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Neuwied

Abraham Roentgen: Der Gründer der Neuwieder Möbelmanufaktur 
starb vor 225 Jahren

Das Roentgen-Museum zeigt Arbeiten der Kunstschreiner. Foto: Thillmann
Das Roentgen-Museum zeigt Arbeiten der Kunstschreiner.  Foto: Thillmann

Neuwieder Möbel“ – das ist einst ein europaweit bekanntes Gütesiegel, vergleichbar mit „Meißener Porzellan“. Exemplare sind in den großen Museen dieser Welt zu finden, Einzelstücke werden mit Millionenbeträgen gehandelt. Das Fundament dafür legt ein Mann, der vor 225. Jahren stirbt: Abraham Roentgen.

Lesezeit: 3 Minuten
Aus dem Nichts baut der Kunstschreiner die Neuwieder Manufaktur auf, die sein Sohn David als begnadeter Marktstratege zu internationaler Größe führt – mit Katharina der Großen von Russland als bester Kundin. Schon Gottfried Roentgen ist Schreiner. Mehr ist über Abrahams Vater allerdings nicht mehr bekannt. Der Manufaktur-Gründer selbst wird am ...
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Per Lotterie aus der Krise

Wie bei praktisch jeder Firma war auch die Geschichte der Neuwieder Roentgen-Manufaktur keine reine Erfolgsstory. Einmal stand das Unternehmen sogar kurz vor dem Aus – bis eine Lotterie es rettete.

Das Roentgen-Museum zeigt Arbeiten der Kunstschreiner. Foto: Thillmann
Das Roentgen-Museum zeigt Arbeiten der Kunstschreiner.
Foto: Thillmann

In den frühen 1760er-Jahren hatte Abraham Roentgen sein Wohn- und Geschäftshaus gebaut und sowohl innerhalb der Familie als auch der Brüdergemeine Kredite aufgenommen. Wie damals schon üblich, produzierte er in seiner Schreinerwerkstatt nicht nur auf verbindliche Vorbestellung, sondern fertigte auf Vorrat. Der siebenjährige Krieg (1756-63) führte dann jedoch dazu, dass sich der Adel mit Käufen solcher Luxusgüter merklich zurückhielt. So blieb Roentgen auf seinen Waren sitzen und schlitterte in eine handfeste Krise. „Er wurde von den Herrnhutern ziemlich unter Druck gesetzt und sollte die Werkstatt schließen“, sagt Roentgen-Museums-Direktor Bernd Willscheid.

Dass es soweit nicht kam, ist David Roentgen zu verdanken. Er bewies zum ersten Mal sein Vermarktungsgenie, und sein sonst eher vorsichtig eingestellter Vater ließ ihn gewähren. Davids Idee: Er nahm 100 Möbelstücke aus dem Lager und veranstaltete damit in Hamburg eine Lotterie. Dabei bot er 700 Lose zu jeweils 3 Dukaten an. 3 Dukaten klingen heute nicht viel, waren aber eine stattliche Summe. Als Faustregel kann man laut Willscheid sagen, dass eine Tagelöhnerfamilie mit einem Dukaten einen Monat lang auskommen musste.

Roentgen wurde trotzdem all seine Lose los, hatte damit das Unternehmen saniert und war zugleich noch weithin bekannt geworden. Ein Glückstreffer. Den landete übrigens auch ein Hamburger Kornhändler. Er zog den Hauptgewinn.

„Sie haben Neuwied sehr bekannt gemacht“

Das Neuwieder Kreismuseum trägt seit einigen Jahren den Namen Roentgen-Museum. Geleitet wird es von Bernd Willscheid, einem der größten Kenner der beiden genialen Kunstschreiner. Wir haben uns mit ihm unterhalten.

Bernd Willscheid vor dem Ysenburger Salon von Abraham Roentgen.
Bernd Willscheid vor dem Ysenburger Salon von Abraham Roentgen.
Foto: Von Buttlar

Wie ist das Wirken der Roentgens zu werten?

