Das Todesurteil

Bauchspeicheldrüsenkrebs: Wie man mit einem Todesurteil lebt – RZ-Telefonaktion

Das ist der erste Gedanke, der Bernd Adams durch den Kopf geschossen ist, als sein Arzt bei dem heute 64-Jährigen Bauchspeicheldrüsenkrebs erkennt. Das ist sieben Jahre her, und der Bad Breisiger lebt heute ein verhältnismäßig normales Leben. Mit Einschränkungen, mit Belastungen. Aber er lebt – gut sogar, sagt er.

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Das Todesurteil. Das hat auch Helga Walther aus Andernach gedacht, als sie die Diagnose hörte. Nach einer Operation war dann zunächst alles gut, jetzt ist aber doch auch die Lunge mit Krebszellen befallen. Die 69-Jährige bekommt alle 14 Tage eine Chemobehandlung. „Ich weiß nicht, wie lang ich lebe, aber ich habe meistens eine sehr gute Lebensqualität“, sagt sie.

Das Todesurteil. Das ist das, was Renate Kaifer immer wieder hört, wenn sie als Leiterin der regionalen Selbsthilfegruppe für Bauchspeicheldrüsenerkrankte mit Betroffenen spricht oder einen der regelmäßigen Infostände am Gemeinschaftsklinikum in Koblenz betreut. „An Bauchspeicheldrüsenkrebs stirbt man in kürzester Zeit“, und „Entzündungen haben vor allem Alkoholiker“, das sind die gängigen Vorurteile, mit denen auch die Erkrankten konfrontiert werden, berichtet die Frau aus Brey (Kreis Mayen-Koblenz).

Um gegen diese Vorurteile anzukämpfen, ist der Welt-Pankreaskrebs-Tag am heutigen 16. November ins Leben gerufen worden. Sein Hauptziel ist es, die Öffentlichkeit über die Krankheit zu informieren. Und deshalb wollen Bernd Adams, Helga Walther und Renate Kaifer auch in der Rhein-Zeitung von ihren Erfahrungen berichten und davon, wie wichtig die Selbsthilfegruppe für sie ist.

Denn bei den fast alle zwei Monate stattfindenden Treffen in Koblenz gibt es nicht nur viele medizinische Infos zu neuen Medikamenten, Kliniken oder Ernährungstipps, sondern auch die Möglichkeit zum Austausch. Der ist vielleicht fast noch wichtiger als die Informationen.

Denn niemand muss hier groß erklären, wie es ist, mit dieser täglichen Angst zu leben, der Krebs könnte wiederkommen. Niemand muss berichten, wie sich die Schmerzen anfühlen, wenn die Bauchspeicheldrüse entzündet ist, wie groß die Angst ist, dass daraus ein Tumor werden könnte, oder wie furchtbar es ist, wenn die Ärzte einen schief anschauen, weil sie den Patienten als Alkoholiker abstempeln. Niemand muss erklären, wie man sich fühlt, wenn der durch Entzündung oder Entfernung der Bauchspeicheldrüse auftretende Diabetes Typ 3c kaum in den Griff zu bekommen ist, sodass jederzeit eine Unterzuckerung möglich ist. Die, die hier bei den Treffen der Gruppe am Tisch sitzen, wissen, was es bedeutet, mit der Krankheit zu leben. Als Betroffene oder Angehörige. Sie sind absolute Experten in eigener Sache – vielleicht mehr als die meisten Ärzte.

Oft wird die Krankheit viel zu spät erkannt, sagt Helga Walther. Die Andernacherin, die 40 Jahre im medizinischen Bereich tätig war, geht im Jahr 2015 selbst sofort zum Arzt, als der Urin dunkel und der Stuhl hell ist. Der Tumor kann entfernt werden, mit ihm der Zwölffingerdarm. Bei den regelmäßigen Nachuntersuchungen ist erst einmal alles okay. „Aber man hatte mich nicht informiert, dass auch die Lunge regelmäßig kontrolliert werden muss“, sagt sie. Und tatsächlich: Im vergangenen Dezember werden Kreise auf ihrer Lunge entdeckt. Der Krebs ist über die Lymphbahnen im Körper gewandert, zeigt sich bei einer Operation.

