Laubach

Genossen setzen auch im Hunsrück auf Erneuerung: Ein Café für die alte Tante SPD

Von Volker Boch
Was läuft gut in der Partei – und was wünschen sich die Mitglieder von ihrer politischen Heimat? Die SPD setzt auf eine Erneuerung, die von unten und von innen kommt. Illustration: Jens Weber
Was läuft gut in der Partei – und was wünschen sich die Mitglieder von ihrer politischen Heimat? Die SPD setzt auf eine Erneuerung, die von unten und von innen kommt. Illustration: Jens Weber Foto: Illustration: Jens Weber

Die Sozialdemokraten setzen auf Erneuerung. Von den Impulsen der Basis ausgehend, will sich die Partei für die Zukunft neu ausrichten. Bei sogenannten World Cafés tragen die Mitglieder vor Ort Ideen und Wünsche zusammen. Wir durften Zaungast sein.

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Für einen strahlenden Samstagmorgen im Frühling ist das Wort „Erneuerung“ ein passender Begriff. Draußen surren Rasenmäher, die Menschen spritzen mit dem Wasserschlauch Pollen und Blütenstaub von ihren gelb eingepuderten Wagen und wuseln durch Gärten. Hunsrücker Frühlingsidylle.

Drinnen, im Gemeindehaus des knapp 500 Einwohner zählenden Hunsrückdorfes Laubach, stehen eine Reihe von Genossen zusammen. Voller Spannung vor dem, was in den nächsten Stunden passieren wird. Sie sind gekommen, um sich und ihre Partei zu erneuern, die SPD.

Was für Leute mögen wohl zur Erneuerungsveranstaltung einer Partei kommen? Nur die Alten, die ohnehin immer motzen, dass früher alles besser war? Ein paar Junge, die Politik als ein Tool sehen, als Werkzeug, mit dem sie auf Internetportalen wie Facebook, Twitter oder Instagram ihr Profil schärfen? Oder am Ende gar keiner außer dem Kreisvorstand, der mit hängender Miene darüber sinniert, dass die Zeit großer Volksparteien vorbei ist?

An einen Tisch setzen – und dann im Dialog die aktuelle Lage analysieren, das ist der Ansatz beim World Café.
An einen Tisch setzen – und dann im Dialog die aktuelle Lage analysieren, das ist der Ansatz beim World Café.
Foto: Volker Boch

Als der Reporter den Raum betritt, ist er überrascht. Mehr als drei Dutzend Genossen sind gekommen an diesem schönen Morgen, an dem sich vieles andere richten lassen könnte abseits der Partei. Es sind freundlich, teils ein wenig skeptisch, ganz überwiegend aber neugierig dreinschauende Leute, die zur Begrüßung zusammenstehen und den Ablauf des Tages besprechen. Junge, mittelalte und ältere Parteifreunde. Etablierte aus den Vorständen der Ortsvereine genauso wie interessierte, „normale“ Mitglieder. Die Atmosphäre wirkt offen, das war bereits so, als der Reporter angefragt hatte, ob er bei diesem internen Treffen Zaungast sein dürfte.

Wenn eine Partei sich erneuert, muss sie sich häuten und ihr Inneres offenlegen. Es ist selten, dass dieser Wandel nach außen gezeigt wird, Erneuerung ist meist ein Stichwort, das hinter verschlossenen Türen fällt.

Für den Bundestag kandidiert

„Schön, dass ihr heute mit uns dafür sorgen wollt, dass wir inhaltlich und thematisch weiterkommen“, sagt Moderatorin Ivonne Horbert mit fröhlicher Offenheit. Vor einigen Jahren hat die Mittvierzigerin mit dafür gesorgt, dass drei Dörfer im Zuge der Kommunalreform gegen den Wunsch der Landesregierung aus dem Kreis Cochem-Zell in den Rhein-Hunsrück-Kreis wechseln konnten. Horbert war Sprecherin der Bürgerinitiative zur Kommunalreform, sie weiß, wie Bewegung von unten geht. Nach einer Stippvisite bei den Grünen ist sie zur SPD gewechselt und hat im Vorjahr kurzfristig für den Bundestag kandidiert, als der dafür vorgesehene Kandidat plötzlich schwer erkrankte.

