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Zum 200. Geburtstag des Reformers: Auf Raiffeisens Spuren in Neuwied

Raiffeisen ist auf der ganzen Welt bekannt. Und das nicht erst, seit die Unesco seine Idee vom Genossenschaftswesen als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt hat. Für die Stadt, in der er als Bürgermeister gewirkt hat und in der er begraben liegt, sollte das ein touristischer Glücksfall sein. „Raiffeisen hat Potenzial“, ist Vanessa Selent sicher. „Und er ist präsent in der Stadt“, sagt die Leiterin der Neuwieder Touristinfo, gesteht jedoch gleichzeitig ein: „Aber nicht genug.“

Lesezeit: 2 Minuten
Eben das soll sich ändern – mit dem Raiffeisenjahr als Startschuss: Am 30. März jährt sich die Geburt des Reformers zum 200. Mal. „Wir hoffen auf neuen Schwung“, sagt Selent und nennt einige Veranstaltungen, die geplant sind: angefangen bei den zahlreichen Aktionen zur Kultursommereröffnung bis zu Kinderprojekten wie „Vom Korn ...
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Genossenschaftsbanken und ihre Anfänge

„Am verflossenen Sonntage hat zu Heimbach eine zahlreich besuchte Versammlung aus den vier Gemeinden der hiesigen Bürgermeisterei stattgefunden, in welcher nach einem gediegenen und ansprechenden Vortrag des Herrn Bürgermeisters Raiffeisen von Heddesdorf und einigen eindringlichen Worten des Herrn Pastors und Definitors (= Stellvertreter des Dechanten, Anmerk. d. Red.) Horn von Heimbach die Gründung einer ländlichen Darlehens-Casse beschlossen wurde.“

Neuwieds Chef-Touristikerin Vanessa Selent hofft im Raiffeisenjahr auf neuen Schwung in der Vermarktung des Genossenschaftsgründers.
Neuwieds Chef-Touristikerin Vanessa Selent hofft im Raiffeisenjahr auf neuen Schwung in der Vermarktung des Genossenschaftsgründers.
Foto: Ulf Steffenfauseweh

Mit diesen Worten beschreibt die Neuwieder Zeitung vom 13. Juli 1862 die Gründung des Darlehenskassenvereins Engers. Bis heute ist daraus die VR-Bank Neuwied-Linz e. G. geworden, die damit die älteste, noch selbstständig agierende Bank ist, bei deren Gründung Friedrich Wilhelm Raiffeisen selbst mitwirkte – die erste Genossenschaftsbank Deutschlands in Anhausen gehört mittlerweile zur Raiffeisenbank Neustadt. Übrigens: Für die beiden „Reisen“, die er dafür unternahm, zahlte ihm der neue Verein 5 Thaler. Was 2017 eine Bilanzsumme von mehr als 800 Millionen Euro erwirtschaftete, hat auch sonst bescheiden begonnen, wie eine Werbeanzeige des Engerser Bürgermeisters von Liano in der Neuwieder Zeitung vom 3. Oktober 1862 zeigt: „Der Darlehens-Cassen-Verein der Bürgermeisterei Engers bedarf zur Zeit eines Kapitals von 2000 Thalern zur Erfüllung seiner Zwecke. Er bietet bei vollkommener Sicherheit 4 1/2 Prozent Zinsen, und sieht gefälligen Offerten entgegen.“

Nur sechs Jahre später kam es allerdings zur Aufsplittung: Heimbacher und Engerser trennten sich in jeweils eigenständige Vereine auf. Es sollte fast 100 Jahre dauern, bis beide wieder verschmelzen. Ein Kreditinstitut, wie man die VR-Bank heute kennt, war der „Engerser Darlehens Kassen Verein“ in seinen Anfangstagen aber noch nicht. So schaffte er 1870 für 80 Thaler eine dampfgetriebene Dreschmaschine an, die für die Bauern in der Bürgermeisterei Engers eine große Hilfe war. Die Mitarbeiter des Vereins waren noch ehrenamtlich, dem Rechner (heute: Bankdirektor/Vorstand) wurde – ebenfalls 1870 – ein jährliches Honorar von 25 Thalern gewährt.

