Koblenz

Wohlstandsstaaten bringen arme Länder in ihre Abhängigkeit

Das Bild zeigt (von links) David Schaber, Nicola Löwen, Lea Klumpe, Thomas Gebauer und Peter-Erwin Jansen.
Das Bild zeigt (von links) David Schaber, Nicola Löwen, Lea Klumpe, Thomas Gebauer und Peter-Erwin Jansen. Foto: Hochschule Koblenz

Eine spannende Talkrunde über die Schwierigkeiten sinnvoller Hilfen in der globalen Welt mit Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international, und Studenten des Fachbereichs Sozialwissenschaften der Hochschule Koblenz.

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Im August 2018 erschien der von Thomas Gebauer und Ilija Trojanow verfasste Band „Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise“. Über das Buch, über die Kritik an den Hilfesystemen für die armen Länder des Südens, aber auch über Lösungsansätze sprachen Studierende des von Peter-Erwin Jansen im Fachbereich Sozialwissenschaften der Hochschule Koblenz geleiteten Seminars „Soziale Bewegungen und Selbstorganisation“ mit dem Verfasser. An dieser Veranstaltung nahmen mehr als siebzig Hochschulangehörige sowie externe Gäste teil.

Jansen leitete die Veranstaltung mit der Vorstellung des Referenten und dessen langjährigen Engagements für Friedens- und Unterstützungsprojekte in den Krisengebieten der Welt ein. Im Jahr 1997 erhielt Gebauer den Friedensnobelpreis für die mit Bobby Muller ins Leben gerufene Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL).

Das Bild zeigt (von links) Thomas Gebauer und Peter-Erwin Jansen.
Das Bild zeigt (von links) Thomas Gebauer und Peter-Erwin Jansen.
Foto: Hochschule Koblenz

Die Studierenden Lea Klumpe, Nicola Löwen und David Schaber hatten sich während des Seminars mit dem Band „Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise“ beschäftigt. Sie stellten Fragen zu der dargestellten Reise durch fünf Krisengebiete der Erde (Mexiko, Pakistan, Kenia, Sierra Leone, Guatemala). Anschaulich beantwortete Gebauer die Fragen nach positiven und negativen Erlebnissen seiner Begegnungen und Initiativen. Als Beispiel eines erfolgreichen Projekts beschrieb der studierte Psychologe ein autonomes Gesundheitszentrum, das von Ärzten und Krankenschwestern der Zapatista in Mexiko aufgebaut wurde und betrieben wird. „Hier kümmern sich das medizinische Personal ganzheitlich, präventiv und nicht nur kurativ um die Patienten.“ Das ermögliche eine wesentlich effektivere und beständigere Gesundheitsversorgung als in vielen staatlichen Krankenhäusern.

Eine weitere Reisestation war Pakistan. Bekannt ist der katastrophale Brand in einer Textilfabrik 2012 in Karachi, bei dem 259 Näherinnen gestorben sind. Erst nach drei Tagen konnte der Brand der 6000 Quadratmeter großen Textilfabrik mit rund 10.000 Beschäftigten gelöscht werden. Angesprochen auf dieses Ereignis erläuterte Gebauer am Beispiel der Textilindustrie die enge Verstrickung der reichen Wohlstandsstaaten mit den armen Ländern des Südens. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn dort Qualitätskontrollen zu den per Hand eingeritzten „gleichbleibenden Rissen in den Jeans“ durchgeführt würden, aber soziale Rahmenbedingungen für die Näherinnen keine Rolle spielten. Kein Unfall, keine „Höhere Gewalt“ sei Ursache des Brandes gewesen, wohl aber kriminelle Sicherheits- und Produktionsbedingungen, unter denen täglich 70.000 Jeans und Röcke für westliche Billigkaufhäuser produziert werden: „Qualitätskontrollen gab es zwar für die Produkte, aber nicht für die Arbeitsbedingungen.“

Auf Nachfragen der Studierenden, was er denn unter den „falschen Strategien“ der Entwicklungshilfe verstehe, verwies der Referent auf die Gefahr einer Entpolitisierung von Hilfe, wenn diese aus rein caritativen Zwecken geschehe und auf der Privatisierung von staatlich verbriefter Existenzsicherung beruhe. Das sei ein Dilemma in dem sich auch viele Nichtregierungsorganisationen (NGO) befänden. Sie könnten Herrschaftsverhältnisse unterminieren, aber auch stabilisieren, wenn sie etwa Defizite staatlichen Handelns kompensierten. Weder über kirchliche, noch über NGOs sei Hilfe als verbrieftes Recht einklagbar. Das sei das wesentliche Manko dieser Hilfsstrukturen. Eine Kampagne für globale soziale Rechte und Rechtsgarantien müsse von nichtstaatlichen Hilfesystemen initiiert werden. Ziel könnte eine Neujustierung von Handelsabkommen zugunsten der armen Länder und eine Mobilisierung der Bevölkerungen von unten („Graswurzelmobilisierung“) sein.

Auf die Frage, welche Rolle denn die Soziale Arbeit angesichts der internationalen Krisen, auch der Hilfesysteme, spielen könne, betonte der Referent die notwendige internationale Vernetzung Sozialer Arbeit. Die globalen Zusammenhänge ließen kaum noch Spielraum für eine rein „national-beschränkte“ Soziale Arbeit. Sowohl hier, als auch für die Länder des Südens, könne sie sich für kooperative, solidarische und genossenschaftliche Lösungen einsetzen und Lernprozesse initiieren, die nicht nur auf „Spenden hier“ und „Helfen dort“ beruhen, sondern auf der Einsicht, dass die Veränderung von Denk- und Lebensweisen hier für die Veränderung von sozialen Beziehungen und Strukturen wichtiger sind als die Orientierung an Wachstum, Luxus und Konsum. pej