Horbert lenkt mit der stellvertretenden Kreisvorsitzenden Sandra Porz und Kreischef Michael Maurer sowie der Juso-Kreisvorsitzenden Ruth Greb durch das regionale „World Café“. Dieser etwas sperrige Begriff ist ein Kommunikationsmittel, das bereits im Vorfeld der Bundestagswahl wärmstens empfohlen wurde. Zur Idee heißt es in einem Leitfaden der SPD-Parteischule zum Bundestagswahlkampf 2017: „Eine einfache und zugleich wirkungsvolle Methode, um eine mittlere oder große Gruppe von Menschen in intensive Gespräche miteinander zu bringen. Zu einem gemeinsamen Thema werden das kollektive Wissen und die kollektive Intelligenz der Gruppe plötzlich sichtbar, wodurch kreative Lösungen und Durchbrüche für komplexe Themen möglich werden.“ Bei ihren Gesprächen sitzen die Menschen wie in einem Café zusammen am Tisch und diskutieren.

Zauberwort „World Café“

„Komplex“ – das klingt nach einer passenden Beschreibung der Lage, in der sich nicht nur die SPD befindet. Wie im Frühjahr hinter Mensch und Natur eine dunkle Jahreszeit liegt und der Blick nach vorn gerichtet ist, muss die Sozialdemokratische Partei Deutschlands das dunkle Vermächtnis der Bundestagswahl loswerden.
„World Café“ ist dabei ein Zauberwort, von dem niemand so recht zu wissen scheint, was dahinter steht. Der Begriff klingt viel- und gleichzeitig auch nichtssagend. Aber die SPD-Mitglieder, die an diesem Vormittag zusammengekommen sind, haben ein anderes Ziel, als über Sinn und Zweck von Marketingbegriffen zu sprechen. Sie sollen und wollen diskutieren, „was auf der Seele brennt“, wie Horbert es ausdrückt. Sie streiten sich in der Region nicht nur zur Mittelrheinbrücke mit der CDU, sie mühen sich auch bei anderen Themen, ihre Ziele zu erreichen. Das Profil muss rasch geschärft werden, denn im nächsten Mai steht die Kommunalwahl an. Der Wähler wirkt schwerer einzuschätzen als je zuvor, viel größer könnte die politische Verunsicherung kaum sein.

Ja, die SPD ist in Landes- wie auch Bundespolitik in der Regierungsverantwortung. Eigentlich ist das keine Situation zum Klagen. Mit der GroKo hat am Abend des tiefschwarzen 24. September 2017 aber niemand wirklich gerechnet. Der sogenannte Schulz-Zug war zu krachend gegen die Wand gefahren. Angela Merkel. Wieder. Der vierte Wahlsieg in Folge für die Kanzlerin. Die SPD, zwischenzeitlich für einige Wochen in Machtübernahmeeuphorie schwelgend, am Boden zerstört. „Nach der Bundestagswahl mussten wir alle erleben, dass die SPD einen großen Kampf mit sich selbst ausgefochten hat“, erklärt die stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands, Sandra Porz.

Partei muss sich erneuern

Diese Wahl war ein Signal. Ein fatales. Aber ein wichtiges. Das verdeutlicht dieser Hunsrücker Frühlingsmorgen. Aus den Gesichtern der SPD-Mitglieder, aus ihren Blicken, aber auch aus dem, was sie sagen und denken, spricht es heraus: Die Partei muss sich erneuern. Das gilt wahrscheinlich 1:1 auch für die CDU, aber den Christdemokraten hat der Wähler das Warnsignal beim letzten großen Urnengang etwas schonender vermittelt. Die SPD erhielt nur 20,5 Prozent. AfD und Linke zusammen haben im 19. Deutschen Bundestag zehn Sitze mehr als die SPD, die in dem deutlich vergrößerten Plenum statt zuvor 193 Sitze nur 153 Abgeordnetenpositionen besetzen darf. Ein Niederschlag.

„Wir müssen die SPD neu definieren“, hat Andrea Nahles nach der verlorenen Wahl im Herbst gesagt. Jetzt ist sie Parteichefin, eine Frau, die Tacheles reden kann und will. Nach außen. Und nach innen. Als Juso-Chefin blies sie einst den Machthabern in den eigenen Reihen den Marsch, nun führt sie den Laden, der schon vor mehr als drei Jahrzehnten als schwer beweglicher Tanker galt. Die SPD, auch bekannt als „die alte Tante“ des Politikgefüges, muss sich neu stylen. Um attraktiv zu bleiben für einen Wähler, der derzeit kaum zu fassen ist. Die Kommunalwahlen 2019 warten als heikler Lackmustest auf die deutsche Demokratie.