„Das kann man nicht heilen, man kann nur das Wachstum eindämmen“, sagt die Andernacherin ganz sachlich. Alle 14 Tage bekommt sie eine Chemo, „den Tag kann man vergessen“, außerdem jeden Tag eine Tablette. Wie lang sie damit noch leben kann, weiß sie nicht. „Aber das weiß man nie, Sie können auch gleich von einem Auto überfahren werden“, sagt sie dann. Im Moment lebt sie. Gern und gut. Für nächsten Herbst hat sie mit ihrem Mann eine Schiffsreise geplant. Ob sie dann noch reisen kann, ob sie dann überhaupt noch lebt, weiß sie natürlich nicht. Aber sie hofft darauf.

Bernd Adams hat Riesenglück gehabt. Als der Tumor an der Bauchspeicheldrüse entdeckt wird, weil dem Bad Breisiger seine unmotivierte Gewichtsabnahme doch suspekt wurde, ist der schon sehr groß. Aber er kann entfernt werden – mit ihm zwei Drittel des Magens und der Zwölffingerdarm. Adams glaubt erst kaum, dass er das lange überleben wird. Doch die Untersuchungen – erst jedes Viertel-, später jedes halbe Jahr und dann sogar nur noch einmal jährlich – sind unauffällig. Bis plötzlich ein Schatten an einer Hauptschlagader gesehen wird: „Da ist die Angst wieder da.“ Doch sie stellt sich als unbegründet heraus, da ist nichts.

Nach einem Jahr geht Adams sogar wieder arbeiten. Er hat Nervenprobleme in den Füßen durch die Chemos, muss beim Essen ein paar Sachen beachten, weil die Enzyme fehlen, die die Bauchspeicheldrüse produziert. Die werden zwar mit Tabletten zugegeben, aber alles verträgt Bernd Adams nicht. Aber dann isst er es eben nicht – das ist das kleinste Problem. Seit sieben Jahren lebt er nun schon mit seiner Krankheit. Das ist für ihn noch heute ein unfassbares Glück. Auch davon erzählt er in der Gruppe und ist für andere ein Mut machendes Beispiel, dass sie nicht immer ein Todesurteil ist, die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Doris Schneider

Bauchspeicheldrüsen-OP: Ein Eingriff mit vielen Unbekannten

Koblenz. Der Schauspieler Patrick Swayze oder Apple-Ikone Steve Jobs: Beide sind an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Warum das Pankreaskarzinom so schwer zu behandeln ist, erklärt Dr. Stefan Hack, Facharzt für Innere Medizin in Koblenz:

Ist die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs weiter ein Todesurteil?

Ja, nicht immer, aber leider ist die Prognose immer noch oft tödlich. Doch in der Behandlung sind Fortschritte erzielt worden, aber in sehr kleinen Schritten. Man führt seit ungefähr zehn Jahren nach erfolgreicher OP ergänzend für sechs Monate eine Chemotherapie durch. Das hat die Prognose etwas verbessert. Um Patienten zu heilen oder ihnen ein langes Überleben zu versprechen, muss der Krebs aber vollständig entfernt worden sein. Das ist aber oftmals nicht einfach.

Warum?

Erstens ist das anatomisch bedingt. Die Bauchspeicheldrüse liegt mitten im Körper, eingemauert vom Zwölffingerdarm, dem Magen und der Milz. Die meisten Krebsgeschwulste bilden sich am Bauchspeicheldrüsenkopf. Der wird umwickelt vom Zwölffingerdarm. Das macht die Operation sehr groß und aufwendig. Zweitens hat der Bauchspeicheldrüsenkrebs die unangenehme Eigenschaft, dass er wie Wurzeln in die Umgebung wächst. Er ist nicht kugelig und abgekapselt, sondern hat überall winzige Ausläufer. Hinter der Bauchspeicheldrüse kann der Tumor in das Gefäßbündel oder das Nervengeflecht hineinwachsen. Dort sind dem Chirurgen Grenzen gesetzt, weil er ansonsten den Solarplexus und damit das gesamte Nervensystem zerstören würde. Und selbst wenn der Chirurg bis an den Rand operiert, können dort kleine Ausläufer des Krebses zurückbleiben, die wieder wuchern können.

Hier setzt die Chemotherapie an?

Ja. Wenn die Patienten Glück haben, werden dadurch die kleinen Ausläufer der Krebszellen abgetötet. Das gelingt aber nicht immer.

