Überraschende Kooperation: Lidl will nur noch deutsches Bio verkaufen

Bislang zwei Pole in der Lebensmittelwelt, neuerdings Partner: Der Ökoverband Bioland und der Discounter Lidl machen gemeinsame Sache.
Bislang zwei Pole in der Lebensmittelwelt, neuerdings Partner: Der Ökoverband Bioland und der Discounter Lidl machen gemeinsame Sache. Foto: dpa

Es ist ein Coup, und er wird den Lebensmittelhandel, vor allem aber die Biobranche, gehörig durchrütteln: Im Verlauf des kommenden Jahres sollen alle Produkte mit Biolabel in den Lidl-Filialen von Bioland stammen. Schon im Herbst werden einzelne Artikel wie Topfkräuter, Äpfel, Molkereierzeugnisse auftauchen. Ab 2. Januar soll bereits ein Viertel der Bioware von Bioland kommen und unter der Lidl-Eigenmarke Bio Organic verfügbar sein. Der Discounter baut sein Biosortiment aus und will sich künftig konsequent auf heimische Erzeuger stützen. Die können die Nachfrage allenfalls schrittweise befriedigen – ein Mammutprojekt.

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Der Beschluss zur Zusammenarbeit fiel bereits im November 2017 auf der Bundesdelegiertenversammlung in Fulda. 7300 ökologisch arbeitende Landwirte, Gärtner, Imker und Winzer stimmten mehrheitlich für die Kooperation mit dem Händler im Niedrigpreissegment. Am 28. September wurde nun der Vertrag geschlossen, die Tinte ist kaum trocken – dass davon bislang nichts bekannt ist, könnte daran liegen, dass sich beide Seiten für den großen Sturm rüsten. Immerhin definiert sich Bioland laut Statut als „ökologisch, ökonomisch und sozial verträgliche Alternative zur intensiven, von Industrie und Fremdkapital abhängigen Landwirtschaft“. Der Lidl-Konzern bildet in der Lebensmittelwelt den gegenüberliegenden Pol – es ist ein ziemlich breiter Graben, über den die Bioland-Bauern da springen.

Während der Discounter mit der Kooperation sein Image in Richtung Nachhaltigkeit aufpoliert, riskieren die Biobauern ihren guten Ruf. Das muss gewichtige Gründe haben, und die liegen auf der Hand: Will er konkurrenzfähig wirtschaften, muss der Ökolandbau wachsen. Etwa 5 Prozent der Biokundschaft erreicht Bioland derzeit – die Lidl-Kooperation eröffnet die Chance, 95 Prozent zu erreichen. Denn Marktführer beim Handel mit ökologisch erzeugten Lebensmitteln sind nicht etwa die Naturkostläden, sondern die Supermärkte: Lebensmittel- und Drogeriemärkte erreichen zusammen einen Marktanteil von 59 Prozent.

Bio boomt. Und auch wenn der Ökomarktanteil mit knapp 5 Prozent noch immer eine Nische ist, gibt es viel zu holen. Deutschland ist nach den USA der umsatzstärkste Biomarkt weltweit – in den vergangenen 15 Jahren hat sich der Umsatz fast vervierfacht. Das bringt hiesige Erzeuger in Bedrängnis. Sie kommen mit der Produktion nicht nach, der Handel greift auf Importprodukte zurück. Jede dritte Biokartoffel kommt aus dem Ausland, bei Äpfeln und Möhren ist es mehr als die Hälfte, schätzt die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft. Heißt: Die Wertschöpfung findet im Ausland statt – mit verwirrenden Konsequenzen für die Verbraucher. Denn Bio ist eben nicht gleich Bio, es wird zu höchst verschiedenen Standards produziert. Die Auflagen der deutschen Bioverbände liegen über den Anforderungen, die das EU-Biosiegel an Produzenten stellt. Zudem wird strenger kontrolliert. Hinsichtlich der Ökobilanz ist heimisches Saisonobst und -gemüse zudem unschlagbar. Es ist also durchaus im Sinne des Kunden, wenn Lidl jetzt mit Bioland kooperiert: Er schont die Umwelt und hat ein gutes Gewissen – das ihn an der Kasse nicht mehr kosten soll.

