Vorsicht, Zucker! Welche Strategien wirklich helfen

Von Nicole Mieding
Zucker überall. Was tun, um der süßen Versuchung zu entkommen?
Zucker überall. Was tun, um der süßen Versuchung zu entkommen? Foto: picsfive - Fotolia

Zu süß, zu fett, zu viel: Dass wir uns in der Regel nicht besonders ausgewogen ernähren, wissen wir. Nach den fetten Feiertagen haben viele wieder ein Ziel: gesünder zu essen. Als letzte Hürde gilt es, Karneval zu nehmen, bevor wir uns in der Fastenzeit im kollektiven Entsagen üben. Von Lebensmittelherstellern lässt sich da kaum Zuspruch erwarten. Aber vielleicht hilft es ja, dass Bundesernährungsministerin Julia Klöckner unsere Kreppel in Zukunft gesünder machen will. Am bundeseigenen Max-Rubner-Institut, das der CDU-Ministerin untersteht, arbeiten Forscher an der Frage, wie das Schmalzgebäck mit weniger Fett und Zucker gelingen kann, ohne dass es seinen typischen Geschmack verliert. Die Forscher experimentieren mit verschiedenen Mehlsorten und Überzügen. Sie wollen erreichen, dass der Krapfen während des Frittierens weniger Fett aufnimmt.

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Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz: So lautet der Beschluss, den das Kabinett am 18. Dezember in Berlin verabschiedet hat. Damit setzt sich die Bundesregierung zum Ziel, Rezepturen von Erfrischungsgetränken, Kindernahrung und Fertiggerichten zu optimieren. Hersteller haben zugesagt, den Zuckergehalt in Frühstückscerealien wie Fertigmüsli bis zum Jahr 2025 um mindestens 20 Prozent, den in Kinderjoghurts um mindestens 10 Prozent zu senken. Freiwillig, wohlgemerkt. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) will den Fortschritt in regelmäßigen Abständen überprüfen. Ernährungswissenschaft und Lebensmitteltechnologie sollen ebenfalls neue Lösungsansätze liefern.

Keine verbindlichen Vorgaben

Zu lax, zu lahm, meinen Kritiker. Sie bemängeln, dass es der Vereinbarung an Verbindlichkeit fehlt. Sie glauben nicht, dass sich unser Ernährungsproblem ohne gesetzlich bindende Vorgaben lösen lässt. Klöckner führt dagegen stets dieselben Argumente an: Sie wolle weder Planwirtschaft noch den Bürger entmündigen, indem sie bestimmt, was er essen darf und was nicht. Kritiker sehen darin einen Beleg, dass ihr die Interessen von Industrie und Landwirtschaft näher als die der Verbraucher sind. Wohlmeinendere sagen, sie habe bloß aus dem Veggie-Day-Debakel einer ihrer Amtsvorgänger, der (grünen) Verbraucherschutzministerin Renate Künast, gelernt. Klöckner sucht den Weg aus dem Dilemma, indem sie den Blick von der übermächtigen Lebensmittelindustrie auf mittelständische regionale Handwerksbetriebe lenkt: „Mars schafft das, der kleine Handwerksbäcker nicht“, sagt sie, wenn es um feste Grenzwerte für Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln geht. Kleinen Betrieben fehlten Zeit und Mittel, um mit neuen Rezepturen zu experimentieren, führt sie im Interessenkonflikt zwischen Lebensmittelindustrie, Agrarlobby und Verbraucherschutz die heimatliche Bestandswahrung ins Feld. Und verweist zugleich auf inkonsequentes Verhalten der Käufer, wenn es um die eigene Gesundheit geht: „Den Zuckergehalt zu halbieren, klingt einfach – aber das würden die Leute nicht essen“, prophezeit Klöckner im Gespräch mit unserer Zeitung.

Damit hat sie vermutlich recht. Zwar greifen die Käufer im Laden gern nach Produkten, deren Konsum ein gesünderes Leben verspricht. Ein zweites Mal tun sie das aber nur, wenn es auch schmeckt. Klöckner setzt deshalb auf eine schrittweise Reduktion: Sie will den Herstellern die Chance zur Entwicklung geben und dem Verbraucher die Möglichkeit, sich vom Zucker langsam zu entwöhnen, „damit die Geschmäcker sich daran gewöhnen können“.

Um die Kundschaft nicht mit Ungewohntem zu vergraulen, versucht der Lebensmittelhandel, sie in den Veränderungsprozess einzubinden. „Wie viel Zucker brauchst du noch?“, fragte etwa Rewe. Der Vollsortimenter will bei rund 100 Produkten der Hausmarke zuckerreduzierte Rezepturen einführen – und bat Kunden Anfang vergangenen Jahres, ihr Geschmacksurteil zu Puddings vier verschiedener Zuckerstufen abzugeben. Der Discounter Lidl hatte sich schon Anfang 2017 verpflichtet, den Anteil von Zucker und Salz in Eigenmarkenprodukten um 20 Prozent zu reduzieren. Ende September 2018 haben schließlich die wichtigsten Verbände von Lebensmittelhandel, Lebensmittelwirtschaft und Handwerk in einer Grundsatzvereinbarung zugesagt, Klöckners nationale Reduktionsstrategie zu unterstützen, weil uns das Zuviel an Energie gesundheitlich schlecht bekommt. Geschehen soll das über weniger Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln – oder aber durch kleinere Packungsgrößen. Was Mogelwilligen die Hintertür offen lässt.

Weil zu viel Zucker das Entstehen von krankhaftem Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Demenz begünstigt, setzen sich Kinderärzte, Krankenkassen, Verbraucherschützer und die Deutsche Diabetesgesellschaft seit Langem für eine Zuckersteuer ein. In einer Umfrage im Mai 2018 sprachen sich 52 Prozent der Befragten für die „Limosteuer“ aus.

