Es fehlt an Batterien und Wagemut: E-Autos sind fast ausverkauft

E-Autos starten durch: Im vergangenen Jahr wurden 25.056 rein elektrische und 29.436 aufladbare Hybridfahrzeuge zugelassen, doppelt so viele wie im Jahr davor. Doch der rasante Aufwärtstrend könnte schon bald wieder gestoppt werden, denn elektrische Autos sind nur schwer lieferbar, die Autoindustrie steht auf der Bremse. Sie hat den Boom entweder unterschätzt oder sich nicht genug angestrengt.

Lesezeit: 5 Minuten
Anzeige

Beispielhaft dafür war das Verhalten von Mercedes-Benz. Fast zwei Jahre lang wurde der Verkauf des elektrischen Smart ausgesetzt: Ausgerechnet das Parade-Stadtauto, von seinem Schweizer Erfinder Nicolas Hayek schon in den 1990ern als reines E-Auto entworfen, war nicht elektrisch lieferbar. Seit Frühjahr 2017 kann man zwar die neuen Modelle kaufen – muss aber bis zu ein Jahr darauf warten.

Nicht besser geht es den Käufern eines VW E-Golf. Die Produktion des Modelljahres 2018 ist bereits ausverkauft. Wer jetzt einen E-Golf bestellt, muss mindestens bis Jahresende warten, obwohl Volkswagen die Fertigung von 35 auf 70 Autos pro Tag verdoppelt hat. Ähnliche Lieferzeiten gelten auch für den Hyundai Ioniq. Das in Deutschland meistverkaufte E-Auto, den Renault Zoe, kann man sieben bis acht Monate nach der Bestellung abholen, ähnlich sieht es bei Nissan Leaf, Citroen C-Zero und Peugeot Ion aus. Schneller erhältlich – in vier bis fünf Monaten – sind der VW e-Up oder, wenn man mehr Geld investiert, der BMW i3.

Geradezu rasant liefert dagegen Tesla die Modelle S und X bereits nach drei Monaten aus. Man kann auch vorgefertigte Luxuslimousinen sofort mitnehmen, wenn man die nötigen 120.000 Euro besitzt. Das begehrte Mittelklassefahrzeug von Tesla, Model 3, wird dagegen erst frühestens Anfang 2019 an diejenigen Besteller in Deutschland ausgeliefert, die es Anfang April 2016 vorbestellt hatten. Immerhin will Tesla ab Ende März etwa zehnmal so viele „3er“ produzieren, wie VW an E-Golfs. Im Sommer soll sich die Tesla-Produktion noch mal verdoppeln.

Händler verdienen weniger

Woran liegen die langen Lieferzeiten? Hat die Industrie die Nachfrage unterschätzt, oder zögert man mit Absicht und möchte doch lieber Verbrenner verkaufen? Vermutlich ist es ein Gemisch aus beiden Gründen. An E-Autos verdienen sowohl Konzerne als auch Händler viel weniger Geld als an konventionellen Autos. Fiat-Boss Sergio Marchionne sprach vor drei Jahren einmal Klartext und bat, man solle sich bitte keinen elektrisch betriebenen Fiat 500 zulegen: „Ich hoffe, Sie kaufen ihn nicht. Denn jedes Mal, wenn ich einen verkaufe, kostet es mich 14.000 Dollar.“ Seine elektrische „Knutschkugel“ ist ein tadellos ausgestatteter Kleinwagen mit beachtlichen Fahrleistungen. Kaufen kann man ihn aber nur in den US-Bundesstaaten Kalifornien, Oregon und Maryland – denn nur so kann Fiat dort den gesetzlich verlangten CO2-Flottenausstoß einhalten. Auch wenn Volkswagen und Renault keine Verluste bei E-Autos schreiben, so fehlt ihnen wohl der kommerzielle Anreiz, sie in großen Stückzahlen in den Markt zu drücken.

Doch selbst bei bestem Willen ließen sich die Stückzahlen nicht ohne weiteres erhöhen. Den Herstellern fehlt es an Batterien, sie sind knapp geworden im Weltmarkt. Am besten läuft es noch bei Tesla. Die Firma begann bereits vor Jahren in Kooperation mit Panasonic, in Nevada eine Riesenfabrik zu errichten, die „Gigafactory“. Seit einem Jahr werden dort Batterien für Teslas E-Autos sowie Heimspeicher für Fotovoltaik-Anlagen gebaut. Laut Tesla ist das Werk zu knapp 30 Prozent fertiggestellt. Doch die Nachfrage nach dem Tesla Model 3 und auch nach Energiespeichern fürs Eigenheim ist so groß, dass noch viel mehr Batterien hergestellt werden müssten. Daher soll es weitere Gigafactorys geben: Nummer zwei im US-Bundesstaat New York und weitere in Europa und Asien.

