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Kreis Neuwied

Am Kinderwunsch nicht verzweifeln: Wie Austausch mit anderen helfen kann

Wenn Paare sich nichts sehnlicher als ein Kind wünschen und es wieder nicht geklappt hat, dann ist die Enttäuschung groß. Unterstützung gibt es unter anderem in Selbsthilfegruppen, beim Facharzt und in Kinderwunschzentren.
Wenn Paare sich nichts sehnlicher als ein Kind wünschen und es wieder nicht geklappt hat, dann ist die Enttäuschung groß. Unterstützung gibt es unter anderem in Selbsthilfegruppen, beim Facharzt und in Kinderwunschzentren. Foto: dpa

Viele vergebliche Versuche der künstlichen Befruchtung hatte Anja Graef bereits hinter sich, als sie nach einer Punktion mal wieder auf der Couch lag. „Ich wollte Austausch“, sagt sie. Und weil sie keine Selbsthilfegruppe fand, gründete sie 2015 selbst eine.

Lesezeit: 3 Minuten
Heute sind es bereits zwei, eine in Köln und eine in Troisdorf, mit jeweils über 50 Mitgliedern, darunter auch Menschen aus dem Kreis Neuwied. Graefs eigene Geschichte hat am Ende eine unerwartete Wendung genommen. „Manche stehen am Anfang, mache kurz vor dem Abschied vom Kinderwunsch“, berichtet Graef. Jeder muss nur so ...
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Mehr ältere Frauen suchen Hilfe

Neuwied. Etwa 2500 Paare pro Jahr kommen im Schnitt ins Kinderwunschzentrum Mittelrhein in Neuwied und Koblenz, weil es bei ihnen mit dem Nachwuchs einfach nicht klappen will. Rund 300 Gynäkologen überweisen hierher, berichtet Dr. Sebastian Hagelauer. Die Patientenzahlen steigen und auch das Alter der Frauen.

Waren im Jahr 2014 noch 30 Prozent der Frauen im Neuwieder Kinderwunschzentrum zwischen 35 und 39 Jahre alt, waren das ein Jahr später bereits 37,5 Prozent. 10 Prozent waren bereits über 40, berichtet der Mediziner. Bereits mit 30 Jahren beginnt bei der Frau aus biologischen Gründen die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, zu sinken. Das passt aber oft nicht zu der Erwartungshaltung der Patientinnen, die davon ausgehen, mit über 40 noch schwanger werden zu können, beobachtet Hagelauer. Das kann klappen, aber längst nicht immer. Denn erschwerend kommt hinzu, dass wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass die Wahrscheinlichkeit ab 35 Jahren steigt, dass es zu einer frühen Fehlgeburt (Abort) kommt, weil sich zum Beispiel das befruchtete Ei nicht richtig in die Gebärmutter einnistet.

Hagelauer empfiehlt nach einem Jahr vergeblichen Versuchen abklären zu lassen, ob es dafür organische Ursachen gibt. Am Anfang versucht der Mediziner die Paare kennen zu lernen: „Die Gespräche dauern sehr lange.“ Dann wird mit verschiedenen Methoden, zum Beispiel mit einer Untersuchung der Spermien (Spermiogramm), der Hormone der Frau oder der Eileiter festgestellt, ob es eine biologische Ursache gibt, dass die Frau bisher noch nicht schwanger geworden ist. In etwa einem Drittel der Fälle liegt es am Mann (siehe weiterer Artikel auf dieser Seite), in einem weiteren Drittel der Fälle an der Frau, erläutert Hagelauer. Bei ihr kann zum Beispiel die Eizellreifung gestört sein, der Eileiter ist verklebt oder vernarbt oder es liegt eine Endometriose vor, die das Einnisten erschwert. Manchmal kommen Faktoren von beiden zusammen. „In etwa 15 Prozent der Fälle findet man weder beim Mann noch bei der Frau klinische Gründe.“

Es gibt sehr viele verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die ganz individuell auf die Diagnose zugeschnitten werden. „In vielen Fällen machen wir ein Zyklusmonitoring, um die fruchtbaren Tage festzustellen“, sagt Hagelauer. Häufig kommt im Neuwieder Kinderwunschzentrum die Befruchtung außerhalb der Gebärmutter zur Anwendung, entweder per In-vitro-Fertilisation, bei der reife Eizellen mit aufbereiteten Spermien in einer Nährlösung zusammengebracht werden oder per Intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI), bei der ein Spermium in die Eizelle injiziert wird. Danach werden ein bis zwei befruchtete Eizellen der Frau eingepflanzt, erläutert Hagelauer. Eine andere Möglichkeit ist die Insemination, bei der am Tag des Eisprungs aufbereitete Spermien in die Gebärmutter übertragen werden.

Wichtig ist dem Mediziner, dass er die Paare darüber aufklärt, für wie groß er die Erfolgschancen hält, damit keine falschen Erwartungshaltungen entstehen. „Es gibt Frauen, die werden im ersten Zyklus schwanger, und es gibt Frauen, die brauchen mehrere Versuche.“ Gesetzlich Krankenversicherte haben einen Anspruch auf die Erstattung von 50 Prozent der Kosten bei maximal drei Versuchen einer künstlichen Befruchtung. „Circa 70 Prozent der Paare bei uns werden schwanger“, sagt Hagelauer. Er empfiehlt den Patienten gegenüber Freunden und Verwandten mit der Behandlung offen umzugehen, weil sie sich auf das restliche Leben auswirkt. „Die Akzeptanz von Kinderwunschbehandlungen hat zugenommen“, ist sein Eindruck. Wenn er beobachtet, dass bei einem Paar die Belastung durch die Kinderlosigkeit zu hoch wird, verweist er sie weiter an psychosoziale Beratungsstellen. „Aber das ist nicht oft notwendig.“

Wenn 70-Jährige noch Nachwuchs haben wollen

Neuwied. Wenn ein Paar kein Kind bekommen kann und es am Mann liegt, verweist der Urologe oder das Kinderwunschzentrum oft an die Klinik für Urologie und Kinderurologie des Marienhaus-Klinikums St. Elisabeth. „Jeder Fall ist individuell“, sagt Chefarzt Dr. Wolfgang Stollhof. Ob er und seine Kollegen helfen können, hängt von vielen Faktoren ab.