In der Generalversammlung am 7. Juli 1878 wird dann der anwesende Friedrich Wilhelm Raiffeisen ersucht, erstmals eine geschäftskundige Person als Revisor zu entsenden“. Erst posthum befolgen die Engerser dann 1889 die Empfehlung Raiffeisens, eine „Sparcasse“ zur Annahme von Spargeldern zu gründen. Hintergrund dürfte gewesen sein, dass Engers nach dem Bau des Lokschuppens und der Inbetriebnahme der Westerwaldbahn-Endstation einen beachtlichen Aufschwung erfuhr. 1944 schließlich benennt sich die ganze Genossenschaft in „Raiffeisenkasse“ um, 1957 in „Raiffeisenbank“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt die Zeit der Expansion: Die Schallmauer von 1 Million Mark an Einlagen wird 1958 überschritten, zwei Jahre später in Stromberg (WW) die erste Filiale eröffnet. 1966 folgt dann die genannte Wiederverschmelzung mit der Raiffeisenkasse Heimbach-Weis, die zuvor den 1884 gegründeten Darlehens-Kassen-Verein Gladbach geschluckt hatte.

1994 schließlich schließen sich die Raiffeisenbanken Engers und Neuwied zusammen, und im Jahr 2000 folgt die Verschmelzung mit der Volksbank Linz zur heutigen VR-Bank Neuwied-Linz. Die Bezeichnung Engers ist aus dem Namen verschwunden, das juristische Fundament liegt aber immer noch hier. Und auch der Vorstandssprecher Andreas Harner wie sein Vorgänger Franz-Jürgen Lacher kommen aus der Engerser Raiffeisenbank.

Des Sozialreformers Hundertster in der Presse

Ein runder Geburtstag von Friedrich Wilhelm Raiffeisen: Das war schon vor 100 Jahren ein mediales Ereignis. Der Willrother Heimatforscher Albert Schäfer hat die Pressemeldungen des 30. März 1918 ausgewertet und das Ergebnis seiner Arbeit der RZ zur Verfügung gestellt.

Für den „Rheinischen Raiffeisenboten“, das Mitteilungsorgan des Verbands ländlicher Genossenschaften des Rheinlands, bietet der 30. März 1918 die Gelegenheit, die Lebensdaten des Genossenschaftsgründers und Sozialreformers sowie dessen damals längst ausgereiftes System der ländlichen Darlehenskassen-Vereine ausführlich vorzustellen. Die Auflistung der einzelnen Schritte Raiffeisens beginnt beim „Flammersfelder Hülfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte“ und endet mit einem Zitat des Bonner Nationalökonomen Dr. Held, der über Raiffeisen sagte: „Raiffeisen gehörte zu den Männern, die mit warmer Liebe und unermüdlichem Eifer sich einer Sache hingaben, die einmal als Bedürfnis einer größeren Gemeinschaft erkannt ist.“

Die „Neuwieder Zeitung“ blickt an diesem Tag auf die Lebensstationen Raiffeisens und geht näher auf seine Tätigkeiten in den Bürgermeistereien Weyerbusch, Flammersfeld und Heddesdorf ein. Die „Coblenzer Zeitung“ schreibt am gleichen Tag: „Mitten in diese furchtbare Kriegszeit fällt der hundertste Geburtstag Friedrich Wilhelm Raiffeisens, desjenigen Mannes, von dessen gemeinnützigem Wirken das ländliche Genossenschaftswesen seinen Ausgang genommen hat und dessen Geist in unermüdlicher Arbeit die Formen genommen hat, die bis heute in wesentlichen Zügen für das gesamte ländliche Genossenschaftswesen vorbildlich geblieben sind und ihm den großen Aufschwung ermöglicht haben.“

Auch die „Rhein-Wied-Zeitung“ geht auf den Krieg ein. Nie sei die Bedeutung der genossenschaftlichen Organisation für die Landwirtschaft so groß gewesen, wie in diesen Zeiten. „Insbesondere hat das ländliche Genossenschaftswesen gezeigt, was es in jahrzehntelanger Friedensarbeit für die Landwirtschaft geleistet hat und von welcher Bedeutung es in beinahe vierjähriger Kriegswirtschaft für die deutsche Volkswirtschaft gewesen ist.“

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