Rheinland-Pfalz

Umweltschutz: Kommunen als Klima-Retter

Von Gisela Kirschstein

Am Freitag endet die zweiwöchige Weltklimakonferenz in Bonn. Meldungen darüber, wie dramatisch sich künftig das Weltklima verändert, füllen seit Tagen die Medien. Aber was lässt sich dagegen unternehmen? Wie lässt sich das Klima ganz praktisch schützen? Die Antwort ist überraschend, zumindest wenn man Michael Münch, stellvertretender Geschäftsführer der Transferstelle Bingen, glaubt: Das größte Potenzial haben nicht ganze Staaten, sondern die Gemeinden. „Wir haben in den Kommunen unheimlich viele Ressourcen und Potenziale, Klimaschutz umzusetzen – und sehr, sehr viele machen sich schon auf den Weg“, sagt Münch. Während auf der Weltklimakonferenz vor allem geredet werde, „wird in Kommunen praktisch gedacht“.

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Die Transferstelle Bingen (TSB) ist ein Institut der Binger Fachhochschule. Hier werden Kommunen und Institutionen in Sachen Energieversorgung und Klimaschutz beraten, Konzepte und Masterpläne erstellt. Von den 125 Projekten pro Jahr wird ein Drittel von Kommunen in Auftrag gegeben. „Das Thema Klimaschutz ist längst in den Kommunen angekommen“, sagt Münch. „Bei den Konzepten sind sie schon sehr weit.“ Wie vielfältig die Möglichkeiten sind, wurde nun auf einer Tagung in Bingen klar: Umstellung der Straßenbeleuchtung auf energiesparende LED, Dämmen der Gebäude, aber auch Fotovoltaik oder Mobilitätsangebote mit Carsharing etwa für ein Neubaugebiet waren Thema.

Ein Beispiel aus der Praxis: „Das einfachste war die Umstellung der Beleuchtung auf LED“, sagt Bürgermeister Karl Keilen (CDU) aus Bornheim in der Südpfalz. Dabei habe er zuerst Angst gehabt, „dass es den Leuten zu dunkel ist“. Als die Straßenbeleuchtung aber da war, „bin ich durch den ganzen Ort gegangen – und alle, die ich traf, denen war es zu hell“. Dass die Bewahrung der Vergangenheit oft wichtiger sei als eine Innovation, hält Keilen für falsch: „Das Alte muss zerdeppert werden“, sagt er. „Ich fahr jetzt nur noch E-Bike.“

Eine weitere Erfolgsgeschichte erzählt Architekt Kai Schulz aus der Gemeinde Horn im Hunsrück: „Es gab eine Ratssitzung, da haben wir gesagt: Lassen wir die Zukunft jetzt beginnen.“ Das Gemeindehaus musste saniert werden – heraus kam eine Fotovoltaikanlage mit 96 Modulen. Heute werben sie mit dem Slogan: „In Horn scheint die Sonne auch nachts.“

Ein wichtiges Zukunftsfeld für viele Gemeinden, nenn Joachim Walter, Geschäftsführer der TSB: Eigenstromversorgung etwa durch Fotovoltaik. Das bringe Wertschöpfung am Ort, weil das Geld in Solarstrom fließt, statt an große Konzerne für Gas oder Öl. „Was wir jetzt brauchen, ist mehr Umsetzen – die Konzepte sind eigentlich da“, sagt Walter. Und er rät: „Es braucht einen Berater in der Kommune, der die Erfahrung hat, eine Zahlenbasis schafft und mit den Akteuren spricht.“ Denn bei allen Erfolgen gibt es auch Probleme. Zwar gebe es in Rheinland-Pfalz um die 50 Klimaschutzmanager und viele Kommunen hätten auch Strategien entwickelt – doch mitunter fehle dann einfach das Geld für die Umsetzung.

„Oft ist die Finanzaufsicht eine Bremse bei den finanzschwachen Kommunen“, kritisiert Walter. Dabei werde aber das Einsparpotenzial vieler Maßnahmen nicht berücksichtigt. „Ein Appell wäre, dass auch die Zukunftsfähigkeit einer Gemeinde berücksichtigt wird“, mahnt der Experte an. Außerdem sei es wichtig, auch die Bürger einzubeziehen, betont Walter: „Man kann zum Beispiel die Vorschläge von Verkehrsgruppen wie dem Verkehrsclub Deutschland über Radwege oder Carsharing mitnehmen und sie in den Gremien beschlussfähig machen“, rät er den Gemeinden: „Da nutzen die Kommunen brach liegende Potenziale noch nicht genug."

