Zug um Zug zum Handelskrieg? Trump und die Strafzölle

US-Präsident Donald Trump sitzt aus Sicht des Vallendarer WHU-Rektors Markus Rudolf am längeren Hebel.
US-Präsident Donald Trump sitzt aus Sicht des Vallendarer WHU-Rektors Markus Rudolf am längeren Hebel. Foto: picture alliance / dpa

Wenn sich die Europäische Union auf einen Wettlauf mit den USA um höhere Zölle einlässt, droht der Welt ein Rückfall in die dunklen Zeiten des Protektionismus. Davon ist Prof. Markus Rudolf überzeugt. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt der Rektor der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar, warum US-Präsident Donald Trump in der Handelspolitik die besseren Karten hat und mit den Strafzöllen auf Stahl und Aluminium sogar seine Aussichten erhöhen könnte, als US-Präsident wiedergewählt zu werden.

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Trump wirft der EU vor, die USA im Handel zu übervorteilen. Sind wir tatsächlich keine Musterknaben?

Man muss zwei Dinge unterscheiden. Da sind zum einen die ökonomischen Fakten: Da ist es in der Tat so, dass die EU Waren im Wert von rund 151 Milliarden Dollar mehr in die USA exportiert als sie importiert. Und daran hat Deutschland einen großen Anteil. Und es ist auch so, dass die EU im Schnitt höhere Zölle erhebt als die USA. Für Autos etwa verlangt die EU 10 Prozent, die Amerikaner verlangen nur 2,5 Prozent. Aber dafür gibt es klare Regeln bei der Welthandelsorganisation (WTO). Da hätte Trump sogar gute Aussichten gehabt, dass die Zölle angeglichen werden. Das hat er allerdings missachtet.

Nun hat Trump die Strafzölle ja damit begründet, dass es im Fall von Stahl und Aluminium um die nationale Sicherheit der USA geht, um eine Ausnahme von den WTO-Regeln zu rechtfertigen.

Daran hat EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström bereits große Zweifel angemeldet. Und es stimmt ja, dass das nicht stimmt. Das ist nur ein vorgeschobenes Argument.

Also ein klarer Verstoß gegen WTO-Recht. Dann könnte die EU doch klagen. Wie groß sind die Aussichten zu gewinnen?

Natürlich kann die EU vor der WTO klagen. Und sie würde wahrscheinlich sogar recht bekommen. Die Frage ist nur: Wann? Und juckt das die Amerikaner überhaupt? Denn bis zu einem Urteil dauert es als Faustregel etwa zwei Jahre. Nach WTO-Regeln darf die EU aber auch unmittelbar reagieren. Die Gegenmaßnahmen müssen nur verhältnismäßig sein.

Das hat Brüssel ja schon angedeutet. Demnach sollen höhere Zölle auf Harleys, Orangensaft, Erdnussbutter und Whiskey erhoben werden. Klingt fast etwas hilflos. Können die USA mit Nadelstichen wirklich getroffen werden?

Ökonomisch ist das natürlich irrelevant. Übrigens genauso wie die Stahlzölle. Europa exportiert ja gar nicht sonderlich viel Stahl in die USA. Aber es geht in erster Linie darum, US-Staaten zu treffen, die republikanisch wählen. Also etwa den Mittleren Westen. Die Hoffnung ist wohl, dass die Menschen Trump ins Gewissen reden. Ob das vielversprechend ist, kann ich nicht sagen. Aber Trump hat ja schon reagiert und Strafzölle auf europäische Autos angedroht.

Das wäre ein weitaus schärferes Schwert und für Deutschland eine Katastrophe. Oder nicht?

Tendenziell ja. Aber fast alle deutschen Autobauer produzieren ja schon in den USA. Nehmen wir doch mal BMW. Dann sehen wir, dass die X-Reihen nach Europa exportiert werden. In Spartanburg steht meines Wissens mit fast 9000 Beschäftigten das größte BMW-Werk überhaupt.

Warum hat sich Trump eigentlich ausgerechnet die Stahlindustrie ausgesucht, die ja in den USA auch keine große Rolle mehr spielt?

In der Tat arbeiten in der US-Stahlindustrie nur 100.000 Menschen. Vor 30 Jahren waren es noch 600.000. Das sind aber ziemlich genau die weißen Männer, die Trump gewählt haben. So viel anders ist das bei uns ja auch nicht. Ich würde wetten, dass in Regionen, in denen früher Stahl produziert wurde, viele AfD wählen. Die entscheidende Frage ist, warum die Menschen ihre Jobs verloren haben. Weil China praktisch von null plötzlich 800 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr auf den Markt wirft – die Hälfte der Weltproduktion.

Glauben sie denn, dass jetzt tatsächlich neue Jobs in der US-Stahlindustrie entstehen?

