Hex, hex: Mondholz für Moselwein [mit Video]

Handwerker mit Röntgenblick: Schon an der Baumscheibe kann Christian Müller-Schick viel von dem erkennen, was seine Arbeit erschweren wird. Um möglichst viel Holz für Weinfässer zu erbeuten, muss der Daubenhauer die Schnitte durchs teure Holz behutsam führen.<br /><br />
Handwerker mit Röntgenblick: Schon an der Baumscheibe kann Christian Müller-Schick viel von dem erkennen, was seine Arbeit erschweren wird. Um möglichst viel Holz für Weinfässer zu erbeuten, muss der Daubenhauer die Schnitte durchs teure Holz behutsam führen.

Foto: Mieding

Die uralten Eichen eines Grafen, bei Neumond 
geschlagen, sollen durch 
ihre Herkunft einen Wein aus Winningen prägen. Winzer Reinhard Löwenstein hat den Terroirgedanken aufs Fass übertragen und 
ein Langzeitexperiment 
begonnen, das fast wie ein Märchen klingt.

Lesezeit: 6 Minuten
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Von unserer Chefreporterin Nicole Mieding

Die Motorsäge beißt sich beinah die Zähne aus. Dabei ist der mächtige Stamm bereits angeschlagen. Förster Max Herrem hat ihn keilförmig mit der Axt behauen. Dauert trotzdem ganz schön lang, bis er ihn mit dem Kettensägenblatt durchtrennt. Die Eiche wehrt sich, Herrem muss mehrfach mit der Axt nachschlagen, bevor er erneut die Motorsäge ansetzen kann und die knapp 150 Jahre alte Eiche endlich fällt. Mit großem Tosen knickt sie ein, streift Nachbarbäume, die ins Wanken geraten. Fast wirkt es, als winkten sie dem fallenden Giganten mit ihren Wipfeln nach. Dann bebt der Waldboden, und die Eiche liegt still da, auf einem Bett aus Laub. Das Ende einer 150-jährigen Geschichte. Und der Beginn einer neuen.

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Aus der gesunden, astfreien, hochstämmigen alten Stieleiche – eine Rarität in diesem originären Buchenbestand – sollen Weinfässer werden. Darüber muss sie sich nun auch noch freuen. „In unseren Augen ist es das Beste, was aus diesen Eichen werden kann“, sagt nämlich Karl Graf zu Eltz, „Top-Eltzer-Eichen für Spitzenwein von der Terrassenmosel.“ „Eichenspätlese“, witzelt der Winninger Winzer Reinhard Löwenstein. Es ist ein kalter Januarnachmittag, an dem es drei sogenannten Mondeichen in Ohligs Morgen, einem Waldflurstück unterhalb der Burg Eltz, an den Kragen geht. Löwenstein, immer für eine quere Idee zu haben, hat sich wieder einmal etwas Besonderes überlegt. Nicht nur, dass er die Trauben in seiner Toplage Winninger Uhlen entlang der Gesteinsverläufe liest und ausbaut, um den Charakter des Bodens ins Weinglas zu transportieren. Nun will er den Wein zum Reifen auch noch in ein Fass legen, dessen Holz auf demselben Grund wie die Trauben gewachsen ist. Er hat den Terroirgedanken, für den er maßgeblich steht, konsequent zu Ende gedacht. Moselwein in Moselfässern. „Das Holz soll den Wein mit seiner Herkunft beseelen.“ So klingt's, wenn der Esoteriker Löwenstein sein Vorhaben beschreibt.

