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Kreis Neuwied

Güterzugbrand in Unkel: Bürgerinitiativen sind alarmiert

Von Sabine Nitsch
Mit schweren Kränen hat die Bahn am Freitag die ausgebrannten Waggons von den Gleisen am Unkeler Bahnhof bergen lassen.  Foto: Sabine Nitsch
Mit schweren Kränen hat die Bahn am Freitag die ausgebrannten Waggons von den Gleisen am Unkeler Bahnhof bergen lassen. Foto: Sabine Nitsch

Der Güterzugbrand in Unkel hat ein Problem in den Fokus gerückt, das bisher rund um die Bahnlärmdiskussion kaum Beachtung fand: die Sicherheit bei Gefahrguttransporten. Spraydosen aus drei Güterwaggons sind bei dem Brand in Unkel in die Luft geflogen, die Anwohner mussten evakuiert werden. In Unkel führt die Bahntrasse wie an vielen Orten am Rhein mitten durch die Stadt. Diesmal sind die Unkeler mit dem Schrecken davongekommen.

Lesezeit: 3 Minuten
„Es wäre der blanke Horror gewesen, wenn ein Gefahrguttransport gebrannt hätte. Kaum auszudenken, was dann passiert wäre“, sagt Gerd Kirchhoff, Initiator und Vorsitzender des Bürgerinitiativen Netzwerks (BIN) gegen Bahnlärm, der schon mehrfach als Experte bei Anhörungen im Verkehrsausschuss in Berlin geladen war. Die BIs warnen seit Jahren vor diesem Ernstfall, ...
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BI-Chef Papen: Auf Katastrophe sind wir nicht vorbereitet

Rhein. Als Chef der BI „Wir gegen Bahnlärm in der VG Weißenthurm“ ist Rolf Papen das Sprachrohr für die Rheinanlieger am linken Flussufer bis nach Remagen – und hat durch die jahrelange Beschäftigung mit dem Thema viele Kenntnisse erworben. Auch mit den Risiken von Gefahrguttransporten kennt er sich aus – und stand unserer Zeitung Rede und Antwort.

Wie sehen Sie die Lage. Sind die Sicherheitsmaßnahmen hoch genug?

Voranstellen möchte die Feststellung, dass die Bahn eines der sichersten Transportmittel ist – keinesfalls aber ein wirklich sicheres Transportmittel. Im Berichtsjahr 2017 wurden der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung des Eisenbahn Bundesamtes insgesamt 2545 gefährliche Ereignisse gemeldet (2016 waren es 2327). Hierbei handelte es sich um 1.799 Unfälle (2016: 1610), davon 408 Kollisionen (2016: 348) 220 Entgleisungen (2016: 219) sowie 746 Störungen (2016: 717). Diese Zahlen belegen, dass die Sicherheitsmaßnahmen ganz erheblich verbessert werden müssen. Es ist mir darüber hinaus vor dem Hintergrund möglicher terroristischer Anschläge auch völlig unverständlich, dass Güterwaggons oder Güterzüge auf Verschiebebahnöfen – oder wie hier in Weißenthurm oft stundenlang oder sogar über Nacht auf Überholgleisen – für jedermann zugänglich und unbewacht abgestellt werden.

Sind wir hier am Mittelrhein auf so einen Notfall vorbereitet?

Wenn bereits drei brennende Güterwagen, beladen mit Kosmetik-Spraydosen dazu führen, dass circa 60 Menschen evakuiert werden musste und über 160 Feuerwehrleute fast zehn Stunden benötigen, um das Feuer unter Kontrolle zu bringen, können wir uns vorstellen, was es bedeuten würde, wenn ein oder mehrere Kesselwagen oder ein ganzer Kesselwagenzug, zum Beispiel mit Benzin oder Flüssiggas beladen, mitten in einer Ortschaft oder einer Stadt wie Koblenz entgleisen und explodieren würde. Eine solche Katastrophe würde alle Feuerwehren und Rettungsdienste unserer Region rasch an ihr Leistungsvermögen führen bzw. völlig überfordern. Auf eine solche Katastrophe wie etwa beim Eisenbahnunfall am 29. Juni 2009 in Viareggio/Italien, als ein Güterzug beladen mit flüssigem Butan entgleiste, dessen Ladung zum Teil explodierte und 32 Menschen starben, sind wir meines Erachtens nicht vorbereitet.

Wie viele Gefahrguttransporte werden durch Mittelrheintal transportiert? Und was genau?

