Golan: Blick in die Todeszone

UN-Soldaten Foto: Dirk Eberz

Um die Golanhöhen zwischen Israel, Syrien, Jordanien und Libanon sind zwei heiße Kriege geführt worden. Und ein kalter, der bis heute anhält. Überwacht von den Vereinten Nationen. Doch die UN-Soldaten müssen hilfslos zuschauen, wenn im Tal gekämpft wird.

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Auf grünen Weiden grasen Kühe. Mähdrescher pflügen durch wogende Weizen- und Gerstenfelder. Gepflegte Bauernhöfe. Eine Szenerie wie im Hunsrück oder Westerwald – Windräder inklusive. Im Süden erscheint der Golan friedlich, geradezu idyllisch. In dem milden Klima gedeihen sogar Oliven- und Mangobäume. Doch der Schein trügt. Der umkämpfte Höhenzug zwischen Israel und Syrien trägt noch immer das Stigma von Krieg und Tod. Direkt hinter der Abbruchkante, auf der sich die Rotoren drehen, fällt die Landschaft schroff ab – und mit ihr die politische Kultur. Unten gilt die Scharia. In Syrien. Oder was von dem zerrütteten Land noch geblieben ist.

Minarette recken sich am Horizont in den blauen Himmel. Davor steigt eine tiefschwarze Rauchsäule auf. In der Region wird noch gekämpft. „Unsere netten Nachbarn“, sagt Oberst Miri Eisin sarkastisch. „Salafisten, die sich mit dem Islamischen Staat verbündet haben. Ein Ort des Chaos.“ Und das ist noch eine Untertreibung. Direkt hinter der Grenze sterben täglich Menschen, werden ausländische Journalisten geköpft, Kulturschätze gesprengt, Frauen versklavt. Ein Land, in dem die Grenzen zwischen Freund und Feind zunehmend verwischen.

Wenn sich die zerstrittenen Parteien in diesem blutigen Gemetzel überhaupt auf einen gemeinsamen Nenner einigen könnten, dann wäre es wohl der Hass auf den jüdischen Staat. 1967 haben die Israelis den Golan praktisch im Handstreich erobert. „Am fünften und sechsten Tag“, erklärt Miri Eisin. Klingt ungewollt nach Bibel. Schöpfungsgeschichte. Nur mit umgekehrten Vorzeichen. 1973 im Jom-Kippur-Krieg sind die Syrer schließlich zum Gegenangriff übergegangen, haben den Höhenzug mit Bomben verwüstet, Hunderte jüdische Siedler getötet. Aug' um Aug', Zahn um Zahn. Altes Testament. Im Nahen Osten allerdings aktuell wie nie.

Der Golan ist ein zerschundener Landstrich. „Hier ist die syrische Offensive gestoppt worden“, sagt Miri Eisin und zeigt auf tiefe Gräben, die die Wiesen zerfurchen. Panzersperren krallen sich in den Boden. Noch immer ist es gefährlich, sich frei zu bewegen. Gelbe Schilder warnen vor Minen. Eingehegt hinter Stacheldraht. Neben Wachtürmen, Bunkern und den Sendemasten der Horchposten, mit denen die Israelis ihre Nachbarn überwachen, wächst auf den fruchtbaren vulkanischen Böden der berühmte Golanwein. Daneben traben Pferde über ihre Koppel. Eine höchst skurrile Kulisse. Wie ein Mahnmal rostet ein altes Armeefahrzeug vor sich hin. Auch Hyänen, Wölfe und Schakale durchstreifen die Gegend. Staatenlose. So wie die rund 20 000 Drusen, die ihren Verwandten in Syrien über den hässlichen Grenzzaun hinweg mit Megafonen Neuigkeiten zubrüllen.

Nach Norden hin steigt die Landschaft spürbar an. Auf einem Flugplatz steht eine Drohne abflugbereit. „Damit sammeln wir Informationen“, sagt Oberst Eisin. Nicht immer bleibt es bei nachrichtendienstlichen Aufgaben. Jüngst hat eine Rakete den stellvertretenden Chef der Terrormiliz Hisbollah und einen seiner Generäle in Stücke gerissen. „Israel hat dafür nie die Verantwortung übernommen“, betont Eisin. Aber die Motivlage ist recht eindeutig. Ist die Hisbollah doch der Todfeind der Israelis. Einer von vielen. Aug' um Aug'. Eine befremdliche Perspektive. „In Deutschland würdet ihr vielleicht ohne Bundeswehr auskommen“, betont Eisin. „Aber uns gäbe es ohne Armee nicht mehr.“

Es geht weiter nach Norden. Auf dem Berg Bental in gut 1000 Meter Höhe wird es deutlich kühler. Der Wind bläst scharf ins Gesicht. Zwei UN-Soldaten haben sich an einem Aussichtspunkt postiert, die Füße lässig gegen eine Betonmauer gestemmt. Ein Kanadier und eine Niederländerin. Sieht nach einem entspannten Job aus. „Na ja, die Aussicht ist gut“, sagt der Soldat, der gerade mit seiner Kollegin seine Sechsstundenschicht schiebt. Die Vereinten Nationen sollen in der Pufferzone die Grenze zwischen Israel und Syrien überwachen. An diesem Tag ist es ruhig im Norden. Das war noch vor wenigen Wochen ganz anders. „Da gab es überall Kämpfe“, sagt der Kanadier und zeigt auf die Dörfer in der weiten Ebene. Schießereien, Explosionen, Tote. „Das war wie in einem schlechten Film.“ Und die UN-Mitarbeiter schauten einmal mehr hilflos zu. „Da brauchte man kein Fernglas, das konnte man mit bloßem Auge sehen.“