Als wär's damit nicht genug, werden die Eichen auch noch bei Neumond geschlagen, in den kalten Raunächten im Januar. Das soll beste Voraussetzung für langlebige Fässer mitbringen, wie der Winzer meint. „Natürlich wollen die Leute Geschichten hören. Aber es ist unsere Aufgabe, die Geschichte so zu stricken, dass sie stimmt“, sagt Löwenstein bei der Präsentation seines jüngsten Langzeitprojekts auf Burg Eltz. Und der Marketingprofi hat eine ziemlich gute Geschichte zu bieten. Vor 400 Jahren zählten zum Besitz der Eltzer Grafen nämlich auch Weinberge in Winningen, womöglich gar im Uhlen. Nun wurden im gräflichen Forst drei stattliche Eichen für Winningens Spitzenwinzer geschlagen. Kurz vor dem Januarneumond bei Einbruch der Dunkelheit. Dieses Mondholz soll mit dem Alter härter werden, besonders widerstandsfähig sein, feuerbeständig und weniger anfällig für Schädlinge. Wissenschaftlich bewiesen ist diese These bislang nicht, wie selbst der Winzer zugibt. Aber Beweise „sind eigentlich nur für Leute, die keine Courage haben, ihrer eigenen Intuition zu trauen“, findet Löwenstein. Den besten Beweis liefern die mehr als 700 Jahre alten Dachstühle der Burg, schaltet Graf zu Eltz sich helfend ein. „Die Dachstühle halten noch.“

„Der Wein soll nicht nach 
slowenischer Eiche, sondern nach Winninger Uhlen schmecken“, erklärt Winzer Reinhard Löwenstein, bevor es der Eiche im Eltzer Forst mit der Kettensäge an den Kragen geht. 150 Jahre lang hat sie dort gelebt.
„Der Wein soll nicht nach 
slowenischer Eiche, sondern nach Winninger Uhlen schmecken“, erklärt Winzer Reinhard Löwenstein, bevor es der Eiche im Eltzer Forst mit der Kettensäge an den Kragen geht. 150 Jahre lang hat sie dort gelebt.
Foto: Mieding

Bevor sich die Tauglichkeit der Fässer überprüfen lässt, wird noch eine ganze Weile ins Land gehen. Küfer Hans Hösch aus Hackenheim bei Bad Kreuznach kann frühestens in drei Jahren Hand an das wertvolle Holz legen. Bis dahin bleibt es Wind und Wetter ausgesetzt. Die Sonne soll es trocknen, Regen die Gerbstoffe auswaschen, die den Wein bitter machen. Dafür muss es aber zuerst gespalten werden. Diese Vorarbeit erledigt Christian Müller-Schick. Er lebt im Wald bei Kaiserslautern und ist Deutschlands einzig verbliebener Daubenholzhauer.

„Früher mussten Fässer bloß dicht sein. Heute stehen sie bei den Winzern im Vorzeigekeller. Da muss alles perfekt sein, das geht schon bei der Holzauswahl los“, weiß der 42-Jährige, der das fast ausgestorbene Handwerk seines Großvaters in Mölschbach weiter betreibt. Der Trend zu günstigeren Metallfässern, Beton- und Kunststofftanks in den 1970er-Jahren hätte dem Familienbetrieb im Wald von Kaiserslautern beinahe den Gar-aus gemacht. Über Wasser hielt er sich nur noch mit Lohnschnittarbeiten, der Produktion von Parkettfriesen, ein paar Fässern für Sherry und Whiskey. Aber dann wurde beim Wein plötzlich wieder Wert auf Qualität gelegt, erste Anfragen nach Fassdauben kamen.

Präzise wie ein Schönheitschirurg diagnostiziert Deutschlands einziger Daubenhauer mögliche Fehler im Holz, bevor er die Säge ansetzt. Der Stamm soll optimal verwertet werden. Gespalten wird entlang des Faserverlaufs, um dichte Fässer zu erhalten.
Präzise wie ein Schönheitschirurg diagnostiziert Deutschlands einziger Daubenhauer mögliche Fehler im Holz, bevor er die Säge ansetzt. Der Stamm soll optimal verwertet werden. Gespalten wird entlang des Faserverlaufs, um dichte Fässer zu erhalten.
Foto: Mieding

Glück für Müller-Schick, der Schreiner gelernt, ein Studium draufgesattelt und das erste Staatsexamen schon in der Tasche hatte. Weil er eigentlich gar keine Lust auf einen Schreibtischjob hatte und im tradierten Handwerk des Vaters eine Zukunft sah. Er nahm seine Chance wahr, heute ist er unter den Holzhandwerkern ein Exot und genau deshalb gefragt. Es kommt durchaus vor, dass Laster ihm eine Fuhre kostbares Holz aus Frankreich bringen, bloß damit er es fachgerecht zerlegt. Nun also steht er vor der Mondeiche aus dem Wald des Eltzer Grafen.

