Zum Tode von George H. W. Bush: Warum die Deutschen ihm viel zu verdanken haben

George H. W. Bush: ein bedeutender Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. 
George H. W. Bush: ein bedeutender Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.  Foto: imago/ZUMA Press

Kaum einem anderen Präsidenten der jüngeren Geschichte haben die Deutschen so viel zu verdanken wie George H. W. Bush. Der große Transatlantiker starb am Freitag im Alter von 94 Jahren. Er überlebte seine Frau Barbara um ein halbes Jahr. Bush machte während seiner Amtszeit (1989–1993) die deutsche Einheit möglich und prägte die Ära nach dem Ende des Kalten Krieges. Ein Rückblick auf ein erfülltes langes Politikerleben:

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George H. W. Bushs letzter großer Auftritt am 5. Februar 2017 geriet noch einmal zu einem Symbol seiner Zähigkeit. Gerade erholt von einer schweren Lungenentzündung, ließ sich der 41. US-Präsident die Ehre nicht nehmen, die Münze für das Super-Bowl-Finale zu werfen. Unter dem tosenden Applaus von mehr als 70.000 Footballfans im NRG-Stadium von Houston kam der 92-Jährige im Rollstuhl auf das Feld – wenige Tage nach der Entlassung von der Intensivstation.

Dazu passt die Geschichte zu seinem 80. Geburtstag. Während andere in seinem Alter froh sind, noch allein zur Toilette gehen zu können, sprang George Bush im Fallschirm über Houston ab. So stellte sich der Weltkriegsveteran einen runden Seniorengeburtstag vor. Damit bekräftigte Bush seinen Ruf als alter Haudegen – eine Charaktereigenschaft des vornehmen Neuengländers, die die Amerikaner schätzten.

Auch die Deutschen wissen, was sie dem Mut des „Präsidenten der deutschen Einheit“ zu verdanken haben. Als der Mantel der Geschichte wehte, zögerte Bush keinen Moment. Entschlossen nutzte er die Chance des Mauerfalls. Aber er tat es nicht mit breitbeiniger Kraftmeierei, sondern geschickter Umsicht. Als am 9. November 1989 die ersten Meldungen aus Berlin im Weißen Haus einliefen, brach Bush nicht in Triumphgeheul aus, sondern übte Zurückhaltung und ließ den Dingen ihren Lauf. Der damalige Führer der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, hielt sich seinerseits zurück und wirkte damit deeskalierend auf die Führung in Ostdeutschland ein.

George H. W. Bush: ein bedeutender Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

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Der große Transatlantiker starb am Freitag im Alter von 94 Jahren. Er überlebte seine Frau Barbara um ein halbes Jahr.

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Der große Transatlantiker starb am Freitag im Alter von 94 Jahren. Er überlebte seine Frau Barbara um ein halbes Jahr.

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Wie das Nachrichtenmagazin „Newsweek“ exklusiv unter Berufung auf Insider berichtet, lag dem umsichtigen Vorgehen ein geheimes Kommuniqué Gorbatschows zugrunde, das bis heute offiziell unter Verschluss ist. Laut „Newsweek“ soll der Reformer in Moskau Bush darin gebeten haben, Provokationen in Berlin zu unterlassen, um ein Blutbad wie auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking zu vermeiden. Dieses besonnene Verhalten in explosiver Lage bescherte ihm Gorbatschows Vertrauen. Das zahlte sich bei den Zwei-plus-vier-Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung aus, in denen der US-Präsident von Anfang an für eine deutsche Selbstbestimmung plädierte.

Nach der Vereinigung 1990 gratulierte er „allen Deutschen im Osten wie im Westen und im so lang geteilten Berlin, dass es ihnen gelungen ist, ihren Traum von der nationalen Selbstbestimmung für immer am Leben zu halten.“ Der eigentliche Coup gelang Bush damit, das vereinte Deutschland in der Nato zu halten.

War das politische Wirken Bushs bei der deutschen Einheit eher von überlegter Zurückhaltung und taktischem Vorgehen geprägt, so zeigte der junge Marineflieger Bush im Zweiten Weltkrieg seine tollkühne Seite. Mit 18 meldete er sich 1942 freiwillig zur Marine. Im selben Jahr wurde er über dem Südpazifik von den Japanern abgeschossen. Seine Kameraden kamen ums Leben. Bush überlebte dank des glücklichen Zufalls, dass nahe der Absturzstelle ein U-Boot der USA patrouillierte. Von der Bergung des atemlosen Schwimmers gibt es Aufnahmen. Seitdem gilt er als Held.