Aus Syrien, unten im Tal, haben die Vereinten Nationen ihre Truppen längst abgezogen. Zu gefährlich. Auf der israelischen Seite sind sie geblieben. „Wir sind froh, dass sie noch da sind“, sagt Oberst Eisin diplomatisch. Denn die UN genießt nicht gerade den besten Ruf in Israel. Dass sie drüben im Hochgebirge am Hermon einmal Soldaten aus den Fidschi-Inseln stationiert haben, soll nicht unbedingt zur Vertrauensbildung beigetragen haben. Oberst Eisin rollt mit den Augen. „Warum macht man so was?“ Mittlerweile sind sie durch Nepalesen ersetzt worden. „Die kennen sich wenigstens mit Bergen aus.“

Von hier oben wird die strategische und psychologische Bedeutung des Golan verständlich. Im Westen liegt der See Genezareth zum Greifen nah, im Osten flimmert an klaren Tagen die Silhouette von Damaskus über den Horizont. Gerade mal 60 Kilometer sind es bis zur syrischen Hauptstadt. Mit Fernrohren können Besucher den Bürgerkrieg verfolgen, machen Selfies vor verrosteten Bunkerkuppeln. Die Kamera in der einen, das Schokoeis in der anderen Hand. Am Souvenirladen gibt's Kunstwerke aus Kriegsschrott zu bestaunen. Eine potenzielle Kampfzone als Touristenattraktion.

Miri Eisin hat sich an einem Splitterschutzgraben postiert. Die frühere Medienberaterin von Ex-Premier Ehud Olmert ist lässig, beherrscht aber zweifellos auch den Kasernenhofton. „Das Dorf da unten haben IS-nahe Truppen eingenommen“, erklärt sie und weist auf eine Ansammlung von Ruinen. „Und da oben in den Bergen sitzen die Drusen, die mit den Christen auf der Seite von Assad kämpfen.“ Übrigens mit den syrischen Tscherkessen, wie wir jetzt erfahren. Die hatte niemand auf der Rechnung. Ihnen gegenüber stehen Kurden, Al-Nusra und IS. Zudem mischen Russen und Hisbollah mit. „Das ist für uns ein ziemlich schlechtes Zeichen“, sagt Eisin, deren Kurzreferat bei vielen Gästen aus Europa, die den Nahostkonflikt zuvor meist nur aus Ferndiagnosen kannten, mehr Rätsel aufgibt, als es Fragen beantwortet. Wer sind eigentlich die Bösen? Oder besser: Gibt es in dem Konflikt überhaupt Gute?

Israel gibt sich jedenfalls neutral. Und schottet sich gleichzeitig ab, indem das Land einen Zaun gegen Flüchtlinge baut. „Wir können ja schlecht an der Grenze fragen: Seid Ihr etwa Islamisten?“, sagt Miri Eisin. Und dann erzählt sie doch noch eine Geschichte, die in all dem Elend ein klein wenig Hoffnung macht. Die von den syrischen Schwerverletzten, die an der Grenze aufgelesen und in israelischen Militärlazaretten behandelt werden. Mehrere Hundert sind es demnach mittlerweile schon gewesen. Einem Patienten soll der komplette Kiefer weggeschossen worden sein, erklärt Eisin. Der Mann erhielt in Haifa eine Gesichtsprothese. „Später stellte sich heraus, dass es sich um den Stellvertreter der Al-Nusra-Rebellen gehandelt hat“, sagt die Offizierin. Mittlerweile soll er wieder im Bürgerkrieg kämpfen. „Aber er hat gesagt, dass er zur Nachsorge wieder bei uns vorbeischauen will.“

DIRK EBERZ

Die Golanhöhen

Geopolitik Die Golanhöhen erstrecken sich auf 60 Kilometer Länge und rund 25 Kilometer Breite. Die höchste Erhebung ist der Hermon mit 2814 Metern – der einzige Ort des Landes, an dem man Ski fahren kann. Im Sechstagekrieg eroberte Israel den strategisch wichtigen Höhenzug von Syrien. Seit 1981 ist der Golan annektiert, gilt international aber als Teil Syriens. Von Bedeutung ist die Region auch, weil hier die Quellflüsse des Jordan entspringen. Der Großteil der arabischen Bevölkerung ist vertrieben worden. Mittlerweile gibt es 20 000 jüdische Siedler auf dem Plateau, das landwirtschaftlich intensiv genutzt wird. Daneben leben auch rund 20 000 Drusen auf dem Golan, die zumeist nur ein permanentes Aufenthaltsrecht besitzen, aber auch israelische Staatsbürger werden können. Drusen sind keine Muslime und dürfen nur untereinander heiraten.