Kleinmaischeid

HELFT UNS LEBEN: Familie kämpft sich durch schwere Zeiten

Von Ulf Steffenfauseweh
Anke Queitsch sitzt bei ihrer Tochter Sophie (9) am Bett. Das Mädchen ist seit einer Hirnblutung infolge einer Chemotherapie gelähmt und blind. Freundin Jana Johannes hofft, dass eine Therapie ihr wenigstens einen Teil der Sehkraft zurückbringt und sie langfristig wieder etwas mobil macht.
Anke Queitsch sitzt bei ihrer Tochter Sophie (9) am Bett. Das Mädchen ist seit einer Hirnblutung infolge einer Chemotherapie gelähmt und blind. Freundin Jana Johannes hofft, dass eine Therapie ihr wenigstens einen Teil der Sehkraft zurückbringt und sie langfristig wieder etwas mobil macht. Foto: Ulf Steffenfauseweh

Endlich durfte Sophie nach Hause. Wenigstens für ein paar Tage raus aus dem Krankenhaus. Die ganze Familie war mal wieder zusammen in Kleinmaischeid. Freude – auch wenn es nicht mehr so ist, wie es war, und nie mehr so werden wird.

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„Letztes Jahr ist sie hier zu Weihnachten noch durchs Haus gesprungen“, erinnert sich Anke Queitsch. Jetzt sitzt sie bei ihrer Tochter am Bett, hält die Hand der Neunjährigen und schaut sie liebevoll an. Das Mädchen scheint mit offenen Augen zu schlafen. Immerhin entspannt: keine Schmerzen. Eine halbe Stunde vorher hatte das noch anders ausgesehen.

Ein Jahr vorher hat Sophie Fieber. Das geht nicht weg, sechs Wochen lang. Die Ärzte untersuchen ihr Blut und bestätigten den schlimmen Verdacht: Leukämie. Das Mädchen bekommt Chemotherapie – und eine Hirnblutung. Um Druck zu nehmen, müssen die Ärzte ihr vorübergehend ein Stück Schädeldecke entfernen. Sophie liegt auf der Intensivstation der Uniklinik Bonn. Vier Wochen Koma. Als sie wieder aufwacht, ist sie gelähmt und blind. Bis heute kann sie Arme und Beine nicht bewegen, der Kopf zeigt leichte Reaktionen. „Die Ärzte hoffen, dass es mit den Armen wieder etwas wird, und mit einer Therapie kann sie eventuell 40 Prozent ihrer Sehkraft zurückerhalten. Aber ob sie jemals wieder läuft, steht in den Sternen“, erzählt Jana Johannes. Die Freundin der Familie hat beim Besuch von „HELFT UNS LEBEN“ die Gesprächsführung übernommen. Anke Queitsch muss sich um ihre Tochter kümmern, ist sichtlich angespannt: Nach elf Monaten Krankenhaus und Reha-Klinik durfte sie mit Sophie erstmals für ein paar Tage nach Hause. Und dann das: Der Bauch ist ganz hart, Sophie geht's nicht gut. Die Mutter macht sich Vorwürfe. Hat sie was falsch gemacht?

„Es ist immer ein Auf und Ab.

Anke Queitsch

Die aus Bonn hergeeilte Krankenschwester versichert das Gegenteil, doch erst als Einläufe die erhoffte Wirkung bringen, entspannt sich die Mutter. „Es ist immer ein Auf und Ab“, seufzt sie. „Ich hatte mich so gefreut, endlich heim zu dürfen.“ Elf Monate lang hat sie bei ihrer Tochter im Krankenhaus gesessen. „Manchmal wäre ich am liebsten aufgestanden und einfach gegangen“, gibt sie zu, weiß aber auch: „Das würde sie nicht aushalten. Ich bin ihr letzter Halt.“