Die Politikgene lagen schon bei seiner Geburt am 12. Juni 1924 in der Wiege. George Herbert Walker Bush kam als Sohn des späteren Senators von Connecticut, Prescott Bush, zur Welt. Vater wie Mutter Bush entstammten dem politischen Ostküstenadel. Selbst Bushs Ehefrau Barbara, die er 1945 heiratete und mit der er sechs Kinder großzog, kann politische Wurzeln vorweisen. Sie ist eine direkte Nachfahrin des 14. US-Präsidenten, Franklin Pierce.

Seine Karriere begann 1962 als Vorsitzender der Republikanischen Partei im texanischen Harris County. Mit Unterstützung von US-Präsident Richard Nixon trat er 1966 als Kandidat für den US-Kongress in einem Wahlbezirk von Houston an. Nach fünf Jahren im Repräsentantenhaus wechselte er 1971 als Botschafter der USA an den Sitz der UN in New York. Mitte der 70er-Jahre nahm der in Yale ausgebildete Ökonom den Posten als erster US-Botschafter in der Volksrepublik China an. Einen Job, den er sehr bald gegen den an der Spitze des Auslandsgeheimdienstes CIA eintauschte. 1980 trat er erstmals in einem Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur an. Gegen das Charisma des ehemaligen Schauspielers und Gouverneurs von Kalifornien, Ronald Reagan, war er chancenlos.

Doch Reagan machte ihn zu seinem Vize. Zwei Legislaturperioden (1980–1988) stand er loyal hinter dem populären Präsidenten. Als Reagan im März 1981 bei einem Attentat schwer verletzt wurde, weigerte sich Bush, ihn vorübergehend für amtsunfähig erklären zu lassen. Das beeindruckte Ronald Reagan so sehr, dass er ihn fortan regelmäßig konsultierte und mit ihm jede Woche im Weißen Haus zu Mittag aß.

Drei Amtszeiten – hintereinander!

Im Jahr 1988 wollte Bush es noch einmal wissen. Diesmal setzte er sich in seiner Partei durch und deklassierte später den Demokraten Michael Dukakis. Ihm gelang damit das seltene Kunststück, drei Amtszeiten im Weißen Haus hintereinander für dieselbe Partei zu erringen.

Seine Vereidigung am 20. Januar 1989 fiel auch insofern aus dem Rahmen, weil Bush zu den seltenen Ausnahmen gehörte, die außenpolitische Erfahrung und Kompetenz mit ins Amt brachten. In seiner Rede auf den Stufen des Capitols prophezeite er den totalitären kommunistischen Systemen ihr nahes Ende. Sie würden „hinwegwehen wie die Blätter an einem leblosen Baum“.

Bush senior, wie er seit der Präsidentschaft seines Sohnes George Walker hieß, scheute trotz seiner Kriegserfahrung und seiner Präferenz für die Diplomatie nicht vor dem Einsatz der mächtigen Streitmacht der USA zurück. Vor allem dann nicht, wenn es um die Durchsetzung und Behauptung internationaler Normen ging.

So befahl er die Entfernung des korrupten Diktators in Panama, Manuel Noriega, den Invasionstruppen 1990 verhafteten. Und er schmiedete unter dem Dach der UN eine Koalition gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein, der das Nachbarland Kuwait besetzt hatte. Zahlreiche arabische Staaten kämpften im ersten Irakkrieg (1991) an der Seite der USA für die Befreiung Kuwaits.

Bush beendete Irak-Krieg

Bush entschied sich im Februar 1991, nicht über das Ziel der UN-Resolution 678 hinauszugehen. Er beendete den Krieg und ließ Saddam Hussein an der Macht. „Dies ist ein Sieg für die Vereinten Nationen, für die gesamte Menschheit und das Völkerrecht“, verkündete Bush mit weiser Umsicht.

Trotz des erfolgreichen Kriegs gegen den Irak verlor Bush senior die nächste Präsidentschaftswahl 1992 gegen Bill Clinton. Zum Verhängnis geriet das Versprechen, während seiner Amtszeit nicht die Steuern anzuheben. Das auf dem Nominierungsparteitag leidenschaftlich vorgetragene „Read my lips: No new taxes“ (Auf Deutsch: Lest meine Lippen: keine neue Steuern) kam wie ein Bumerang zurück, als er Steuererhöhungen nicht mit seinem Veto verhinderte.