Von unserer Mitarbeiterin Gisela Kirschstein

Beispiel 1: Der Klimamanager von Bad Ems

Bad Ems. Als er an diesem tristen Novembermorgen das Licht in seinem Büro im Rathaus der Verbandsgemeinde Bad Ems anschaltet, muss Nico Hickel grinsen. „Das sind schon alles LEDs“ sagt er. Die sparen Geld. Und Energie. Energie sparen, das ist Hickels großes Thema. Eigentlich ist es sogar noch ein bisschen größer: Der 27-Jährige mit den rotblonden Haaren und den graublauen Augen soll das Klima retten. Zumindest, sofern das auf kommunaler Ebene möglich ist.

Hickel ist seit dem vergangenen Jahr Klimaschutzmanager der Verbandsgemeinde Bad Ems. Mehrere Dutzend von seiner Sorte gibt es inzwischen in Rheinland-Pfalz. „Wir sind die Schnittstelle zwischen Politik, Industrie, Handwerk und der Bevölkerung“, sagt er. Der Wirtschaftswissenschaftler mit Schwerpunkt Energie- und Ressourcenmanagement ist im Wesentlichen dafür zuständig, dass das Klimaschutzkonzept der Verbandsgemeinde umgesetzt wird. Die hat sich 2012 nicht weniger vorgenommen, als ihren Ausstoß von Kohlendioxid von 2030 an um 66.000 Tonnen pro Jahr zu reduzieren.

Hickel soll das vorantreiben – und möglichst alle mitnehmen, wie es so schön heißt. Ein wichtiger Baustein seiner ersten Stelle nach dem Studium ist daher auch die Öffentlichkeitsarbeit, sprich der Dialog mit den Bürgern. „Wobei ich kein Energieberater bin“, stellt er klar. Wenn also jemand seine private Heizungsanlage umrüsten möchte, ist Hickel nicht der richtige Ansprechpartner, kann den aber vermitteln. Er richtet seinen Blick vornehmlich auf kommunale Liegenschaften. So hat er in den vergangenen eineinhalb Jahren unter anderem dafür gesorgt, dass mehrere Sporthallen in der Verbandsgemeinde auf LED-Beleuchtung umgerüstet wurden. Jetzt im Winter steht viel konzeptionelle und organisatorische Arbeit an. Hickel nimmt sich unter anderem die Grundschulen und ihre Heizungsanlagen vor. Auch die Frage, wo in der Gemeinde E-Autos zum Einsatz kommen könnten, steht auf einer seiner vielen To-do-Listen.

Sein größtes Projekt und zugleich das, das ihm am meisten am Herzen liegt, kommt dagegen gerade so richtig ans Laufen: Ab Dezember wird das Rathaus der ehemaligen Bergbaustadt Bad Ems zu 95 Prozent mit warmem Grubenwasser beheizt. Der Kohlendioxidausstoß soll so von zuvor 80 auf 30 Tonnen pro Jahr sinken, der Endenergieverbrauch auf den gleichen Zeitraum gerechnet um 300.000 Kilowattstunden zurückgehen. Möglich wird das knapp 500.000 Euro teure Erdwärme-Projekt aber nur, weil das Umweltministerium des Landes Rheinland-Pfalz es finanziell unterstützt. Es trägt 50 Prozent der Kosten für den Anlagenbau sowie 80 Prozent der Ausgaben für die wissenschaftliche Begleitung.

Im Gegensatz zu den LEDs in den Sportanlagen oder in seinem Büro, die schon jetzt bares Geld sparen, zahlt sich die Geothermie-Anlage also bisher noch nicht aus. „Fossile Brennstoffe wie Öl oder Gas sind im Vergleich im Moment einfach günstiger – zu günstig“, erläutert Hickel. Denn schließlich sind gerade diese Brennstoffe endlich. Genau deshalb findet der Klimamanager es trotzdem wichtig, alternative Modelle auszuprobieren. „Das hat ja auch eine Leuchtturmfunktion.“

Vorbild möchte der 27-Jährige, der aus Schwaben an die Lahn gezogen ist, auch im Privaten sein: „Im Kleinen kann jeder etwas für den Klimaschutz tun“, sagt er. Und: „Ich kenne kaum einen Klimaschutzmanager, der nicht für sein Thema brennt.“ Was in diesem Fall auch sein darf.