Seine Patienten kommen nicht nur aus dem Kreis Neuwied, sondern bis aus Trier, Bad Neuenahr, Boppard, Oberwesel und Altenkirchen, berichtet Stollhof. Und oft kommen sie mit großen Erwartungen. Der Chefarzt muss manchen enttäuschen, wenn der Mann keine Spermien produziert, dann kann auch er nichts machen.

Nach einem Gespräch untersucht Stollhof den Patienten. Sieht er Chancen, dass Spermien zu finden sind, wird ihm im Kinderwunschzentrum Hodengewebe entnommen und eingefroren. Das ist zeitlich unbegrenzt einsetzbar, erläutert Stollhof. Die Frau bekommt Hormone, damit mehrere Eizellen reif werden. Mit einer Mikropipette wird ein Spermium aus dem Hodengewebe entnommen und in die Eizelle injiziert. Hat diese in zwei Tagen angefangen sich zu teilen, wird sie der Frau eingepflanzt. In Deutschland ist das zeitgleiche Einpflanzen von bis zu drei befruchteten Eizellen erlaubt, erläutert Stollhof. Länger warten, um zu schauen, ob sich die Eizelle normal entwickelt, verbietet das deutsche Embryonenschutzgesetz. Die so genannte Baby-Take-Home-Rate – also der Anteil von Frauen, die danach ein lebendes Baby zur Welt bringen – liegt bei rund 30 Prozent.

Aber diese Methode – Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI-Therapie) – ist nicht ohne Risiko, warnt Stollhof. Denn die „hohe Östrogenbelastung erhöht das Brustkrebsrisiko der Frau“ – gerade bei mehreren Versuchen der künstlichen Befruchtung. Deshalb kritisiert der Chefarzt, dass die Paare heute ungeduldiger in Sachen Kinderwunsch sind. „Früher kamen sie nach drei bis vier Jahren, heute nach acht Monaten“, wenn es mit der Zeugung nicht klappt. Ein bis zwei Jahre probieren müssten es die Paare schon, das sei völlig normal.

„Nicht selten kommen Männer, die sich sterilisieren ließen und wollen mit einer neuen Partnerin jetzt doch noch ein Kind“, berichtet der Chefarzt mit 20-jähriger Berufserfahrung. Das sind deutlich mehr als früher. Ist das Hodengewebe noch intakt, können dort Spermien für eine künstliche Befruchtung entnommen werden. „Ich erlebe auch, dass 70-Jährige kommen und mit einer jungen Frau ein Kind haben wollen“, sagt Stollhof. Hier weist er sie unter anderem auf das höhere Risiko für eine Trisomie beim Baby hin und darauf, wie alt der Vater ist, wenn das Kind in die Pubertät kommt. „Ich kann sie meistens nicht umstimmen.“ Aber der Chefarzt kann aus ethischen Gründen eine Behandlung ablehnen. „Ich mache das nicht in jedem Fall.“

Gründe, warum der Mann kein Kind zeugen kann
Es gibt drei Ursachengruppen, dass der Mann auf natürlichem Weg kein Kind zeugen kann: Erstens, er bildet keine Spermien, zweitens, der Weg ist verschlossen oder drittens, er hat keine Erektion oder kann nicht ejakulieren. Dass der Mann keine Spermien produziert, kann etwa durch eine Mumpsinfektion ausgelöst worden sein oder darin begründet liegen, dass in der Kindheit nicht bemerkt wurde, dass der Hoden entweder nicht richtig in den Hodensack hinuntergewandert ist oder zum Beispiel bei einem Leistenbruch hochgewandert ist. Dann ist es zu warm für die Hoden, die immer 2 bis 3 Grad kälter sein müssen als der Rest des Körpers, erläutert Chefarzt Dr. Wolfgang Stollhof vom Marienhaus-Klinikum St. Elisabeth. Verbleibt der Hoden länger als bis zum ersten Lebensjahr im Leistenkanal oder im Bauchraum in erhöhter Umgebungstemperatur, ist das Drüsengewebe bezüglich der Spermienproduktion in seiner Funktion eingeschränkt. Das muss eigentlich 20 Millionen Spermien auf einen Kubikmillimeter produzieren, weniger führt zu einer verminderten Fruchtbarkeit. Bildet der Mann keine Spermien, kann im Kinderwunschzentrum nur geschaut werden, ob eine Befruchtung mit Fremdsperma in Betracht kommt, erläutert Stollhof. Dass der Weg verschlossen ist, kann unter anderem an einer bestimmten Genkonstellation im Zusammenhang mit Mukoviszidose liegen, dann ist er gar nicht angelegt. Durch Entzündungen kann der Weg zerstört oder vernarbt und damit verstopft sein. „Das ist ein häufiger Grund“, erläutert der Chefarzt. Bei Erektionsstörungen etwa wegen einer Beckenfraktur, einer Lähmung oder Durchblutungsstörungen kommt meist nur eine künstliche Befruchtung infrage, hat sie psychische Ursachen, helfen manchmal auch sexual- und psychotherapeutische Maßnahmen weiter.

Von unserer Redakteurin Yvonne Stock

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