Kiel

Union im Umfragetief: Wer führt die Union in die Zukunft?

Von Michael Bröcker
"Diese GroKo taumelt von Krisensitzung zu Krisensitzung, beschäftigt sich nur mit sich selbst, statt mit den Problemen in diesem Foto: dpa

Dieses Geschenk hat jeder von ihnen bekommen. Der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, überreicht den quietschgelben Regenmantel für stürmische Zeiten allen Gastrednern beim dreitägigen JU-Deutschlandtag in Kiel. Und die Zeiten sind so stürmisch, dass vorsichtshalber ein Großteil der Führungsmannschaft von CDU und CSU zum Kongress ihrer mit 115.000 Mitglieder größten Jugendorganisation Europas der Einladung gefolgt ist: die Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und NRW, Daniel Günther und Armin Laschet, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der EVP-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Manfred Weber, Gesundheitsminister Jens Spahn, der neue Bundestagsunionsfraktionschef Ralph Brinkhaus, CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Noch auf der Bühne angezogen hat die Regenrobe aber nur eine: Kramp-Karrenbauer. Die Kapuze fällt der 56-Jährigen ins Gesicht, sie reckt beide Arme nach oben.

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Gerade hat sie eine kämpferische Rede gehalten, an deren Anfang sie sich über Medienberichte beklagt hat, wonach in Kiel ein Schaulaufen der möglichen Merkel-Nachfolger zu erwarten sei. Aber natürlich schaut das Publikum genau darauf und vor allem auf diese beiden Gäste: Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn. Beide werden wohl nicht ohne Unterstützung Laschets als Chef des größten Landesverbandes ganz nach oben kommen. Womöglich greift er sogar selbst zu. Aber er hält sich auch in Kiel bedeckt. So werden Redezeit und Applaus von Spahn und Kramp-Karrenbauer verglichen und gestoppt. Bei Spahn sagt eine Delegierte in den hinteren Rängen: „Los, klatschen, das muss länger als 55 Sekunden dauern.“ Mit dieser Zeit war Merkels Auftritt bedacht worden. Sie kam beim kritischen Parteinachwuchs mit einer selbstkritischen und nach vorn gerichteten Rede gut an.

Spahn, in dunklem Anzug, schafft es aber auf das Doppelte von Merkel und bekommt auch den größeren Schlussapplaus als Kramp-Karrenbauer für seine recht staatstragende Rede mit einem Appell zu mehr Zusammenhalt. „Wir als Union, wir wollen uns nicht spalten lassen, nicht als Partei, nicht als Land, nicht als Bürger. Wir wollen Zusammenhalt durch Zuversicht“, ruft er den 300 Delegierten zu. Er legt den Schwerpunkt auf das Sicherheitsgefühl der Bürger, auf einen starken Rechtsstaat, auf eine strikte Integrationspolitik. „Vollgas“ verlangt er da von der Bundesregierung.

Alexander Dobrindt hält unterdessen eine recht kraftlose Rede, finden hier viele. Er steht besonders unter Druck, denn seine CSU könnte bei der Landtagswahl in Bayern am nächsten Sonntag ein Fiasko erleben. Bei der JU wird spekuliert, dass CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer dann schnell zum Rücktritt gedrängt wird. Einen Nachfolger als Parteichef wüssten sie auch schon: Manfred Weber, der EVP-Fraktionschef im EU-Parlament, der gern Kommissionspräsident werden möchte und in Kiel eine starke Rede gehalten hat.

Kramp-Karrenbauer ist streitlustig aufgelegt. Sie stellt erst einmal Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) wegen dessen Schuldzuweisungen für die schlechten Umfragewerte in Richtung Bundesregierung in den Senkel. Im Publikum wird dann aufmerksam verfolgt, ob sie auf Distanz zu Merkel geht. Es heißt immer, ihre Nähe zur Kanzlerin sei ihre Stärke und Schwäche zugleich. Irgendwann muss sie sich abgrenzen, sonst wird das nichts mit der Nachfolge. Kramp-Karrenbauer sagt dann, wer sich immer nur damit begnüge, den Menschen zu entgegnen, „wir haben Schlimmeres verhindert“, dürfe sich nicht wundern, wenn er bei 27 Prozent lande. Damit wolle sie sich nicht zufrieden geben. Und „sorry“, es reiche auch nicht, gute Regierungsarbeit zu machen. „Wenn jemand die CDU in diesem Land wählt, dann hat er Anspruch darauf, dass er gute Regierungsarbeit erhält. Es kann doch nichts Besonderes sein zu sagen, wählt uns, weil wir eine gute Regierungsarbeit machen. Wo sind wir denn da hingekommen?“ Es gehe um Ideen, Visionen, den Blick in die Zukunft. „Parteien werden nur dann gewählt, wenn sie begeistern können, wenn sie etwas in sich tragen, das die Menschen für sie einnimmt.“ Vor Kramp-Karrenbauer feiern die JUler minutenlang den neuen Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Er schmiert dem Parteinachwuchs viel Honig um den Bart. Er wünsche sich, dass sie die Fraktion fordere und überrasche, dass sie mutig sei und die Bundestagsabgeordneten lehre, Dinge neu zu denken und den Aufbruch zu wagen. Der 50-Jährige hält das hierarchische Denken, dass nur Vorstände und Gremien die Partei steuern, für veraltet und wirbt für Projektarbeit und Personalentwicklung. Das mache auch jeder größere Fußballverein. Er macht deutlich, dass er sich auf niemandes Seite ziehen lassen will, sondern der Brückenbauer ist. Ziemiak sagt hinterher: „Das war eine saustarke Rede.“

Unterdessen hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in der „Bild am Sonntag“ die Nachfolge-Debatte angeheizt. Er sagt zur Frage der politischen Zukunft von Merkel: „Entweder sie entscheidet selbst, wann die Zeit gekommen ist. Oder sie wird im Parlament zum Rücktritt gebracht. Oder der Wähler wird sie irgendwann abwählen.“ Er sagt jedoch auch: „Ich bin aber sicher, dass Angela Merkel auf dem kommenden Parteitag als CDU-Vorsitzende wiedergewählt wird.“ Merkel hatte kürzlich erklärt, dass sie genau das anstrebt. Das Signal: kein Wechsel in dieser Legislaturperiode. Sie will bis 2021 Kanzlerin bleiben. Dann könnte es höchstens 2020 einen Wechsel an der Parteispitze geben.

Aus Kiel berichten Michael Bröcker und Kristina Dunz