Bislang zwei Pole in der Lebensmittelwelt, neuerdings Partner: Der Ökoverband Bioland und der Discounter Lidl machen gemeinsame Sache.
Bislang zwei Pole in der Lebensmittelwelt, neuerdings Partner: Der Ökoverband Bioland und der Discounter Lidl machen gemeinsame Sache.
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Der Schulterschluss des Einzelhandels mit Bioverbänden ist längst gang und gäbe: Rewe/Penny kooperieren mit dem Naturland-Verband, Globus hat mit Demeter eine Partnerschaft geschlossen. Bei Edeka sind Bioland und Naturland vertreten. Aldi, nach eigenen Angaben Umsatzführer beim Handel mit Bioprodukten, setzt auf Ware mit dem EU-Siegel: „Billigbio“. Nun wischt Lidl dem Konkurrenten mit seinem Vorstoß eins aus – nachdem der Konzern schon mit seiner Herkunftskennzeichnung für Fleisch vorgeprescht war und eigene Standards gesetzt hat. Auch beim Verkauf von Obst und Gemüse als loser Ware hatte Lidl vor Aldi die Nase vorn.

Für die deutschen Bioland-Produzenten könnte sich das Geschäft als zukunftsträchtig erweisen: Bei Milch, zunehmend auch Eiern ist der Markt annähernd gesättigt. Der Discounter eröffnet immense neue Absatzmöglichkeiten. Durch die Hintertür sind sie bei Lidl längst stark vertreten: 80 Prozent der aus Deutschland stammenden Molkereiprodukte liefern deutsche Bioland-Bauern, munkelt man. Nicht unterm Verbandslabel, weil sich das nicht ziemt oder der Lieferant gerade in der Umstellungsphase zum Ökobetrieb ist. Ab 2019 ist Schluss mit der Geheimniskrämerei – dann wird das grüne Bioland-Label in den Lidl-Regalen allgegenwärtig sein.

Nicole Mieding

Wofür steht welches Biolabel? Welchen Weg geht Lidl derzeit beim Tierwohl? Das erfahren Sie unter ku-rz.de/biolabel

Zwischen eigenem Anspruch und Marktdruck

Wo Bio draufsteht, ist unterschiedlich viel Bio drin, werden Ökoverbände nicht müde zu betonen. Logisch, denn die strengen Auflagen, die sie sich bei der Tierhaltung und der Herstellung von Lebensmitteln gegeben haben, machen ihre Arbeit teuer. Deshalb fällt es ihnen schwer, mit deutlich kostengünstiger produzierten Waren aus dem Ausland zu konkurrieren.

Die arbeiten nach Mindeststandards, die das EU-Biosiegel (weißes Blatt auf grünem Grund) garantiert. Um diesem Dilemma zu entkommen, haben sich Bioland-Bauern und Lidl aufeinander zubewegt. Und: Die Vertragspartner haben sich Fair-Play-Regeln auferlegt. Der Discounter setzt auf eine langfristige Partnerschaft, wie er sagt. Ziel ist, dass die Kunden ihren kompletten Bioeinkauf beim Discounter erledigen können. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ob das Mammutprojekt gelingt, wird sich nicht zuletzt an der Akzeptanz der Kunden entscheiden. Denn die sind nach wie vor äußerst preisempfindlich – billiger gewinnt. Ein Preisdumping bei Vermarktung und Verkauf soll es mit der Bioland-Ware aber nicht geben, wurde vertraglich vereinbart. Während die Bioaufschläge bei Milcherzeugnissen recht moderat sind, wird das Preisniveau beim Fleisch deutlich steigen. An diesem Punkt wird sich zeigen, wie ernst es alle Seiten mit dem Biogedanken meinen. nim
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