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Graffitisprayer Daniel Schmitz: Die Stadt als Leinwand

Von Marta Fröhlich
„Dater“: Die fünf Buchstaben stehen für das Alter Ego des Koblenzer Graffitikünstlers Daniel Schmitz. Das imposante Dinopanorama hat er gemeinsam mit den Künstlern Jayn aus Lüneburg und Nilko aus Paris unter der Koblenzer Europabrücke gestaltet.
„Dater“: Die fünf Buchstaben stehen für das Alter Ego des Koblenzer Graffitikünstlers Daniel Schmitz. Das imposante Dinopanorama hat er gemeinsam mit den Künstlern Jayn aus Lüneburg und Nilko aus Paris unter der Koblenzer Europabrücke gestaltet. Foto: Marta Fröhlich

Meist agieren Graffitisprayer im Dunkel der Nacht, besprühen Bahnwaggons und Wände – illegal. Doch Daniel Schmitz hält nichts von Gesetzesbruch. Der Koblenzer hat sein Hobby zum Beruf gemacht und verschönert Wände jetzt ganz legal.

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Er trägt Sneaker, Parka in Camouflage, den blonden Scheitel akkurat gekämmt. Ein Dutzend Mal schüttelt er die Dose mit lautem Klackern hin und her, mischt den Lack kräftig durch, bevor das Zischen losgeht. In großen, geschwungenen Lettern sprüht er in Gelb, Blau, Orange seinen Namen an die Wand unter der Koblenzer Europabrücke: DATER. Wer die Szene kennt, kennt auch Dater 127. Er ist mittlerweile eine feste Größe unter den Graffitikünstlern. Auf der Fotoplattform Instagram folgen knapp 50.000 Menschen Daters Arbeit. Und auch Koblenz und die Region sind mittlerweile in der Sprayerwelt kein blinder Fleck mehr. An Hunderten Wänden hat sich der Künstler verewigt, kollaboriert mit Größen der Szene, ist Mitglied in anerkannten Crews. Er ist Teil einer Welt, deren Soundtrack der Hip-Hop ist, die Sprache geprägt vom Slang New Yorks. Die Mitglieder werden durch Farbe in der Öffentlichkeit sichtbar.

Das andere Leben von Dater 127 ist Daniel Schmitz, 38, Ehemann, Vater zweier Töchter. Gemütliche Altbauwohnung in der Innenstadt, zum lockeren Gespräch gibt es Latte Macchiato. Mit dem Bild des typischen Graffitisprayers hat der private Schmitz erst mal nichts gemein. Und doch gehören diese zwei Seiten zu ihm. Er verkörpert den Wandel einer Szene, deren Wurzeln in New York liegen.

Daniel Schmitz ist seit mehr als 20 Jahren Graffitikünstler.
Daniel Schmitz ist seit mehr als 20 Jahren Graffitikünstler.
Foto: Marta Fröhlich

Schon zu Beginn der 1970er-Jahre verschafften sich vor allem schwarze Jugendliche aus benachteiligten Milieus dort Gehör, indem sie ihre Namen in stilisierter Schrift, die sogenannten Tags, illegal an Wände oder U-Bahn-Waggons sprühten. „Sie zeigten in einer kunstfreien Zone Spuren ihrer Existenz“, erklärt Dr. Barbara Weyandt, Kunstwissenschaftlerin an der Universität Koblenz-Landau. Sie sieht diese Graffitis klar als kreativen Protest gegen die herrschenden Verhältnisse und das sogenannten Establishment. „Die Graffitis stehen für den Wunsch nach Aufmerksamkeit, Respekt und Teilhabe an der gesellschaftlichen Wirklichkeit.“ Zum geschriebenen kam das gesprochene Wort in Form von Rapmusik, der Break Dance ließ den Körper dazu sprechen. Während der Bürgermeister der Stadt Graffitis noch als Vandalismus verbannen wollte, griffen Künstler wie Keith Haring oder Jean-Michel Basquiat sie als Inspiration für ihr Schaffen auf, der Kunstmarkt entdeckte das monetäre Potenzial.

Nach Deutschland sickerte der Hip-Hop allerdings nur langsam durch. Daniel Schmitz kam erst 1994 mit Graffitis in Berührung, als er bei einem Freund ein Szenemagazin entdeckte – und fasziniert war. Der damals 15-Jährige zeichnete wie wild Graffitis aus Magazinen nach, entwickelte langsam eine eigene Handschrift. Daniel fing auch an zu breaken, hörte Rap – wurde Teil der Hip-Hop-Szene, fand Anschluss und Respekt. Regelmäßig ließ er die Dosen klackern – illegal.

Daniel zog mit Kumpels um die Häuser, sprühte im Schutz der Dunkelheit Farbe an Züge und Mauern. „Ich war beeindruckt davon, wie viel man mit einer einfachen Sprühdose anfangen kann. Und was es heißt, von anderen zu lernen, sie zu bewundern, wie viel Kunst in Graffitis steckt“, erinnert sich der Koblenzer. Bis der Einschnitt kam: Bei einer abendlichen Sprühaktion wurde er erwischt, ein Mitsprayer hatte ihn verpfiffen. Zum Glück ohne rechtliche Folgen. „Wir mussten das Ding entfernen und haben Ärger mit unseren Eltern bekommen. Dann war ich geheilt“, erinnert sich Daniel.

