++ 17:02 Tesla ruft «Cybertruck» wegen Problems bei Gaspedal zurück

Auf die Plätze, fertig, Festschmaus!

Von NICOLE MIEDING
Kochkunst ist schön, macht aber viel Arbeit: Hinter den Kulissen der Rieslinggala im Kloster Eberbach ist ein Heer von Köchen am Werk, um 650 Gäste über sechs Stunden hinweg mit einem sechsgängigen Menü zu verköstigen. Die Küche dafür mussten sie sich in einem leeren Raum erst einrichten. Die Gäste können das geschäftige Treiben unterm Kreuzrippengewölbe auf der Videoleinwand live verfolgen.
Kochkunst ist schön, macht aber viel Arbeit: Hinter den Kulissen der Rieslinggala im Kloster Eberbach ist ein Heer von Köchen am Werk, um 650 Gäste über sechs Stunden hinweg mit einem sechsgängigen Menü zu verköstigen. Die Küche dafür mussten sie sich in einem leeren Raum erst einrichten. Die Gäste können das geschäftige Treiben unterm Kreuzrippengewölbe auf der Videoleinwand live verfolgen. Foto: Nicole Mieding

Wem es beim Gedanken ans Weihnachtsessen den Schweiß auf die Stirn treibt, der sollte zur Beruhigung weiterlesen. Im Vergleich zu einer Massenspeisung auf Sterneniveau ist der Aufwand nahezu lächerlich.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige
Beim Kartenspiel würde man so was eine Handvoll Trümpfe plus Joker nennen: die beiden kulinarisch kochbegabten Brüder Jörg und Dieter Müller, Egbert Engelhard, Burkhard Schork, Hans Stefan Steinheuer und Johann Lafer, um die Küchenkombo mal in absteigender Reihenfolge ihrer zehn erkochten Michelin-Sterne zu nennen. Zusammen sind sie verantwortlich für das deutsche Küchenwunder: Inspiriert von der französischen Nouvelle Cuisine, bewiesen sie der Republik in den 1970er-Jahren, dass man nicht nur isst, um satt zu werden, und dass Genuss sich lernen lässt. Das Team sticht alles, man darf es zurecht Legende nennen. Wenn sich sechs Großmeister ihrer Zunft für die ebenfalls schon legendäre Rieslinggala, zu der der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) seit 1987 in den Rheingau lädt, zusammen in die Küche gesellen, weil sie 650 Gästen ein Menü in sechs Gängen servieren wollen, Herrschaft, was soll da denn schiefgehen?

Einiges, meint man den Gesichtern der Servicebrigade vor ihrem ersten Auftritt im Laiendormitorium von Kloster Eberbach abzulesen. Denn sie hat darauf zu achten, dass keins der 10.800 Besteckteile, die während der kommenden sechs Stunden zum Verspeisen der sechs Gänge gebraucht werden, irgendwann irgendwo bei irgendwem fehlt. Sie muss nicht bloß das Geschirr fest im Griff haben, sondern auch den eigenen Gesichtsausdruck, damit beim Platzieren des letzten Tellers in diesem Küchenmarathon nicht versehentlich das Lächeln verrutscht. Zudem herrscht trotz Weitläufigkeit dichtes Gedränge. Der Ansturm war groß, da lässt ein guter Gastgeber die Stühle auf Tuchfühlung rücken. Full House – die 28. Auflage des Galadinners im denkmalgeschützten Kloster bricht den Besucherrekord. Gemessenen und gesitteten Schritts durchs Gewühl, herrje, wie bewahrt man da den Überblick?

Gut gestapelt ist halb gewonnen, und immer an die Alternative denken: Vegetarier bekommen statt des Gänseleberparfaits Ziegenkäse auf Rohkostsalat serviert, Allergiker den Baumkuchenmantel in einer eigens gebackenen glutenfreien Variante.
Gut gestapelt ist halb gewonnen, und immer an die Alternative denken: Vegetarier bekommen statt des Gänseleberparfaits Ziegenkäse auf Rohkostsalat serviert, Allergiker den Baumkuchenmantel in einer eigens gebackenen glutenfreien Variante.
Foto: Nicole Mieding