Löst Zuckersteuer das Problem?

In Frankreich, Großbritannien und Mexiko gibt es die schon. Und sie wirkt: Seit Softdrinks teurer sind, trinken Mexikos Bewohner wieder deutlich mehr Wasser – nach Einführung der Steuer sank der Verkauf von gezuckerten Getränken um 6,2, im zweiten Jahr um 8,7 Prozent. Was erklärt, warum sich die Getränkebranche mit Händen und Füßen dagegen wehrt. Ein nationaler Vergleich des Max-Rubner-Instituts zeigt, dass sanfter Zwang funktioniert: So enthält etwa Schweppes Tonic Water in Großbritannien 5,1 Gramm Zucker pro 100 Milliliter. Auf den deutschen Markt kommt dasselbe Getränk mit fast der doppelten Menge an Zucker (9,1 Gramm). Über eine deutlich gesündere Sprite-Variante können sich die Polen freuen. Dort enthält der Softdrink 5,8 Gramm Zucker pro 100 Gramm – in Deutschland hingegen 9,1 Gramm. Unrühmlicher Spitzenreiter bei sämtlichen Softdrinks sind stets die USA. Nur Coca-Cola schmeckt mit 10,6 Gramm Zucker pro 100 Milliliter überall gleich. Noch. nim

Nährwertangaben verstehen nur Experten

Berlin. 91 Prozent der Deutschen legen beim Essen Wert auf Gesundheit. Das ist das Ergebnis des aktuellen Ernährungsreports – und graue Theorie. In der Praxis wird der Griff nach gesunden Lebensmitteln dadurch erschwert, dass sich die Inhaltsangabe verpackter Lebensmittel von Laien kaum entschlüsseln lässt. Die Nährwertangaben verstecken sich auf der Rückseite im Kleingedruckten und sind oft nur für luchsäugige Chemiker und Oecotrophologen zu verstehen. Zudem sollte man gut kopfrechnen können, denn die Hersteller beziehen die besser lesbaren Angaben gern auf Portionsgrößen. Wie groß eine Portion ist, legen sie willkürlich fest, was den Vergleich zweier Produkte zum Rechenexempel werden lässt.

Gegen allgemein verständliche Angaben wehren sich die Nahrungsmittelkonzerne seit Jahrzehnten. Die von Kunden und Verbraucherschützern gewollte Nährwertampel (rot = schlecht, gelb = okay, grün = prima), die den Kunden gesundheitsrelevante Angaben wie Zucker- und Fettgehalt auf den ersten Blick vor Augen führt, wurde bislang erfolgreich als „zu simpel“ torpediert. Stattdessen hat ein Zusammenschluss von Großkonzernen sein eigenes System eingeführt: ENL („Evolved Nutrition Labelling“) heißt das Kennzeichnungssystem, auf das Coca-Cola, Nestlé, Mondelez, PepsiCo, Unilever und Mars, die „Big Six“, bislang gesetzt hatten. Eine rote Ampel sah das interessengesteuerte Label selbst für so fetthaltige Süßigkeiten wie Nutella nicht vor. Nach Kritik von Verbraucherschützern und dem Ausstieg von Mars lief der Testlauf aus.

Nun prescht Danone vor, einer der größten Lebensmittelhersteller weltweit: Mit Jahresbeginn führte der Konzern seine eigene Ampelkennzeichnung ein. Die basiert auf einem Modell, das es in Frankreich bereits gibt: Das „Nutri Score System“ bewertet nicht einzelne Inhaltsstoffe, sondern das gesamte Nährwertprofil. Es verrechnet günstige und ungünstige Inhaltsstoffe miteinander, das Gesamtergebnis wird in einer fünfstufigen Farbskala und den Buchstaben A bis E abgebildet. Aus dem Querschnittswert ergibt sich also, wie „gesund“ der Inhalt ist. Als zweiter Hersteller will nun Iglo die Systematik in Deutschland einführen. Im ersten Quartal dieses Jahres sollen gekennzeichnete Fischgerichte im Laden liegen, Gemüse wird nach der Ernte folgen. Im Internet können Iglo-Kunden die Nährwertangaben der einzelnen Produkte schon jetzt nachlesen.

Dieser Vorstoß der Industrie lässt die Politik schlecht aussehen: Andere EU-Länder haben längst eigene Lebensmittelampeln eingeführt. Deutschland lässt zurzeit verschiedene Modelle prüfen und will den zum Jahresende angekündigten Bericht der EU-Kommission abwarten, der verschiedene Kennzeichnungssysteme evaluiert.

Bis dahin gilt weiter: Kleingedrucktes studieren und Ernährungswissen anlesen. Denn Zucker muss nicht so heißen, um welcher zu sein. Im Zutatenverzeichnis taucht er in vielen Formen auf, etwa als Glucose, Fructose, Saccharose, Dextrose, Invertzucker, Sirup, Maltodextrin, Malzextrakt, Honig, Ahorn- und Karamellsirup. In die Irre führen zudem gängige Angaben in Verbindung mit dem Wort Zucker. So bedeutet „zuckerfrei“, dass ein Produkt maximal 0,5 Prozent Zucker enthält, bei „zuckerarm“ dürfen es maximal 5 (bei Getränken 2,5) Prozent sein. „Ohne Zuckerzusatz“ heißt nicht, dass ein Lebensmittel keinen Zucker enthält, sondern nur, dass keiner künstlich zugefügt wurde. „Weniger süß“ deutet meist auf zugesetzte Süßungsmittel und Zuckerersatzstoffe hin. Nicole Mieding

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