Aber zu Hause gibt es noch vier Menschen, denen sie gern Halt geben würde. Vier Menschen, die sie auch sehr stolz machen. „Sie sind so selbstständig, stark und tapfer“, schwärmt Anke Queitsch von ihren Kindern Melinda (18), Ricardo (17), Pia (13) und Tim (11), die seit Januar praktisch alleine im kleinen Mietshaus in Kleinmaischeid sitzen. Anfangs war der geschiedene Vater noch einmal eingezogen, doch jetzt ist er wieder meist beruflich unterwegs. Mit einer Tagesmutter vom Jugendamt hat es nicht funktioniert. Ab und zu kommen Bekannte und Freunde. Auch die noch berufstätigen Großeltern in Sachsen machen sich in Notsituationen auf den Weg in den Westerwald und helfen. Die meiste Zeit jedoch übernimmt die älteste Tochter die Verantwortung, stemmt die Lasten. Melinda geht bei einem Maler in die Lehre. Sie organisiert das Familienleben und hat nebenbei das Zimmer, das sich Pia und Tim teilen, renoviert.

Freizeit? Jana Johannes hat sie ein paar Mal mit zum Nürburgring genommen. Ein paar unbeschwerte Stunden. Die beiden verbindet die Liebe zum Motorsport. Pia und Tim durften dank des Fördervereins der Uniklinik eine Woche Ferien auf dem Reiterhof machen. „Das war super“, erinnert sich Pia mit einem Lächeln. Keins der Kinder klagt, auch wenn sie die Mutter vermissen und genauso wie sie um die kleine Schwester bangen. Der Zusammenhalt in der Familie ist stark.

Dass alle trotz der widrigen Umstände in der Schule gut mitkommen, ist dennoch fast ein Wunder. „Ricardo war anfangs im Schnitt von einer 1 auf eine 3 abgesackt, ist jetzt aber wieder bei einer 2“, erzählt Jana Johannes.

Über die Schule kam auch der Kontakt zu HELFT UNS LEBEN zustande. Anke Queitsch ist nicht der Typ, der gern um Hilfe fragt. Lehrerin Elke Strauscheid fiel das leichter. „Die Familie wird Geld für Umbauten von der Pflegekasse bekommen. Aber das wird nicht reichen, zumal die Mutter ein Auto braucht, in dem sie einen Rollstuhl unterbringen kann“, schrieb sie an die Leser-Spendeninitative unserer Zeitung.

Und der Bedarf ließ sich beim Besuch leicht überprüfen. Mit dem alten Nissan Micra vor der Haustür wird Anke Queitsch ihre Tochter nicht transportieren können. Und auch im Haus ist einiges zu tun. Die Einnahmen reichen dafür nicht. Anke Queitsch ist gelernte Schneiderin, hatte gerade eine Umschulung zur Hauswirtschafterin abgeschlossen, als die Erkrankung ihr „den Boden unter den Füßen wegriss“. Arbeiten kann sie jetzt natürlich nicht. So lebt die Familie von Hartz IV, Kindergeld und Unterhaltszahlungen des Vaters. Viel kommt da nicht zusammen.

Eigentlich wäre es am besten, in eine behindertengerechte Unterkunft zu wechseln. Doch die zu finden und umzuziehen, dafür fehlen im Moment Kraft und Zeit. Außerdem ist das Verhältnis zum Vermieter gut. „Hier ist nicht alles optimal, aber wir fühlen uns wohl“, erzählt Anke Queitsch, weiß aber auch, dass der alte Teppichboden möglichst bald durch Laminat ersetzt werden muss. Das ist hygienisch viel besser, wenn die geschwächte Tochter nach Hause kommt. Zu Weihnachten, so hofft sie, könnte es wieder soweit sein. Und das wäre für die Familie das schönste Geschenk: wenigstens für ein paar Tage wieder zusammen zu sein.

HELFT UNS LEBEN bittet die Leser, Familie Queitsch zu helfen und ruft zu Spenden auf. Konto: BIC: MALADE51KOB; Iban: DE72.5705.0120.0000.0013 13.

Von unserem Redakteur Ulf Steffenfauseweh