Von unserer Redakteurin Angela Kauer-Schöneich

Beispiel 2: Eine Revolution im 300-Seelen-Ort

Strüth. „Über Feinstaub haben wir uns vor einigen Jahren überhaupt noch keine Gedanken gemacht“, sagt Klaus Steinbeck, zweiter Beigeordneter der Gemeinde Strüth bei Nastätten (Rhein-Lahn-Kreis). Strüth liegt im Niemandsland zwischen zwei Bundesländern. 300 Einwohner haben sie hier – und fünf Straßen. „Hessen beginnt fünf Kilometer weiter, da geht kein Bus hin“, sagt Steinbeck. „Bei uns hört der Öffentliche Personennahverkehr auf.“

Ein Ort irgendwo im nirgendwo – und doch lässt sich hier die Zukunft beobachten. Heute teilen sich in Strüth 50 Nutzer ein Elektroauto, sie denken über ein zweites E-Auto nach, installieren gerade die dritte Fotovoltaikanlage – und habe eine Energiegenossenschaft gegründet. „Das passiert, wenn sich einfach fünf bis zehn Menschen auf den Weg machen und sagen: Wir bringen jetzt die Energiewende voran“, sagt Steinbeck: „Wir wollten aus dem Jammertal raus.“

Die Arbeit an der Zukunft ist ein „hammerhartes Geschäft“

Aufgerüttelt hat sie in Strüth eine Nachricht des Netzbetreibers, dass die alten Quecksilberstraßenleuchten ausgewechselt werden müssten. Kosten im fünfstelligen Bereich drohten dem Ort. „Da sind wir ein bisschen wach geworden“, sagt Steinbeck schmunzelnd. Im April 2015 gründeten sie einen Ausschuss aus Menschen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten: Elektromonteure sind dabei gewesen, Heiztechniker, aber auch Kaufleute und Vertreter des Eine-Welt-Ladens, sagt Steinbeck. Sie zeigten den Film „Plastic Planet“ im Kino, einige Hundert Leute kamen. Mit zehn Mitgliedern gründeten sie im Februar 2016 die Energiegenossenschaft EGOM. Das sei alles andere als leicht gewesen, sagt Steinbeck: „Das ist ein hammerhartes Geschäft.“ Im Juli zeichneten 60 neue Mitglieder Anteile. Noch 2016 errichtete die EGOM die erste Fotovoltaikanlage auf der Scheune eines Hofes in Strüth. Im September 2017 ging die dritte Anlage ans Netz.

Sogar Tesla macht sich auf den Weg in die kleine Kommune

Doch das war noch lange nicht alles: Im August 2016 startete das Projekt Carsharing – mit einem Elektroauto. „Wir hatten sogar jemanden, der uns das Auto finanzierte. So etwas passiert, wenn man sich einfach mal auf den Weg macht“, sagt Steinbeck. „Viele Menschen mit Geld warten nur darauf, sich zu beteiligen.“ Beim zweiten Umwelttag im September 2016 stellten fünf Autohersteller ihre E-Mobile in Strüth vor. „Von Tesla bis Zoe waren alle Hersteller da. Und E-Bikes haben sie auch gleich mitgebracht.“

Inzwischen hat EGOM genau 82 Mitglieder und ein Geschäftsvolumen von 40.000 Euro, bis Ende 2019 wollen sie Strom-autark werden. Den Renault Zoe nutzen inzwischen mehr als 50 Personen im Carsharing. „Die ersten haben ihr Zweitauto abgeschafft und nehmen dafür unsern Wagen“, sagt Steinbeck. Am dritten Umwelttag im September in Strüth weihten sie die Ladestation für E-Autos ein, einen zweiten Wagen wollen sie demnächst nach Nastätten stellen.

„Das passiert, wenn sich mal fünf bis zehn Leute auf den Weg machen“, sagt Steinbeck erneut: „Es gehört einfach der Mut dazu.“ Die Politik in Berlin laufe doch nur den großen Energiekonzernen hinterher, sagt er: „Wir brauchen eine Energierevolution und keine laue Energiewende – eine Revolution kann aber nur von den Bürgern ausgehen.“ Die Straßenbeleuchtung übrigens soll noch vor Weihnachten auf LED umgestellt werden – es ist nur noch ein Nebeneffekt in der Energierevolution in Strüth.

Von unserer Mitarbeiterin Gisela Kirschstein

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