Den sechs Kochberühmtheiten und ihrer 35-köpfigen Herdbrigade sollte angesichts dieser Lage der Schweiß auf der Stirn stehen. In der Küche herrscht gerade aber bloß angespannte Ruhe vor dem ausbleibenden Sturm. Der erste Gang, getrüffeltes Geflügel-Gänseleberparfait im Baumkuchenmantel mit Apfelsalat und Rieslinggelée, wird kalt serviert und ließ sich damit ohne Eile vorbereiten. Als Nächstes steht Dieter Müllers Curry-Zitronengrassuppe mit Jakobsmuschelspieß an. „Die besteht aus nur zwei Komponenten“, erklärt Hans Stefan Steinheuer, der mit Kollege Burkhard Schork am Ausgang der Küche steht und entspannt die Arme verschränkt hält. Währendessen geben 35 ameisenfleißige Helfer am Herd ihr Bestes, damit 650 Suppenterrinen zur selben Zeit und mit heißem Inhalt zu den Gästen an den Tisch kommen. Um ihnen die Wartezeit zu vertreiben, spielt Fußballkommentator a. D. Béla Réthy den Köchen beim Pausenplausch auf der Bühne gekonnt ein paar lockere Bälle zu. Dieter Müller, unter den Legenden der Legendärste, erzählt, dass es zu Hause wenig Fleisch gegeben hat. „Ich bin ein Soßenverrückter“, gesteht der Dreisternekoch, der einem Gros der aktuellen Spitzenköche das Handwerk beigebracht hat. Auch Hans Stefan Steinheuer (Alte Post, Heppingen) und Johann Lafer (Stromburg, Stromberg) gingen durch seine Schule. Lektion des Küchengroßmeisters: „Die Soße macht das Gericht!“

Um die im Kloster überhaupt kochen zu können, hat die Küchenbrigade nicht bloß die Zutaten, sondern auch sämtliches dafür nötige Gerät mitgebracht. „Die Küche ist ein leerer Raum mit Steckdosen“, beschreibt Mathias Ganswohl die Ausgangslage an diesem sakralen Ort, an dem sich nunmehr erneut, das kann man wohl sagen, ein Küchenwunder ereignet hat. „Die Köche arbeiten hier übrigens für die Ehre, die kriegen nur den Wareneinsatz bezahlt – da ist Networking gefragt“, schiebt der VDP-Geschäftsstellenleiter nach. Damit jeder Gast auch etwas zu trinken hat, spenden 30 Winzer ihre Weine. Jeweils zwei Weingüter teilen sich die Gastgeberschaft für einen Tisch und begleiten jeden Gang mit zwei passenden Weinen – so entsteht für jeden Tisch ein anderes Menü, weil jeder Wein die Speisen auf dem Teller auf seine Art stilistisch beeinflusst.

Damit keiner auf dem Trockenen sitzt, gibt
Damit keiner auf dem Trockenen sitzt, gibt's den Wein in Magnumflaschen. Dirk Würtz, Kellermeister im Hattenheimer Weingut Balthasar Ress, hat zur Feier des Tages eine Zwölfliterpulle springen lassen.
Foto: Nicole Mieding

Jörg Müller zeigt mit seinem eingangs schon erwähnten Geflügelleberparfait, wie man mit Handwerk auf Spitzenniveau und individueller Handschrift einen Küchenklassiker prägt: Die Leichtigkeit, die er angesichts des gehörigen Fettgehalts auf den Teller zaubert, versetzt auch 42 Jahre, nachdem er sein Meisterstück kreiert hat, noch in Staunen. Während Burkhard Schorks Perlhuhnbrust auf Polenta und Tomaten-Gemüsesugo die Strahlkraft des deutschen Küchenwunders auf andere Weise zeigt: Mediterrane Küche, einst Zeichen für Weltgewandtheit und Exotik, ist heute Usus in jeder Studentenküche – eine Weitung des kulinarischen Horizonts, die inzwischen kaum noch einen freut. Hans Stefan Steinheuer rettet aus der Besteckbredouille, weil sich sein Spessartreh, auf Niedrigtemperatur butterzart gegart, zur Not auch mit dem Löffel essen lässt. Das Rätsel des Abends gibt Johann Lafer den Gästen auf, die sich angesichts der Maroneneisnocke auf ihrem Dessertteller fragen, wie es sein kann, dass die auch den letzten der 650 Gäste noch in gefrorenem Zustand erreicht.

Was man hier fürs Weihnachtsmenü zu Hause lernt? Erstens: Gut geplant ist halb gewonnen. Zweitens: Über kleine Patzer auf dem Teller helfen wohlmeinendes Gastgebertum und eine heimelige Atmosphäre locker hinweg. Drittens: Ein Festschmaus aus Klassikern kann zweierlei bedeuten: Übung macht den Meister, die Gerichte klappen aus dem Effeff – bestenfalls heulen die Gäste vor Wiedersehensfreude, schlimmstenfalls droht Langeweile, denn kulinarische Avantgarde ist das natürlich nicht.

NICOLE MIEDING

Zu spät zur Lese? Na, bestens.

Auf den Spuren des kirchlichen Reiters: Die Spätlese ist eine Entdeckung von Rheingauer Mönchen, so heißt es.