Das ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall würde viel billiger Stahl aus China erst mal ferngehalten. Das ist gut für die USA, schlecht für Europa. Denn dann kommen die Produkte, die die Chinesen mit Dumpingpreisen auf den Markt werfen, wohl zu uns. Anders sieht es in der Automobilindustrie aus. Die kauft ohnehin keinen chinesischen Billigstahl, weil die Qualität nicht gut genug ist. Das gilt übrigens auch für amerikanischen Stahl. Insofern ist es fast egal, wie hoch der Zoll ist. Die US-Autobauer müssen weiter den Hightechstahl von ThyssenKrupp oder Salzgitter kaufen. Ansonsten bliebe vielleicht noch Nippon Steel. Den chinesischen Stahl hingegen können sie vielleicht für Leitplanken benutzen, aber nicht für glatte Bleche, die sie später lackieren wollen.

Die Chinesen dürften die Strafzölle auch nicht einfach so hinnehmen. Peking sitzt auf Bergen von US-Staatsanleihen, die es auf den Markt werfen könnte.

Da reden wir von 4 Billionen Dollar. Aber Sie kennen ja den Spruch: Wenn Sie bei jemandem Schulden haben, haben Sie ein Problem. Wenn Sie viele Schulden haben, hat der Gläubiger ein Problem. Peking hat so viele US-Anleihen in seinen Staatsfonds drin, weil es alternativlos ist. Beim Weltkapitalmarkt reden wir von rund 150 Billionen Dollar. Die Hälfte davon ist amerikanisch. Die Chinesen könnten natürlich in Schweizer Anleihen investieren. Aber da kriegen sie keine 4 Billionen Dollar unter.

Trump sieht die Wirtschaftspolitik ja offensichtlich sportlich. Er könnte also mit seiner Ankündigung, einen Handelskrieg zu gewinnen, durchaus recht haben?

Wenn sich alle an die WTO-Regeln halten außer den USA, dann ja. Zumindest sitzt Trump am längeren Hebel, weil die anderen Länder kein echtes Druckmittel gegen ihn haben. Es kann also schon sein, dass das Ungleichgewicht im Welthandel, das der US-Präsident beklagt, sinken wird. Und das wäre für Deutschland miserabel, weil wir extrem exportorientiert sind.

Nehmen wir mal an, dass Trump mit der Nummer durchkommt. Besteht dann nicht die Gefahr, dass auch andere Länder versuchen werden, ihre Zölle zu erhöhen?

Absolut! Die größte Gefahr ist, dass die Welthandelsordnung, die 1995 mit viel diplomatischem Geschick errichtet worden ist, vollkommen aus den Fugen gerät. In dem Fall werden die US-Amerikaner zwar mehr heimische Güter kaufen. Aber die sind dann auch teurer. Denn die kaufen ja keine deutschen Autos, weil sie dazu gezwungen werden, sondern weil die für das Geld besser sind. Und sie werden auch nicht gezwungen, chinesischen Stahl zu kaufen, sondern sie kaufen ihn, weil er billiger ist.

Ist denn ein Handelsdefizit wie das der USA grundsätzlich schlecht?

Nein, im Fall der USA zeigt es nur, wie wohlhabend das Land ist. Sonst könnten sie nicht mehr einkaufen, als sie verkaufen. Die Vereinigten Staaten sind eines der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt. Laut OECD beträgt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 58.000 Dollar. Das sind rund 9000 Dollar mehr als in Deutschland. Mit anderen Worten: Trotz des Handelsbilanzdefizits sind die USA eines der reichsten und innovativsten Länder der Welt. Wenn sich das Ungleichgewicht reduziert, heißt das nicht, dass die USA reicher werden. Es bedeutet nur, dass die anderen Länder ärmer werden.

Viele sprechen ja schon von einer Zeitenwende. Kann es sein, dass wir nach 70 Jahren Freihandel wieder in die Zeiten des Protektionismus zurückfallen?

Das liegt ein bisschen in der Hand der Europäer. Wenn die Strafzölle, die ja ökonomisch weitgehend irrelevant sind, zu einem Wettlauf der Missachtung der WTO-Regeln führen, dann könnten wir in diese Steinzeit zurückfallen. Am vernünftigsten wäre es wahrscheinlich, einen kühlen Kopf zu bewahren und die WTO-Regeln zu erhalten.

Was könnte das konkret bedeuten?

Also Autozölle würde ich auf jeden Fall vermeiden wollen. Was EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ankündigt, ist dann nicht so klug, wenn es nicht zum Umdenken in den USA führt und eine Spirale der Zölle in Gang gesetzt wird. Aber ich würde vor die WTO ziehen. Das würde zwar zwei Jahre dauern, aber ökonomisch sind die Stahlzölle auch nicht so wichtig. Weder die USA noch die Europäer sind große Stahlproduzenten. Es trifft vor allem die Chinesen. Denn die werfen ohne Zweifel ihren Stahl zu Dumpingpreisen auf den Markt. Und da würde ich in der WTO versuchen, dass sich das System ändert.