Wie verbessert sich die Prognose?

Nach erfolgreicher OP konnte durch die ergänzende Chemotherapie die Zahl der nach fünf Jahren überlebenden Patienten von 16 auf 28 Prozent gesteigert werden.

Was antworten Sie Patienten, wenn sie fragen, wie lang sie mit der Diagnose leben können?

Dass die Prognose ungünstig ist, dass diese aber davon abhängt, ob der Krebs vollständig entfernt werden kann. Aber auch bei nicht operablen Tumoren oder Metastasen – das betrifft zwei Drittel aller Patienten – kann durch immer besser werdende Behandlungen die Krankheit bei guter Lebensqualität längere Zeit in Schach gehalten werden. Laut Statistik lebt kaum ein Patient fünf Jahre nach der Diagnose noch. Die Spannbreite ist aber groß: Manche leben deutlich länger, aber auch einige kürzer.

Ließe sich Bauchspeicheldrüsenkrebs früher erkennen?

Es gibt leider anders als beim Darmkrebs keine sinnvolle Vorsorge. Das hat mehrere Gründe: Erstens gehört das Pankreaskarzinom zu den eher seltenen Krebserkrankungen. Zweitens entsteht es nur sehr selten aus gutartigen Vorstufen, die man entfernen könnte. Drittens gibt es nur sehr aufwendige und zugleich zuverlässige Untersuchungsverfahren wie die Computertomografie oder Kernspintomografie. Die eine birgt eine zu hohe Strahlenbelastung, die andere ist sehr teuer. So etwas für Patienten wie bei der Darmkrebsvorsorge flächendeckend zu bezahlen, rechnet sich für die Kassen bei einer so seltenen Krebsart nicht. Außerdem müssten viel zu viele Menschen untersucht werden, um nur einen Krebs zu entdecken. Das würde zu viele unnötig in Sorge bringen.

Vorzubeugen ist also unmöglich?

Fast. Man hat gutartige Veränderungen, Aufweitungen der kleinen Gänge in der Bauchspeicheldrüse, entdeckt, die Intraduktal papillär muzinöse Neoplasie. Wenn sich diese am Hauptgang befinden, weiß man, dass Betroffene ein um bis zu 30 Prozent erhöhtes Risiko haben, einen Krebs zu entwickeln. Ihnen wird empfohlen, die gesamte Bauchspeicheldrüse operieren zu lassen, ohne dass sie schon einen Krebs haben. Das ist aber ein sehr großer und folgenreicher Eingriff.

Das Gespräch führte Christian Kunst

Rufen Sie an bei unserer Telefonaktion

Die Symptome für Bauchspeicheldrüsenkrebs sind sehr unspezifisch: ein gürtelförmiger Oberbauchschmerz und ein ungewollter Gewichtsverlust. Wenn sie spürbar sind, ist es aber oft schon zu spät.

Nur in einem Fall ist das Symptom eindeutig erkennbar: Wenn der Krebs ganz nah am Gallenausführungsgang sitzt und den Bauchspeicheldrüsenkopf zudrückt, bekommen Patienten eine Gelbsucht, die nicht durch Viren ausgelöst ist. Sie haben dunklen Urin, hellen Stuhl, dann gelbe Augen, schließlich gelbe Haut. Bei ihnen ist der Tumor oft noch relativ klein. Wie gehe ich mit der Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs um? Welche Behandlungen sind ratsam? Diese und weitere Fragen beantworten die folgenden Experten am Donnerstag, 16. November, zwischen 14 und 16 Uhr am Lesertelefon:

Renate Kaifer, Regionalgruppenleiterin Koblenz „AdP e.V. Bauchspeicheldrüsenerkrankte“ 0261/892-291

Prof. Dr. Samir Said, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Evangelischen Stift/Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein in Koblenz. 0261/892-292

Dr. Stefan Hack, Facharzt für Innere Medizin in Koblenz 0261/892-293

Dr. Christoph van Roye, Facharzt für Innere Medizin in Koblenz 0261/892-294

Prof. Dr. Robert Schwab, Direktor der Klinik für Allgemein, Viszeral-, Thoraxchirurgie am Koblenzer Bundeswehrzentralkrankenhaus 0261/892-297

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