Adel verpflichtet, auf Schloss Johannisberg weiß man davon ein Lied zu singen: Das traditionsreiche Weingut im Rheingau nennt sich selbstbewusst älteste Rieslingdomäne der Welt. „Seit 1720 kultivieren wir ausschließlich diese edelste aller Weißweinsorten auf unserem Weinberg“, heißt es dort. 900 Jahre Weinbautradition, 300 Jahre Rieslingkompetenz – auf einem Berg, der heißt wie das Schloss, gen Süden gerichtet und im Alleinbesitz, versteht sich. Im Hof steht ein Reiterdenkmal für ein erinnernswertes Ereignis. 1775 nämlich, so heißt es, wurde auf Schloss Johannisberg die Spätlese entdeckt. Schuld war der Kurier des Fürstabts von Fulda, der zu spät mit der Erlaubnis zur Weinlese eintraf. Die Trauben hingen länger als üblich am Stock, was auf deren Reife und den Geschmack ihres Safts entscheidenden Einfluss hatte. Was die Mönche aus den scheinbar verdorbenen Trauben kelterten, versetzte sie in Staunen. So begab sich die Entdeckung der „Edelfäule“, erzählt die Legende.
Botrytis heißt jener Grauschimmelpilz, der als Rebkrankheit die Trauben befällt. Geschieht das in einer frühen Vegetationsphase, beginnen die Trauben, am Stock zu faulen. Sind sie aber bereits reif, durchlöchert der Pilz die Beerenhaut, Wasser verdunstet, und die Trauben trocknen rosinenartig ein. Das Ergebnis ist ein in seinen Aromen höchst verdichteter Wein mit prägnantem Fruchtzuckergehalt. Eine Eigenschaft, wegen der die Spätlese jüngst ein schwieriges Dasein hat. Denn die Weinwelt pflegt ihren Riesling gerade „trocken“, das heißt ohne schmeckbare Süße, zu trinken. Dieser Trend hat die hochwertigen Spätlesen, die überwiegend restsüß ausgebaut wurden, bedauerlicherweise aufs Abstellgleis geschickt. Und das, obwohl die Menschen den Tick Süße am Gaumen nach wie vor gern haben, auch wenn sie's vielleicht nicht laut sagen. Für alle, die sich vor Süße fürchten, gibt es heute auch trockene Spätlesen. Dafür werden die Trauben spät, aber pilzfrei gelesen, was die Weine deutlich schlanker macht.
Keinesfalls also sollte man um Spätlesen einen Bogen machen – zumal sie aufgrund ihrer Geschmacksfülle ideale Essensbegleiter sind. Auf Schloss Johannisberg wurde dazu gerade der Beweis erbracht. Dorthin hatte der Verband Deutscher Prädikatsweingüter, Sektion Rheingau, zur Präsentation des aktuellen Jahrgangs geladen. Die Mitgliedschaft gilt Winzern als moderne Variante des Ritterschlags. Wer in den Bund aufgenommen ist, darf seine Weine mit dem Wappentier, einem Adler, schmücken. Derart Geadeltes überdauert seine Zeit. Man sollte diese Weine nur notfalls jetzt schon trinken, weil ihre Entwicklung dadurch ein allzu frühes Ende nimmt. Zum Charakter von Spätlesen zählt, dass sie sich erst allmählich zu erkennen geben. Wer sie ergründen will, muss sich Zeit nehmen.

  • Schloss Johannisberg Riesling Grünlack Spätlese 2016: Früher wurden die Flaschen mit farbigem Siegellack verschlossen, die Farbe Grün steht bis heute für Spätlese: schlank, elegant und schon jetzt äußerst zugänglich (36 Euro).
  • Achim von Oetinger, Erbacher
    Hohenrain Riesling Spätlese 2015:
    Süße, die nicht lähmt, weil mit
    jedem Schluck die Mineralität den
    Gaumen strafft (13,90 Euro).
  • Wein- und Sektgut Barth, Oestricher Lenchen Riesling Spätlese 2016: Gelbe Früchte, Blumen, Wiesenkräuter. So schmeckt's, wenn man Sommer und Lebensfreude in eine Flasche packt (17 Euro).
  • Weingut Balthasar Ress, Hattenheimer Nussbrunnen Riesling Spätlese 2007: Strahlend golden, Honig und Nüsse in der Nase, keinerlei Alterszeichen. Um das zu beweisen, hat das Gut ein paar Hundert Flaschen zurückbehalten (35 Euro).
  • Schloss Schönborn, Hattenheimer Pfaffenberg Riesling Auslese *** 2004: Wein aus getrockneten Trauben, ein paar der lang gehüteten Flaschen rückt der Graf jetzt raus. Ewig jugendlich mit frischem Säurekick (0,375 l/29,75 Euro).
Meistgelesene Artikel