Beide zählten im 18. Jahrhundert zu den europaweit bedeutendsten Kunstschreinern. David ist dabei noch bekannter. Abraham hat mehr innerhalb Deutschlands verkauft, sein Sohn war stark international tätig. Er kannte sich – auch durch seine Erziehung am Herrnhuter Internat – besser mit dem Adel und dem Auftreten an den Fürstenhöfen aus. Er war zudem als Geschäftsmann genial. Abraham war mehr Handwerker. Aber in dieser Kunst stand er seinem Sohn in nichts nach.

Was zeichnet Abrahams Werk aus?

Viele seiner Stücke sind verhältnismäßig schlicht gehalten, was dem englisch-protestantischen Einfluss geschuldet ist. Er war Zeitgenosse von Thomas Chippendale. Ob sie persönlich bekannt waren, ist nicht sicher. Aber Chippendale hat ein Buch veröffentlicht, das Abraham Roentgen kannte und das ihn inspiriert hat. Später kamen bei ihm aber auch französisch-holländische Einflüsse hinzu.

Was macht die Roentgen-Möbel insgesamt besonders?

Sie waren damals die modernsten Möbel, die man in Deutschland bekommen konnte. Sie waren qualitativ sehr hochwertig, die Hölzer waren gut. Sie waren sehr schön gestaltet und sehr praktisch. Die Beine waren für den Transport abschraubbar. Sie waren zerlegbar. Systeme, fast wie von Ikea. Und ihre Möbel waren technisch raffiniert, gerade die Verwandlungstische.

Und damit waren sie einzigartig?

Es gab auch andere Schreiner, die einen guten Namen hatten. Aber die waren meist an einen Fürstenhof gebunden. Außerdem war Deutschland damals gegenüber England und Frankreich recht rückständig. Die Roentgens waren die ersten, die den Übergang vom Rokoko zum Klassizismus vollzogen haben. Die meisten Möbel von Abraham Roentgen sind noch im Rokoko-Stil, David gilt als Vertreter des Klassizismus. Aber Abraham hat beim Stilwandel wahrscheinlich stark mitgewirkt, auch wenn wir es nicht genau wissen. Aber darauf deutet jedenfalls das Porträt von 1772 (siehe links, Anmerkung d. Red.) hin, auf dem er einen Plan mit klassizistischen Entwürfen und modernen Beschlägen in der Hand hält.

Warum konnte die Manufaktur in Neuwied so gut gedeihen?

Neuwied war Residenzstadt und zog damit eine entsprechende Kundschaft an. Graf Friedrich Alexander hat Abraham Roentgen sehr gefördert. Er hat nicht nur viele Möbel gekauft, sondern ihn auch vom Zunftzwang befreit. Hätte er, wie damals üblich, in die Schreinerzunft eintreten müssen, hätte er nur zwei Gesellen anstellen und nicht ins Ausland verkaufen dürfen. So gab es den Kompromiss, dass er seine Möbel außer an den Fürsten selbst nicht innerhalb Neuwieds verkaufen durfte. Aber da hätten sich wohl ohnehin nur die allerwenigsten seine Möbel leisten können, vielleicht die Remys. Abrahams bedeutendster Kunde war Johann Philipp von Walderdorff. Der Kurfürst und Erzbischof von Trier hat Schlösser bauen und modernisieren lassen. Dafür brauchte er Möbel. Die Räume waren damals eigentlich eher spärlich eingerichtet. Man ist beispielsweise vom Sommer- ins Winterschloss gezogen und hat seine Möbel mitgenommen. Aber Walderdorff wollte seine Schlösser ständig möbliert haben.

Was hat Neuwied den Roentgens zu verdanken?

Sie haben Neuwied damals sehr bekannt gemacht, was der jungen Stadt geholfen hat, sich zu entwickeln. Damals kam der Adel hierher und auch der junge Goethe. Der preußische König hat ihre Werkstatt besichtigt und sogar bei den Roetgens zu Mittag gegessen. Im 19. Jahrhundert ist das dann in Vergessenheit geraten, bis ab den 1920er-Jahre Kunsthistoriker die Roentgens wieder ins Bewusstsein geholt haben.

Kürzlich kam bei einem Gedankenaustausch, wie man den Luisenplatz attraktiver machen könnte, die Idee auf, den Roetgens dort ein Denkmal setzen. Eine guter Vorschlag?

Ich denke, das hätten sie schon verdient.

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