Solche Riesenfabriken, in denen Akkus von der Zelle bis zum kompletten Aggregat hergestellt werden, besitzen europäische Autokonzerne nicht; sie müssen in Asien zukaufen. Entweder den gesamten Akku oder zumindest dessen wichtigstes Einzelteil, die Akkuzellen. Das sind meist standardisierte Bauteile, wie zum Beispiel der aus LED-Taschenlampen oder Laptop-Akkus bekannte runde Typ 18650, der aussieht wie eine übergroße, gewöhnliche Mignonzelle (AA-Zelle). Aus Hunderten von ihnen werden schließlich die Autoakkus zusammengebaut. Diese Zellen baut nicht mal Tesla selbst, das ist die Aufgabe des Kooperationspartners Panasonic in der gemeinsam betriebenen Gigafactory.

In Deutschland hatte sich vor einigen Jahren die Daimler AG an der Zellfertigung versucht und zusammen mit dem Chemiekonzern Evonik im sächsischen Kamenz eine Fabrik errichtet. Die damals schwache Nachfrage nach E-Autos und fallende Akkupreise führten aber dazu, dass der Daimler-Vorstand auf die Bremse trat und die Fabrik mit großem Verlust aufgab.

Nachfrage steigt rasant

Vielleicht bereut er das inzwischen, denn jetzt steigt die Nachfrage rasant, und die Ware ist auf dem Markt knapp geworden. Immerhin baut Daimler nun ein neues Batteriewerk in Kamenz, wo aus zugelieferten Zellen asiatischer Hersteller plus selbst entwickelter Kühlungs- und Steuerungstechnik komplette Akkus zusammenbaut werden sollen.

Volkswagen möchte im Motorenwerk Salzgitter die Produktion von Batteriezellen und Modulen erproben – erst einmal in kleinen Stückzahlen und aufgrund dieser Erfahrungen später entscheiden. Auch der deutsche Autozulieferer-Riese Bosch denkt schon länger über einen Einstieg in die Zellfertigung nach. Immerhin beträgt der Wertschöpfungsanteil der Zellen am kompletten Akku etwa zwei Drittel. Das ist bedeutend, denn der Akku eines E-Autos ist dessen teuerstes Teil und macht ein Viertel bis ein Drittel des Neuwagenpreises aus. Grob gerechnet, entspricht der Wertanteil der Batteriezellen am Auto dem eines Motors im konventionellen Fahrzeug: rund 20 Prozent.

Warum verzichten die deutschen Autohersteller – Weltmarktführer – auf diese Wertschöpfung und beklagen andererseits die geringen Margen bei E-Autos? Einerseits, weil sie fürchten, preislich nicht mit den asiatischen Herstellern mithalten zu können, die mittlerweile auch in Europa – in Polen und Ungarn – Zellfertigungen errichten. Aber auch, weil sich bereits eine neue Batterietechnik abzeichnet: die Feststoffbatterie. Sie verwendet festes statt (zäh-)flüssiges Material als Leitflüssigkeit, soll damit mehr Strom speichern und schneller aufladen können. Die Vision: innerhalb von nur einer Minute am Schnelllader mehrere Hundert Kilometer Reichweite zapfen. Zudem sind Feststoffbatterien nicht entflammbar und benötigen keine aufwendige Kühlvorrichtung. Diesen Technologiesprung würden die Autohersteller gern abwarten, bevor sie Dutzende Milliarden Euro in die eigene Batteriefertigung investieren.

Aber bekanntlich sind Vorhersagen schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Dieses geflügelte Wort trifft auch auf die Batterietechnik zu. Es ist noch nicht lange her, da wartete die Welt auf den Durchbruch bei der Brennstoffzellentechnik, also auf wasserstoffbetankte E-Autos. Durchgesetzt haben sie sich allerdings bis heute nicht, denn die Erzeugung des Wasserstoffs ist noch nicht umweltfreundlich, und ein Tankstellennetz dafür gibt es auch noch nicht.

Gern verweist die Industrie auch auf synthetischen Treibstoff, der umweltfreundlich aus erneuerbarer Energie und CO2 aus der Luft hergestellt wird und genauso aus der Zapfsäule fließt wie der heutige „Sprit“. Doch dieser Wunderstoff ist momentan leider nur ein Zehntel so energieeffizient wie die heutigen Akkus, das heißt also: pure Energieverschwendung.

Warten auf neue Erfindungen

Niemand kann voraussagen, ob es doch noch einen Durchbruch bei diesen alternativen Technologien geben wird – oder gar etwas völlig Neues erfunden wird. Vielleicht wird auch die aktuelle Batterietechnik immer weiter verbessert und noch lange den Markt dominieren. Abwarten oder durchstarten? Es ist sogar schon passiert, dass ein Weltkonzern mit allerbestem Ruf an seinen eigenen, bahnbrechenden Erfindungen scheiterte. So erging es Kodak mit der Digitalfotografie, die im eigenen Haus erdacht worden war. Man brachte die neue Technik aber nur zögerlich auf den Markt, um das angestammte Geschäft nicht zu gefährden, und glaubte, viel Zeit zu haben. Doch die Entwicklung kippte und beschleunigte rasant ins Digitale. 20 Jahre später war der Film- und Fotopapiermarkt praktisch verschwunden und der einstige Weltmarktführer insolvent.

Von unserem Redakteur Jochen Magnus