Auf dem Weg zur Erneuerung soll die Basis der rund 460.000 Mitglieder zählenden Partei den Kurs vorgeben. Mit ihren Ideen, Hoffnungen und Zielen. Mit dem, was sie hier in Laubach und anderswo bei Dutzenden World Cafés zusammentragen. Drei Themenbereiche sind für diesen Frühlingstag definiert: Die „vernetzte Partei“, die „kommunalen Themen“ und die „Kommunikationsstruktur“. In den Gesprächen an drei großen Tischen sollen dazu Probleme, Herausforderungen und Lösungen im konstruktiven Austausch diskutiert werden. Die Gruppen wechseln dafür im Rhythmus von 20 Minuten von Tisch zu Tisch.

Die meisten Mitglieder haben keine E-Mail-Adresse

„Die Kommunikationsstruktur ist ein Thema, das in der SPD immer hitziger diskutiert wird“, heißt es aus der Runde. 70 Prozent aller Mitglieder im Landesverband haben keine E-Mail-Adresse. Wie lassen sich diese Menschen noch erreichen in einer Gegenwart, in der sich kaum mehr jemand abends am Dorfbrunnen auf ein Bier trifft? Wie kommt die Partei mit den diversen Altersgruppen in Kontakt, wie aktuell sind überhaupt die Internetseiten? Wer kümmert sich um den Nachwuchs und dessen Motivation?

Die Themen, die an den Tischen diskutiert werden, gehen alle an. In der Politik, im Ehrenamt, in den Vereinen. Die Bundestagswahl war nur der letzte Stein des Anstoßes. Denn das Gefühl, dass sich etwas ändern muss, dürfte es vor Ort schon länger gegeben haben. Dafür kleben einfach zu viele Zettel an der zur Pinnwand erkorenen mobilen Trennwand des großen Saals im Laubacher Gemeindehaus. Zwei Rubriken gibt es, sie sollen den Status quo der regionalen SPD beschreiben: „Das läuft gut“ lautet der eine Arbeitstitel, „Das wünsch ich mir“ der andere. Letzterer beschreibt höflich formuliert all das, was aus Sicht der Mitglieder nicht rund läuft.
Wer auf Bundesebene manchmal das „soziale Gewissen“ der SPD sucht, der findet es hier. An diesen Tischen schlägt das Herz der Sozialdemokratie mit voller Kraft: Kitas, Jugendarbeit, Stärkung sozial Benachteiligter, Integration von Geflüchteten, Digitalisierung, gerechte Bezahlung, Bürgerbusse oder auch Massentierhaltung sind Grundsatzthemen, zu denen die Mitglieder eine Meinung haben. Dazu kommen große regionale Themen wie Mittelrheinbrücke, Flughafen Hahn, bezahlbarer Wohnraum im Kreis. Diskutiert werden Themen, die der Bürger von der SPD erwartet.

Manche der Anwesenden wirken noch etwas scheu in den Gesprächen. Als der Reporter nachfragt, stellt sich heraus, dass sie erst vor wenigen Wochen in die Partei eingetreten sind. „Soll ich da wirklich mitmachen?“, haben die jungen Leute vor dem World Café zaghaft gefragt. „Gerade die jungen Mitglieder sollen mitreden“, erklären Porz, Maurer und Horbert klar. „Die SPD ist eine Mitmachpartei.“
Die alte Tante SPD ist in die Jahre gekommen. Gerade die Jungen sollen die Partei mit neuem Leben füllen und zeigen, dass die Sozialdemokratie noch eine Zukunft hat. Die SPD braucht Frische wie die Natur den Frühling.

Partei setzt auf Dialog

#SPDerneuern Dieser Hashtag kursiert in den sozialen Netzwerken. Unter diesem Schlagwort wird gebündelt, was den neuen Kurs betrifft. „Wir wollen uns als Partei erneuern – programmatisch und organisatorisch“, erklärt die SPD.
Basisarbeit In allen 27 Unterbezirken des Landesverbands sind in den nächsten Monaten Workshops zur „Vernetzten Partei“ geplant. Der erste davon war im April in Bad Dürkheim. Einmal monatlich gibt es eine Online-Videokonferenz, zu der sich Mitglieder einwählen können. Weiter geplant sind Neumitgliedertreffen und Basiskonferenzen.