Milliarden Euro. Das dürfte das Eigenkapital der meisten Banken in Deutschland überschreiten. Angenommen, die Bank macht im Jahr nur 1 Milliarde Gewinn, dann würde sie praktisch 40 Jahre lang keine Gewinne machen. Diese Bank müsste demnach sicherlich vom deutschen Steuerzahler gerettet werden.

Das Erpressungspotenzial der Italiener ist also hoch?

Ja, und das wissen sie natürlich. Andererseits werden die Italiener natürlich auch Leidtragende sein, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Zuerst gerät ja mal der italienische Staatshaushalt durch den höheren Zinsendienst aus dem Gleichgewicht, wenn die Zinsen steigen. Die Italiener können also nur den anderen schaden, wenn sie sich selbst schaden.

Nun ist Italien ja kein armes Land. Könnte sich der Staat nicht bei seinen Bürgern Geld besorgen?

Ja, zumal Italiener weitaus reicher als die Deutschen sind. Ein deutscher Haushalt hat im Schnitt rund 60.000 Euro Nettovermögen, ein italienischer rund 150.000 Euro. Warum ist das so? Italien ist seit 150 Jahren noch nie bankrottgegangen. In Deutschland war das bekanntlich anders. Wir waren 1918, 1929 und 1945 pleite. Italien hat also 2,3 Billionen Euro Schulden, aber auch ein Privatvermögen, das sich in einer Größenordnung von 7,5 bis 8 Billionen Euro bewegt. Wenn Italien eine Vermögensteuer von 25 Prozent einführen würde, wäre das Schuldenproblem sofort gelöst. Aber jede Regierung, die das machen würde, würde natürlich davongejagt.

Welchen anderen Weg gibt es also aus der Krise?

Eigentlich bleibt nur die Ochsentour. Nehmen wir die Iren. Die waren am Boden und haben, ohne zu murren, die Steuern erhöht und sich auf den Hosenboden gesetzt. Und drei Jahre später war das Problem gelöst. Jetzt zählt Irland wieder zu den reichsten Ländern Europas. Ähnliches gilt für Spanien und Portugal. Sogar die Griechen haben wieder Haushaltsüberschüsse, obwohl die eine extrem harte Zeit hatten. Italien bräuchte wohl so eine Art Agenda 2010.

Also vor allem sparen.

Ja, denn die Italiener haben laut Internationalem Währungsfonds mit 49 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sehr hohe Staatsausgaben. Der Durchschnitt der sieben größten Industrieländer (G 7) liegt 10 Prozentpunkte niedriger. Auch Euro-Land insgesamt liegt 3 Prozentpunkte tiefer. Würden sie die einsparen, hätten sie kein Problem mehr mit ihrem Budget. Zumal Italien auch weit höhere Einnahmen als der G 7-Durchschnitt erzielt. Die Italiener müssten also einfach weniger ausgeben. Doch offenbar sind sie nicht dazu bereit, den Gürtel enger zu schnallen.

Gehen wir mal vom schlimmsten Fall aus. Kann es auf das Ende des Euro hinauslaufen?

Unbedingt. Bisher hat Brüssel ja noch nie ein Strafverfahren gegen Italien eingeleitet. Bei Regelverstößen drohen immerhin zwischen 0,2 bis 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Bußgeld. Da reden wir dann über 10 Milliarden Euro. Jetzt haben wir aber eine Regierung, die sich offen gegen die EU-Prinzipien stellt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Brüssel da nachgeben kann. Die EU kann ja niemandem Geld geben, der offen sagt: Ich bin gegen euch. Deshalb wird es wohl weder zu neuen Anleihekäufen der EZB noch zu Transferleistungen kommen. 2,3 Billionen Euro Schulden könnte die EU auch gar nicht garantieren. Entweder die italienische Regierung gibt nach, oder es wird schrecklich.

Was ist Ihre Prognose?

Ich fürchte, dass Rom nicht nachgibt. Ich war lange optimistisch. Aber ich glaube nicht, dass wir den Euro in drei Jahren noch so haben werden wie jetzt.

Das Gespräch führte Dirk Eberz

Italiens Haushaltsstreit mit der EU wird zum gefährlichen Machtpoker

Italien steuert im Haushaltsstreit mit der Europäischen Union auf ein Defizitverfahren zu. Trotz großer Proteste aus Brüssel und Nervosität an den Finanzmärkten weigert sich Rom weiter beharrlich, von geplanten Mehrausgaben abzuweichen. Der neue Haushaltsentwurf sieht eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts vor.

Weit mehr als ursprünglich vorgesehen. Der Budgetentwurf der Regierung aus der rechten Lega und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung ist deshalb in einem historisch einmaligen Schritt abgelehnt worden. Eine Frist der EU, den Entwurf zu überarbeiten, hat Rom einfach verstreichen lassen. Worum geht es in dem Streit eigentlich genau? Italien argumentiert, die Mehrausgaben seien notwendig, um wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Herzstücke des Entwurfs sind kostspielige Pläne wie die Einführung einer Grundsicherung nach dem Vorbild von Hartz IV, ein niedrigeres Renteneintrittsalter und Steuererleichterungen. Von alldem verspricht sich Italien nicht nur Wachstumsaussichten, sondern auch mehr soziale Gerechtigkeit, wie Finanzminister Giovanni Tria in seinem Brief an die EU-Kommission klarmachte. Brüssel hingegen verweist darauf, dass die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone mit mehr als 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nach Griechenland bereits die höchste Verschuldungsquote der Union hat. Das Land steht mit 2,3 Billionen Euro in der Kreide. Die Euro-Stabilitätsregeln verpflichten Italien deshalb, seine Gesamtverschuldung in den Griff zu bekommen. Nachdem Italien Brüssel zuletzt wiederholt die kalte Schulter gezeigt hat, könnte die EU-Kommission nun ein Defizitverfahren einleiten. Dabei könnte Italien mehr Haushaltsdisziplin verordnet werden. Verstößt Rom schließlich auch gegen diese Vorgaben, dürften die Finanzminister theoretisch finanzielle Sanktionen verhängen. Dabei sind saftige Geldstrafen möglich. Die Strafen könnten also in die Milliarden gehen.

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