Kölner Künstler Gunter Demning: „Wir brauchen die Stolpersteine mehr denn je“
Jeder der etwa zehn mal zehn Zentimeter großen Stolpersteine steht in der Regel für ein Opfer des Nationalsozialismus. Die Steine erinnern an verfolgte oder ermordete Juden, Sinti und Roma, politische Aktivisten, Homosexuelle oder Menschen mit Behinderungen. Verlegt werden die Pflastersteine vor den ehemaligen Wohnhäusern der Menschen, versehen mit einer Messingplatte und einer Inschrift. „Hier wohnte ...“ steht darauf. Oder, wenn sie vor einer Schule liegen, „Hier lernte ...“. Dann folgen die Namen.
Man stolpert mit dem Kopf
Mehr als 200 Tage im Jahr ist Demnig europaweit für das Projekt unterwegs, trifft Schüler, Stadtvertreter, Angehörige der Opfer. „Es ist unglaublich, was man zurückbekommt“, sagt er. „Auch nach 70.000 Steinen ist das bewegend.“ Tatsächlich zu Fall bringen sollen die ins Pflaster eingelassenen Stolpersteine niemanden. „Man fällt nicht hin, man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen“, zitiert Demnig die Worte eines Schülers. Mittlerweile kümmert sich ein Team um das Projekt. Von Hessen aus, wo der gebürtige Berliner mit seiner Frau lebt, werden die neuen Verlegungstermine koordiniert. Die Steine stellt Demnig nicht mehr selbst her, die Fertigung übernimmt ein Bildhauer.
Dass seit der ersten Verlegung Anfang der 1990er-Jahre inzwischen Zehntausende Exemplare in fast 2000 Kommunen zu finden sind, in Deutschland, Österreich, Belgien und Frankreich, in Italien, Norwegen, Polen oder den Niederlanden, hatte der mehrfach ausgezeichnete Künstler nicht vorausgeahnt. „Ganz am Anfang habe ich gedacht: Vielleicht werden es mal so 1000 Steine.“
Die Stolpersteine gehen auf eine denkwürdige Begegnung mit einer Kölnerin zurück. Der Künstler lebte damals in der Domstadt am Rhein und arbeitete an einer Straßenkunstaktion zur Erinnerung an die Deportation von Sinti und Roma im Jahr 1940. Der Frau, einer Zeitzeugin, sei nicht bewusst gewesen, dass die Opfer in ihrem Viertel gelebt hatten. „Mir wurde klar, dass viele gar nichts über das Schicksal der Menschen aus der Nachbarschaft wussten.“ Das war der Auslöser, um NS-Opfern ihre Namen zurückzugeben, sie sichtbar zu machen. Aus der Idee wurde eine Lebensaufgabe für Demnig. Die allermeisten der mehr als 70.000 Stolpersteine habe er selbst verlegt.
Steine ecken auch an
Mit seinen Steinen eckt Demnig aber auch an. Kritiker halten sie für eine unangemessene Form des Gedenkens, weil damit die Opfer mit Füßen getreten werden. Deshalb lehnt etwa München Stolpersteine ab. Nach langem Streit gibt es dort stattdessen Stelen und Wandtafeln. Künstler Demnig kann die Kritik nicht nachvollziehen. Die Nazis hätten sich nicht damit begnügt, ihre Opfer mit Füßen zu treten. „Sie hatten ein ganz gezieltes Mord- und Vernichtungsprogramm“, argumentiert der 71-Jährige. Wer über die Steine laufe, frische damit sogar den Glanz des Messings auf: „Man kann ruhig darüberlaufen, um die Steine immer glänzender zu machen, um so das Andenken zu erhalten und in Ehren zu halten.“
Auch wenn Gunter Demnig sich offiziell im Ruhestand sieht, will er weiterhin Stolpersteine verlegen. Manchmal ist er auch gezwungen, für Ersatz zu sorgen, wie vor Kurzem in Rom: Unbekannte hatten im Dezember mehrere Exemplare gestohlen. Die Bürgermeisterin der italienischen Hauptstadt sprach von einem „antisemitischen Akt“. Stolpersteine seien nötiger denn je, betont Demnig mit Blick auf den Rechtspopulismus in Deutschland. „Gerade wenn sich irgendwelche Leute von der AfD hinstellen und sagen, wir brauchen uns nicht an die NS-Zeit zu erinnern, das war ein ,Vogelschiss’, dann muss man sagen: Jetzt erst recht.“