Dass der Freihandel das Handelsvolumen vervielfacht hat, ist ja unbestritten. Aber es sind auch große Ungleichgewichte entstanden. Gibt es tatsächlich nur Gewinner? Oder auch Verlierer?

Wenn ja, sind es sicher nicht die USA, sondern eher Entwicklungsländer. Wenn die ihre Zölle abschaffen, würden sie etwa auch mit Gemüse überschüttet, das sie selbst produzieren könnten. Und zwar weil sie auf dem Weltmarkt nicht mithalten können. Das ist ein echtes Problem. Die Amerikaner hingegen sind sicher keine Verlierer der Globalisierung. Immerhin sind die WTO-Regeln sogar selbst von ihnen geschaffen worden. Was Trump da sagt, trifft vielleicht auf die Stahlindustrie zu. Aber sicher nicht auf die Gesamtwirtschaft. Schließlich sind meines Wissens die zehn wertvollsten Unternehmen weltweit amerikanisch.

Nun sind Trumps Republikaner ja eine klassische Freihandelspartei. Die läuft teils Sturm gegen die Strafzölle, während Trump von den Gewerkschaften, die normalerweise den Demokraten nahestehen, mit Lob überschüttet wird. Eine merkwürdige Konstellation.

Ich glaube, dass seine Chancen, wiedergewählt zu werden, damit gestiegen sind. Wirtschaftlich bringt es wohl gar nichts. Es wird den USA im Gegenteil sogar schaden. Aber politisch wird es Trump wohl was bringen, weil es genau um seine Wähler geht. Und Klientelpolitik betreibt er ja gnadenlos. Die einen sind die Milliardäre, die anderen die Arbeiter am Band in der Stahl- und Automobilindustrie.

Noch weit größere Auswirkungen als die Strafzölle dürfte die Senkung der US-Unternehmenssteuern haben. Was kommt da auf uns zu?

Das setzt den Rest der Welt unter Druck. Ich vermute, dass Europa nicht umhin kommt, die Steuersätze ebenfalls zu senken. Ansonsten werden die Unternehmen abwandern. Das wird nicht lawinenartig geschehen. Aber schrittweise.

Das Interview führte Dirk Eberz

Faktencheck: Was ist dran an Trumps Anschuldigungen an die Europäische Union?

Aussage: „Die Europäische Union war besonders hart zu den Vereinigten Staaten. Sie machen es fast unmöglich für uns, Geschäfte mit ihnen zu machen, und trotzdem senden sie ihre Autos und alles andere in die Vereinigten Staaten. Die Europäische Union hat uns nicht sehr gut behandelt, und es ist eine sehr, sehr unfaire Situation“, sagt Trump.

Bewertung: Teils richtig.

Fakten: Dass es für die USA „fast unmöglich“ sei, Geschäfte mit Europa zu machen, ist pauschal gesehen nicht zutreffend. Doch die Aussage hat einen wahren Kern. Die EU erhebt im Durchschnitt etwas höhere Zölle als die Vereinigten Staaten. Laut Welthandelsorganisation (WTO) liegt der EU-Schnitt bei 5,2 Prozent, in den USA werden 3,5 Prozent fällig. Zudem lässt die EU nur 26 Prozent ihrer Nichtagrarimporte zollfrei ins Land. Die USA gewähren das für 48 Prozent der Einfuhren. Die EU schirmt vor allem ihren Agrarsektor ab. Bei Importen in die USA werden dagegen etwa bei Baumwolle bis zu 16 Prozent fällig, bei Lederwaren gar bis zu 55 Prozent. Unterm Strich exportiert die EU mehr in die USA, als sie umgekehrt von dort einführt. 2016 lag der Wert der EU-Ausfuhren in die Vereinigten Staaten bei 363,5 Milliarden Euro. Die US-Einfuhren in die EU beliefen sich auf 250,5 Milliarden Euro. Neben Zöllen gibt es noch andere Beschränkungen der Importmenge, etwa technische Vorschriften oder Umweltauflagen. Allerdings wird in Brüssel betont, dass durch solche Regelungen nicht nur US-Exporte in die EU, sondern auch EU-Exporte in die USA erschwert werden. So lasse sich die US-Seite teils viel Zeit mit Verfahren für Einfuhrgenehmigungen. Was Trump bisher nicht gesagt hat: Eigentlich hätte er längst mit der EU über die Abschaffung von so gut wie allen Zöllen und anderen Handelsbarrieren reden können. Unter Präsident Barack Obama hatten die EU und die USA bereits 2013 mit Verhandlungen über ein Handelsabkommen (TTIP) begonnen.

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