Und weiß noch gar nicht, wie viele Fässer es am Ende für den Moselwinzer geben wird. Müller-Schick blickt ziemlich lang auf den kronenlosen Stamm, um ihn optimal auszuwerten. 1,90 Meter lange, tadellose Bretter braucht Müller-Schick pro Daube fürs sogenannte Doppelstück – ein Lagerfass, das 2400 Liter Inhalt hat. Zuerst trennt er ein nicht ganz so tadelloses Meterstück am Fuß ab. Daraus könnte ein kleineres Barrique werden, das 225 Liter fasst. Ein Drittel Dauben, zwei Drittel Abfall. Kein Wunder, dass Müller-Schick die Kontur einer Fassdaube sorgsam wie ein Schönheitschirurg mit Kreide auf den entrindeten Stamm zeichnet, bevor er schneidet. Er muss ihm ins Innerste schauen, ahnen, wie die Faser im Inneren verläuft, Spalten und Astlöcher möglichst geschickt umkurven. Dafür hat er sich über die Jahre eine Art Röntgenblick antrainiert. Ein Sägewerk nimmt auf die Faserverläufe im Holz keine Rücksicht. Folglich verläuft der Schnitt quer über die Fasern hinweg. „Das macht das Holz undicht und brüchig – so was kann ein Küfer nicht gebrauchen“, erklärt Holzchirurg Müller-Schick. Er muss sich bei seiner Arbeit nach möglichen Fehlern im Holz richten, sie erkennen und den passenden Schnitt ansetzen. „Es gibt immer wieder Überraschungen. Wir versuchen, das Allerbeste aus dem Holz zu holen“, sagt er. Kann also durchaus sein, dass es nach der Diagnose mehr kleine Barriques als große Doppelstückfässer gibt.

Diesmal ist das Holz ziemlich zäh und macht ihm viel Arbeit. Ob das am Mond liegt? „Wesentlicher ist, dass der Holzeinschlag außerhalb der Vegetationsphase passiert, damit möglichst wenig Saft im Holz ist“, antwortet darauf Andreas Boll, Laubholzreferent bei den rheinland-pfälzischen Landesforsten. Die Sache mit der Mondphase ist für ihn eher eine Glaubenssache. Noch völlig ungeklärt ist freilich die Frage, wie sich der Neumond auf den Geschmack des Winninger Weins auswirken wird. Herausfinden lässt sich das frühestens mit dem Weinjahrgang 2020. Fest steht nur: Die Geschichte, die der Winzer zur ersten Kostprobe erzählen kann, ist ziemlich gut.

Gesägt wird zum Schluss, die Ausbeute bleibt gering – zwei Drittel des Stammes sind Abfall. Vor dem Weiterverarbeiten lagern die fertigen Dauben mindestens drei Jahre im Freien. Regen soll die Gerbstoffe auswaschen, Sonne das Holz trocknen.
Gesägt wird zum Schluss, die Ausbeute bleibt gering – zwei Drittel des Stammes sind Abfall. Vor dem Weiterverarbeiten lagern die fertigen Dauben mindestens drei Jahre im Freien. Regen soll die Gerbstoffe auswaschen, Sonne das Holz trocknen.
Foto: Mieding

Brauch oder Mumpitz?

Mondholz wird unter Berücksichtigung der Mondphase geschlagen. Dahinter steckt die Idee, dass der Saftstrom zum Nährmitteltransport mit abnehmendem Mond weniger wird. Dieser Umstand ist messbar – allerdings nicht, wie sich das auf die Holzqualität auswirkt. Eine Nachfrage bei den Landesforsten Rheinland-Pfalz hat ergeben: Bei den großen Holzversteigerungen zwischen Dezember und Februar legen Fassholzkäufer auf Mondholz keinen besonderen Wert.
Anders in den Alpen, wo die bäuerlichen Traditionen noch eine größere Rolle spielen. Angeblich überstehen Häuser und Almhütten ein Erdbeben oder auch Lawinen besser, deren Holz bei Vollmond oder auch abnehmendem Mond geschlagen worden ist. Die ältesten Holzbauten der Welt stehen seit 1600 Jahren in Japan und sind aus Mondholz.