Obwohl Bush bei seinen Landsleuten außenpolitisch Anerkennung fand, interessierten sich die Amerikaner nach dem Ende des Kalten Krieges eher für die Probleme daheim. Die Wirtschaft kriselte Anfang der 1990er-Jahre. Herausforderer Bill Clinton verstand das und machte die schwächelnde Konjunktur zum Zentrum des Wahlkampfs. Und siegte. Enttäuscht zog sich Bush in den Ruhestand zurück. Später verfolgte er die Politik seines Sohnes mit wachsender Besorgnis. Der machte die Fehler, die der Vater im Irak vermieden hatte. Besonders schmerzte den großen Transatlantiker, wie der Junior Verbündeten mit seinen unilateralen Alleingängen ein ums andere Mal vor den Kopf stieß.

Eine Familie im Namen der Politik

Ganz besonders schmerzte den vielleicht wichtigsten Vertreter der Bush-Dynastie aber, wie Sohn Jeb bei den Präsidentschaftsvorwahlen 2016 unter die Räder geriet. Hatte er doch gehofft, der ehemalige Gouverneur von Florida werde die Familie von dem Makel der Amtsjahre seines Sohns George W. Bush befreien. Nicht nur deshalb hegte er eine ausgeprägte Antipathie gegen Donald Trump, dessen Wahl die Ära Bush nachhaltig beendete.

Im Gegensatz zu Trumps „America First“-Nationalismus erscheint Bushs Politikstil heute als weise und überlegt. Der ehemalige Sprecher des nationalen Sicherheitsrates, Roman Popadiuk, sagt, der ehemalige Präsident habe sein Gegenüber stets mit Respekt behandelt. „Die Politik besaß unter ihm eine gewisse Höflichkeit.“

Sein Nachfolger im Weißen Haus, der Demokrat Bill Clinton, schätzt genau das an ihm. Während der Amtszeit Obamas entwickelten die beiden Ex-Präsidenten eine echte Freundschaft. Er war „weniger extrem in der Sache, weniger hart in der Rhetorik, offener für vernünftige Kompromisse“, lobt Bill Clinton den prinzipienfesten Realpolitiker.

Mit dem Tod George Herbert Walker Bushs verabschiedet sich nicht nur ein zäher Kämpfer für die Freiheit, der Deutschlands und Europas Einheit möglich machte. Es tritt auch einer der letzten großen Vertreter einer Generation von Republikanern ab, die unter Konservatismus etwas ganz anderes verstanden als der gegenwärtige Amtsinhaber. Diese Stimme der Vernunft dürfte schon bald schmerzhaft vermisst werden.

Das schrieb Bush senior seinem Nachfolger Bill Clinton

Als Bill Clinton die US-Präsidentschaft von George H. W. Bush übernahm, fand er ein Schreiben seines Amtsvorgängers vor – handgeschrieben auf Briefpapier des Weißen Hauses, datiert auf den 20. Januar 1993. Bush war nur eine Amtsperiode lang Präsident, Clinton hatte ihn bei der Wahl im November 1992 besiegt. CNN nannte den kurzen Brief eine Lektion darin, wie man würdevoll verlieren kann:

„Lieber Bill, als ich gerade dieses Büro betrat, empfand ich das gleiche Gefühl des Staunens und des Respekts, das ich vor vier Jahren empfand. Ich weiß, dass Sie das auch empfinden werden. Ich wünsche Ihnen viel Glück hier. Ich habe nie die Einsamkeit gespürt, die einige Präsidenten beschrieben haben. Es wird sehr harte Zeiten geben, die durch Kritik, die Sie vielleicht nicht für fair halten, noch schwieriger werden. Ich bin nicht sehr gut darin, Rat zu geben; aber lassen Sie sich nicht von den Kritikern entmutigen oder vom Kurs abbringen. Sie werden unser Präsident sein, wenn Sie diese Notiz lesen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ich wünsche Ihrer Familie alles Gute. Ihr Erfolg ist jetzt der Erfolg unseres Landes. Ich drücke Ihnen fest die Daumen. Viel Glück – George“

Das waren Bushs letzte Worte

„Ich liebe dich auch“ – das waren laut Medienberichten die letzten Worte, die der frühere US-Präsident George H. W. Bush vor seinem Tod sprach.

„New York Times“ und CNN berichten, als Bushs Dahinscheiden absehbar war, sei sein Sohn George W. Bush in einem Telefonat auf Lautsprecher geschaltet worden. Bush junior – der acht Jahre nach dem Ende der Amtszeit seines Vaters Präsident wurde – habe gesagt, dass er ein „wunderbarer Vater“ war und dass er ihn liebt. „Ich liebe dich auch“, antwortete Bush senior. Die „New York Times“ zitierte den Ex- Außenminister von George H. W. Bush, James A. Baker, der bei Bushs Tod dabei war. Außerdem waren Familienangehörige und Freunde Bushs anwesend. Baker sagte, der frühere Präsident – der lang an einer Form von Parkinson litt – sei friedlich gestorben. „Und er war bereit.“

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