Darüber liegen mir keine Erkenntnisse vor, denn die Bahn hüllt sich hier in Schweigen. Man bedenke dabei aber, wie schwer es war, dass zumindest die Verbandsgemeinden für die Bereitschaft ihrer Feuerwehren, Vorabinformationen im Hinblick auf Atomtransporte auf der Schiene erhalten. Aufgrund meiner Beobachtung des Güterzugverkehrs sind viele Kesselwagen-Güterzüge auf der Strecke und bei den Containerzügen, die m.E. bereits die Mehrheit der Güterzüge ausmachen, wird eine große Zahl der Container auch mit Gefahrgut beladen sein.

Sehen Sie ein Versagen der Politik?

Längst habe ich es eingestellt, auf die Deutsche Bahn AG zu schimpfen. Die „arme Bahn“ soll: einerseits marktwirtschaftliches Management zur Gewinnmaximierung betreiben und andererseits die staatliche Daseinsfürsorge zur Mobilitätssicherung gewährleisten – eine glatte Überforderung mit fatalen Folgen. Die alleinige Verantwortung für diese unhaltbare Situation der DB und des Bahnbetriebs in Deutschland (und auch der aktuellen Bahnlärmsituation im Mittelrheintal von Bonn bis Bingen) tragen die Bundesregierungen spätestens seit 1994, als die Umwandlung der DB von einer Basiseinrichtung der staatlichen Daseinsvorsorge zur Mobilitätssicherung, in eine privatwirtschaftlich organisierte Gesellschaft zur Gewinnmaximierung umgewandelt wurde. Dennoch verblieb die Bahn im alleinigen Staatsbesitz und am Gängelband der Bundesregierung, wie die dreimalige Einbestellung von Bahnchef Lutz durch Verkehrsminister Scheuer innerhalb einer Woche Mitte Januar 2019 eindeutig und in beschämender Weise belegt. Alles, was wir derzeit und zukünftig durch den Bahnbetrieb – insbesondere im Mittelrheintal – erleben und erleiden, hat in letzter Konsequenz die Bundesregierung, also die Große Koalition voll und ganz zu verantworten!

Was fordern Sie dringend, um mögliche Gefahren zu entschärfen?

Das Erste und Wichtigste ist eine sofortige Reduzierung der Wahsinns-Geschwindigkeiten der Züge bei Ortsdurchfahrten. Derzeit dürfen Tag und Nacht z.B. Personenzüge durch Weißenthurm oder Sinzig noch mit 160 Stundenkilometern und Güterzüge – auch mit Gefahrgut – noch mit 120 Stundenkilometern rasen. Meine Forderung lautet daher schon längst und nun erneut vor der aktuellen Beinahe-Katastrophe in Unkel:

  • Bei ungesicherten Bahntrassen und Bahnsteigen innerorts maximal 70 km/h für Personenzüge
  • Grundsätzlich für Güterzüge innerorts maximal 70 km/h
  • Grundsätzlich für Güterzüge die auch Gefahrgut transportieren maximal 50 km/h

Die Fragen stellte Sabine Nitsch

Ersatzverkehr funktioniert offenbar – Landrat erneuert Kritik am Bund

Noch mindestens über das Wochenende bleibt die rechtsrheinische Bahnstrecke infolge des Unglücks zwischen Linz und Rhöndorf gesperrt. 4 Busse und 20 Taxis sind als Schienenersatzverkehr im Einsatz. Das „funktioniert sehr gut“, erklärte ein Bahnsprecher am Freitag – eine Einschätzung, die Kerstin Eul auf Facebook bestätigt.

„Heute morgen standen Bus und Ersatzzug an den Bahnhöfen bereit. Wenn es so bleibt, ist es diesmal richtig gut organisiert“, schreibt die Pendlerin, die täglich von Neuwied aus zur Arbeit nach Köln fährt. Unterdessen hat Landrat Achim Hallerbach aufgrund des Unglücks seine Kritik an der Bundesregierung erneuert, die eine Alternativtrasse für die Rheinstrecke derzeit nicht für notwendig hält. „Was soll im eng besiedelten Rheintal noch alles passieren? Man darf nicht warten, bis sich das Verkehrsaufkommen weiter erhöht“, schreibt Hallerbach auf Facebook und dankt zugleich den Einsatzkräften von Feuerwehr, DRK und THW für ihre professionelle Arbeit, mit der sie Schlimmeres verhindert hätten. „Was wäre, wenn ein solcher Zug an der Engstelle in Leutesdorf gestanden hätte?“, fragt sich der Landrat aber besorgt. mif
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