Seitdem sprüht Schmitz nur noch an legale Mauern und Wände, von denen es immer mehr gibt. Koblenz hat bereits 1996 in Kooperation mit der mobilen Jugendarbeit eine sogenannte Hall of Fame unter der Europabrücke eingerichtet. Auch Daniel Schmitz' „Tag“ leuchtet dort regelmäßig auf. Seit dem 12. Juli 1997 – der Tag, an dem er das erste Mal seinen Namen sprühte – arbeitet Daniel unter dem Namen Dater 127. Ein Meilenstein in seiner Karriere. „Ich habe als Kind den Film ,Goonies' gesehen. Da gab es eine Figur, die hieß Data. Die ersten beiden Buchstaben stimmen mit meinem Namen überein, und der Name sieht auch gezeichnet echt cool aus. Das spielt bei Graffitis schon eine Rolle“, erklärt Schmitz.

Das ist nun mehr als 20 Jahre her. Mittlerweile hat er sein Hobby zum Beruf gemacht. Seinen Lehrberuf als Dekorateur hängte er schon früh an den Nagel, arbeitete in einem Chemiewerk, um sich zu finanzieren.

Heute hat Dater 127 einen festen Platz in der Szene, ist in der Welt unterwegs, um Wände mit seinen Graffitis zu schmücken. Er ist Mitglied bei den Love Letters und den Stickup Kids, renommierten internationalen Crews, die zum Beispiel Großprojekte wie Konzeptwände realisieren. Der intensive Austausch ist elementarer Teil der Szene. Das Besondere an Schmitz' Arbeit ist, dass er nicht nur Mauern und Wände als Medium nutzt, sondern auch Leinwände bemalt oder mit genrefremden Künstlern zusammenarbeitet. Dabei sprengt er die klassischen Genregrenzen und ergänzt die Graffitis – kunstvoll geschwungene Schriftzüge – um Comicfiguren oder Filmzitate. Kunstwissenschaftlerin Weyandt erkennt in diesem freien Umgang mit den Ausdrucksformen eine Art Neo-Graffiti-Qualität. „Die Künstler bedienen sich der Stile, Dinge und Motive, die bereits vorhanden sind, um neue Zusammenhänge herzustellen. Das ist sehr typisch für die Postmoderne. Außerdem verlässt Schmitz, indem er mit seinen Graffitis Geld verdient, das ursprüngliche Protestumfeld und wechselt als Dienstleister sozusagen in ein kapitalistisch motiviertes System“, erklärt sie. „Das ist ein spannendes Spiel mit einer bereits bestehenden Subkultur.“

Schmitz kann demnächst komplett von seiner Kunst leben. Deshalb möchte er seiner Heimatstadt auch etwas zurückgeben, wie er sagt. Für die mobile Jugendarbeit organisiert er Graffitiaktionen und Workshops, arbeitet mit den Jugendlichen der Stadt. Firmen wie Privatpersonen können ihn für künstlerische Wandgestaltung buchen. „Natürlich gibt es in der Szene Diskussionen, ob legales Sprühen überhaupt noch richtiges Graffiti ist. Aber ich bin froh, aus der Illegalität raus zu sein, und erkläre den Kids auch immer, welche Konsequenzen ihr Handeln hat.“

Und die Kids nehmen es ihm ab. Schließlich ist Daniel für sie ein Vorbild. Deshalb ist er auch für die mobile Jugendarbeit so wertvoll, betont Holger Marquardt, der unter anderem die Koblenzer Jugendtreffs betreut. „Als Teil der Hip-Hop- und Jugendbewegung bieten wir Graffiti sehr gern an. Die Jugendlichen haben einfach Lust, etwas kreativ zu gestalten, können ihre eigenen Vorstellungen umsetzen, müssen aber auch ihre Werke sorgsam planen und sich mit der Kunst auseinandersetzen“, sagt Marquardt. Die nächste Generation Sprayer lässt also schon die Dosen klackern.

Marta Fröhlich

Dose statt Pinsel

Wissenswert

Für Graffitikünstler wie Daniel Schmitz ist die Sprühdose das Arbeitsgerät schlechthin. Die speziellen Graffitimaldosen unterscheiden sich von der Beschaffenheit der Lacke bis hin zum Sprühdruck, der flächige oder feine Arbeiten ermöglicht. In Daniel Schmitz' Arbeitszimmer findet sich eine Sammlung an ausrangierten Sprühdosen. Einige sind von befreundeten Sprayern für die Herstellerfirma gestaltet oder Erinnerungsstücke. Auch seine beiden allerersten Dosen hat Daniel Schmitz noch im Regal stehen.

Kunstform mit Geschichte

Daten, Zahlen, Fakten

Zur Geschichte: Schon um 1850 begannen Forscher, sich mit Graffiti (von italienisch sgraffiare – kratzen, das Gekratzte) zu beschäftigen. Sie untersuchten eingekratzte Mitteilungen, die sie bei archäologischen Ausgrabungen an den Wänden fanden. Daraus entwickelte sich eine intensive Auseinandersetzung mit der Kunstform. Mehr zur Geschichte der europäischen Graffitiforschung findet sich unter www.graffitieuropa.org. Einen spannenden Einstieg in die ursprüngliche Hip-Hop-Szene von New York bietet der Dokumentarfilm „Style Wars“ von 1983.
Kunstform mit Geschichte¶Daniel Schmitz' Arbeiten sind vielfältig. Seine Kunstwerke zieren Garagentore, Tätowierstudios oder Lasertag-Arenen und Hausfassaden. Doch ein Wunsch ist bisher unerfüllt geblieben: Schmitz möchte gern eine große Fläche im Herzen von Koblenz gestalten. „Die Stadt braucht mehr Farbe“, findet er. Mehr Infos und Kontakt zu Daniel Schmitz finden Sie im Internet unter www.dater127.de

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